Es tut sich Seltsames in der Bundesliga. Da erklärte Karl-Heinz Rummenigge, Vorstand des ewigen Regenten FC Bayern: "Ich bin glücklich über jeden Klub, der uns unter Druck setzt. Wir sind interessiert an einer emotionalen Bundesligaspitze." Den Münchnern schwant, dass ihre totale Dominanz auf Dauer das eigene Geschäftsmodell gefährdet. Pokalsieger Eintracht Frankfurt wird Rummenigges Wunsch jedenfalls nicht erfüllen, im Supercup ging er 0:5 unter.
Der dortige Sportdirektor Bruno Hübner kam anschließend mit einer ungewöhnlichen Forderung daher. Er sagte im Hinblick auf den Status der Liga und den internationalen Transfermarkt: "Wir müssen aufpassen, da die Gefahr besteht, dass die ganzen Stars und guten Spieler aus der Bundesliga weggeholt werden." Seine Lösung: Die Spitzenklubs aus München und Dortmund sollen investieren und finanziell dagegenhalten, um die Attraktivität der Liga zu erhalten.
Die Stimmen contra 50+1 werden lauter
So weit ist es gekommen: Ein Konkurrent fordert die reichsten Klubs auf, noch mehr gute Spieler zu holen, damit sie nicht ins Ausland abwandern. Die Folge, dass diese dann noch unschlagbarer für den Rest werden, nimmt er als minderen Nachteil hin. Klingt nach Hilflosigkeit.
Es weist einiges darauf hin, dass die Bundesliga vor schwierigen Debatten steht. Hier die totale Überlegenheit der Bayern, die zuletzt sechs Mal mit zweistelligem Punktevorsprung die Meisterschaft gewannen. Dort der absurde Reichtum der englischen Premier League sowie der Spitzenklubs aus Spanien, Frankreich oder Italien. So zeugt der Transfer des 21-jährigen Abwehrspielers Thilo Kehrer von Schalke nach Paris für 37 Millionen Euro davon, dass die Liga nun bereits ihre aufstrebenden Jungprofis verliert. In der Uefa-Fünfjahreswertung beginnt der Kampf um Platz vier, der vier Champions-League-Plätze garantiert. Der Bundesliga droht der internationale Absturz.
Angesichts dieser Entwicklung gerät die 50+1-Regel immer stärker unter Druck. Diese gibt es nur in Deutschland und besagt, dass der eingetragene Verein die Mehrheit an den ausgelagerten Profiabteilungen halten muss. Und verhindert, dass diese von Investoren gekauft und kontrolliert werden. Die Stimmen contra 50+1 werden lauter, angeführt von Christian Seifert, Chef der Deutschen Fußball Liga und Bayern-Boss Rummenigge. Leipzigs Sportdirektor und Trainer Ralf Rangnick plädiert in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung dafür, dass jeder Klub selbst entscheiden solle, ob er 50+1 anwenden möchte oder nicht. Falls nicht? "Dann werden wir als Liga irgendwann dort landen, wo der eine oder andere Traditionsklub leider schon gelandet ist: auf dem Friedhof der Erinnerung."
Sie alle argumentieren, dass nur so Vereine in der internationalen Geldspirale mithalten oder den finanziellen Nachteil auf den FC Bayern aufholen können. Mit jeder März-Meisterschaft der Münchner wird das Thema brisanter, mit jeder Niederlage von Bundesligisten in der Champions oder Europa League, mit jedem Transfer eines Spitzenspielers ins Ausland. Wobei ja auch Trainer, Co-Trainer, sogar Scouts und Fitnesstrainer gehen. Viel Know-how ist bereits weg, eine Trendwende nicht in Sicht.
Die Mehrheit will den Kulturkampf (noch) nicht riskieren
Es ist ohnehin erstaunlich und eine Besonderheit dieses Business, dass da draußen die reichsten Investoren der Welt darauf warten, ihre vielen Hundert Millionen in die Bundesliga zu schießen, diese sie aber (noch) nicht haben will. Warum? Weil die Öffnung des Marktes einen Kulturkampf zur Folge hätte, den bislang die Mehrheit nicht riskieren will. Die Fans würden auf die Barrikaden gehen. Ein russischer Oligarch als Chef des eigenen Klubs? Scheichs aus Katar? Unternehmer aus Amerika oder China? Was anderswo gang und gäbe ist, will sich hier bislang niemand vorstellen. Zudem hat etwa der Jordanier Hasan Ismaik, der den TSV 1860 in die vierte Liga hinunterfinanzierte, einen Scherbenhaufen hinterlassen.
Die Anhänger organisieren längst den Widerstand. Mehr als 3000 Fanklubs haben auf der Internetseite 50plus1bleibt.de unterzeichnet. Die Proteste gegen fremdbestimmte Klubs wie Hoffenheim (wo der SAP-Milliardär Dietmar Hopp eine Ausnahmegenehmigung hat) oder Leipzig (indirekt kontrolliert vom Getränkehersteller Red Bull) waren heftig. Die Fans wollen in einem florierenden Wirtschaftszweig den Lauf des Kapitalismus nicht anerkennen - eine in dieser Schärfe einzigartige Auflehnung gegen das neoliberale System.
Da allerdings eine Umverteilung der Finanzen von oben nach unten derzeit als Utopie abgetan werden kann, bleibt der Bundesliga sportlich nur, die festgefahrene Hierarchie anzuerkennen. Und dass sich praktisch alle Vereine außer dem FC Bayern auf ihre regionale Bedeutung konzentrieren müssen. Im Kleinen funktionieren die Klubs ja prächtig, auch ohne Aussicht auf Ruhm und Meisterschaft strömen die Zuschauer jedes Wochenende zu Zehntausenden in die Stadien. Hin und wieder nehmen sie sogar einen fernen, klitzekleinen Traum mit: noch einmal Bayern München schlagen.