Süddeutsche Zeitung

Bundesliga:Frankfurts Systemausfall

Der Traum der Eintracht von der Champions League zerbröselt auf den letzten Metern: Das 3:4 bei Absteiger Schalke sorgt für Entsetzen - Trainer Adi Hütter bemüht sein eigenes Erklärungsmuster.

Von Frank Hellmann, Frankfurt

Es zeugt von immenser Verbundenheit, dass David Abraham zur Aufmunterung extra aus Argentinien angereist kam. Der in der Bundesliga als wenig zimperlich bekannte Abwehrspieler hatte zwar vor dreieinhalb Monaten unter vielen Tränen mit seinem aktiven Kapitel bei Eintracht Frankfurt abgeschlossen, aber emotional ist er seinen Kollegen offenbar immer ganz nah. Zum Auswärtsspiel beim FC Schalke 04 saß Abraham, 34, jedenfalls als mentale Unterstützung mit am Spielfeldrand. Doch was er bei der peinlichen 3:4-Pleite beim Absteiger zu sehen bekam, dürfte ihn genauso entsetzt haben wie die meisten Eintracht-Fans zu Hause vor den Fernsehern.

Fast schon fahrlässig verspielten die Hessen die Aussicht auf die erstmalige Teilnahme an der Champions League. Wenn Borussia Dortmund am Sonntag (18 Uhr) beim FSV Mainz 05 gewinnt, zerplatzt der Traum von der Königsklasse. "Es ist so gut wie vorbei. Wenn eine Mannschaft, die schon abgestiegen ist, den Sieg mehr will als eine, die die Champions League erreichen kann, ist das sehr ernüchternd", urteilte Mittelfeldkämpfer Sebastian Rode, 30. "Versagt" hätten Mannschaft und Trainer, fügte er unverblümt an.

Damit war das Grundübel identifiziert. Seit nämlich Trainer Adi Hütter, 51, vor einem Monat unter allerlei Getöse seinen baldigen Weggang zu Borussia Mönchengladbach erklärte, ist dessen Mannschaft aus der Spur gekommen. Es folgt ein Crash mit Ansage. "Wir haben versucht, uns einzureden, dass es nichts ändert", sagte Rode: "Aber es ist nicht von der Hand zu weisen, jetzt haben wir es mit der dritten Niederlage schwarz auf weiß."

Die Architekten des Erfolgs verlassen alle den Klub

Genau wie bei Hütters künftigem Arbeitgeber am Niederrhein, wo Marco Roses Weggang einen ähnlich negativen Effekt auslöste, führt auch in Frankfurt der überraschende Abschiedswunsch des Fußballlehrers zum Systemausfall. "Wir haben das alle zusammen vergeigt. Es darf uns nicht passieren, hier mit 3:4 vom Platz zu gehen. An dieser Niederlage haben wir unglaublich zu knabbern", sagte Hütter zerknirscht. Karge vier Punkte kamen aus den vergangenen fünf Spielen heraus.

Es soll intern einiges nicht mehr gestimmt haben, doch war da niemand, der das Korrektiv hätte bilden können. Sportdirektor Bruno Hübner, 60, hört am Saisonende auf. Und Sportvorstand Fredi Bobic, 49, hatte Wochen vorher schon verlautbart, er besitze eine mündliche Zusage, aus seinem bis 2023 laufenden Arbeitspapier vorzeitig aussteigen zu können. Letztlich feilschte Bobic selbst um die Vertragsauflösung, um bald bei Hertha BSC anheuern zu können.

Dass alle Baumeister ausscheiden, hat Frankfurt nun sehr wahrscheinlich einen historischen Coup gekostet - so sehen das nicht nur weite Teile der Anhängerschaft, sondern auch ranghohe Vereinsvertreter. Hütter und Bobic, die Architekten des Aufschwungs, gehen unter unschönen Umständen. Vielleicht ist es von Vorteil, dass zum letzten Heimspiel gegen den SC Freiburg immer noch keine Fans zugelassen sind, zur Verabschiedung hätte es ansonsten höchstwahrscheinlich mindestens ein gellendes Pfeifkonzert gegeben.

Hütter bemüht sein eigenes Narrativ

Die Pleite auf Schalke markierte den Tiefpunkt des Negativtrends. Mit einem überaus luftigen Deckungsverhalten luden die Frankfurter nicht nur den erfahrenen Klaas-Jan Huntelaar mit einem im Nachschuss verwandelten Elfmeter (15.) zum Toreschießen ein, sondern auch Jungprofis wie Blendi Idrizi (52.), Florian Flick (60.) und Matthew Hoppe (64.). Da nützte es wenig, dass Frankfurts Torjäger André Silva mit seinen Saisontreffern 26 und 27 (29./72.) den Vereinsrekord von Bernd Hölzenbein aus der Saison 1976/77 übertraf und Evan N'Dicka zwischenzeitlich die Führung köpfelte (51.).

Der Nackenschlag auf der Zielgeraden ist vor allem für die große Fangemeinde bitter, die in jüngster Vergangenheit auf den Europa-League-Reisen ein besonderes Faible für die internationalen Wettbewerbe bewies. Die Champions League wäre auch für sie eine Belohnung nach der coronabedingten Abstinenz gewesen. Gastspiele von Manchester City oder Manchester United, Real Madrid oder FC Barcelona hätten zudem das Selbstwertgefühl des Bundesliga-Standorts Frankfurt gesteigert, der sich wie kaum eine andere Stadt in Deutschland über seine Internationalität definiert.

Womöglich kommt der Klub der Champions League, deren Geldregen in der Corona-Pandemie sehr willkommen gewesen wäre, erstmal nicht wieder so nahe. Hütter kämpfte am Samstag noch dagegen an, dass er als Verlierer scheidet. "Wir hatten ein Traumziel - aber jetzt werden wir wahrscheinlich scheitern. Aber wir sind immer noch Fünfter. Ich glaube, das ist eine sehr, sehr gute Leistung", sagte der Österreicher. Seine Lesart geht so: Er selbst habe doch im Januar, einen Tag nach dem Aus im DFB-Pokal bei Bayer Leverkusen (1:4) und in der Bundesliga auf Platz neun liegend, die tollkühne Idee in der Mannschaft gestreut, jetzt die Champions League anzugreifen.

Prompt trumpfte sein Team in den Folgewochen durchgängig groß auf, spielte zeitweise Fußball von höchstem Unterhaltungswert und schickte zwischendrin vor den Augen von Bundestrainers Joachim Löw sogar den FC Bayern (2:1) auf die Bretter. Doch gerade weil Verein, Trainer und Spieler lange eine solch funktionierende Gemeinschaft bildeten, war der Riss danach nicht mehr zu kitten. Hütter kann es drehen und wenden wie er will: Als echter Erfolg wird der dritte Einzug in die Europa League binnen vier Jahren bei Eintracht Frankfurt garantiert nicht gewertet.

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