Bundesliga:Dortmunds neue Kraft aus der Mitte

Bundesliga - Borussia Dortmund v RB Leipzig

Lenker mit Wuschelkopf: Axel Witsel.

(Foto: Wolfgang Rattay/Reuters)
  • Bereits nach kurzer Eingewöhnungszeit ist der Belgier Axel Witsel der Lenker des Dortmunder Spiels.
  • Zusammen mit Thomas Delaney und Mo Dahoud hat der BVB quasi ein komplett neues Mittelfeld auf dem Feld.
  • Taktisch sind diese drei Spieler sehr variabel und für Gegner schwer ausrechenbar.

Von Ulrich Hartmann, Dortmund

"Crazy", sagte Axel Witsel immer wieder. Aber er sagte es nicht schrill oder aufgekratzt, sondern in seiner ruhigen Art mit eher nüchternem Tonfall. Der 29-jährige Belgier spricht ungefähr so, wie er auch Fußball spielt, und wie er am Sonntag vor 80 000 Zuschauern gespielt und mit seinem neuen Klub Borussia Dortmund 4:1 gegen RB Leipzig gewonnen hatte, das war wirklich allenthalben "crazy". Verrückt, wie Leipzig nach 31 Sekunden in Führung gegangen war. Verrückt, wie Dortmund das Spiel trotz Leipziger Dominanz bereits zur Pause in ein 3:1 verwandelt hatte. Verrückt, wie Witsel das dritte Tor per spektakulärem Seitfallzieher geschossen hatte. Und verrückt, dass man nach dem 4:1 durch Marco Reus in der Nachspielzeit plötzlich auch noch alleiniger Tabellenführer war. Dortmund Erster, Bayern Zweiter, Leipzig Letzter.

Witsel trainiert erst seit Kurzem mit Borussia Dortmund unter Lucien Favre. Er hat netto erst drei Pflichtspiel-Halbzeiten mit dieser Mannschaft absolviert, aber man hat bereits das Gefühl, er lenkt dieses Team seit Jahren. Seine Präsenz und Übersicht, vor allem aber die Ruhe, die er am Ball ausstrahlt, sind bemerkenswert. Beim Pokalkrimi in Fürth wurde er eine Viertelstunde vor Schluss eingewechselt und erzielte in der Nachspielzeit jenen Ausgleich, der Dortmund in die Verlängerung rettete, in der Marco Reus spät das Siegtor schoss. Am Sonntag gegen Leipzig erzielte Witsel zwei Minuten vor der Pause jenes 3:1, das die eigentlich für Leipzig laufende Partie vorzeitig für Dortmund entschied.

Witsel wirkte wie der Igel aus der Kindergeschichte vom Hasen und vom Igel. Kam in der BVB-Defensive Gefahr auf, war er hinten zur Stelle, um zu klären. Wurde im Mittelfeld das Spiel aufgezogen, war er der Ballverteiler. Und ergab sich vorne eine Chance, wie in der 43. Minute, als Leipzigs Torwart Peter Gulacsi einen Kopfball von Thomas Delaney abprallen ließ, war Witsel auch schon wieder da, um den Ball artistisch ins Netz zu dreschen. "Ich bin schon da", hat der Igel beim Wettrennen immer wieder zum verdutzten Hasen gesagt, aber die Igel waren zu zweit, sie haben getrickst. Witsel macht alles allein.

"Da gibt es kein Geheimnis", hat der Belgier nach dem Spiel im Kabinengang mit einem breiten Grinsen gesagt. Dass er nach so kurzer Eingewöhnungszeit bereits so souverän spielt, dass er der torgefährlichste Dortmunder und mit zwei Treffern bester Schütze ist und dass er mit Delaney und Mahmoud Dahoud ein Mittelfeld-Dreieck bildet, wie der BVB zuletzt keines hatte, das erstaunte die Beobachter.

"Wir haben eine talentierte Mannschaft und viele junge Spieler, unter denen ich mit 29 Jahren einer der ältesten bin", sagte Witsel und fand es selbst offenbar gar nicht so überraschend, dass es gleich so gut läuft. Ob Dortmund sich an seine Tore gewöhnen dürfe, ist er gefragt worden. "Ich bin kein Stürmer", hat er da mit gespielt leichter Entrüstung geantwortet. "Aber wenn sich eine Chance eröffnet - dann mach' ich's."

Bewunderung überall

Dafür bewundern ihn die Kollegen, für seinen Fußball, für sein Näschen und für seine gelassene Art. "Axel ist der Größte", sagte mit entwaffnender Bewunderung der Däne Thomas Delaney, der auch neu in der Mannschaft ist. "Er ist sehr ruhig mit dem Ball und braucht nicht viele Chancen." Zusammen mit dem Dribbler Mo Dahoud und ihm selbst ("immer vor und zurück, vor und zurück, ich laufe viel"), schilderte Delaney, bilde Witsel ein "sehr lauf- und körperstarkes Dreieck", das seine Erscheinungsform jederzeit ändern könne.

"Wir können wechseln, jeder kann Sechs, jeder Acht, jeder Zehn." Diese für Laien kryptische Aussage bedeutet, dass jeder der Drei im Mittelfeld defensiv, mittig oder offensiv spielen kann. Gegen Leipzig hat Witsel allein den defensiven Sechser gegeben, Delaney und Dahoud waren die Achter auf den Halbpositionen davor. In diesem 4-3-3-System haben Marco Reus, Maximilian Philipp und Christian Pulisic die offensive Dreierreihe gebildet.

Das war schon so eine höchst effektive Konstellation, aber jetzt ist die Liga gespannt, ob der BVB in dieser Woche auch noch den spanischen Mittelstürmer Francisco Alcacer vom FC Barcelona verpflichtet und wie effektiv diese Mannschaft noch werden könnte mit einem zentralen Vollblut-Torjäger. Vor dem magischen Dreieck und inmitten von Flügelspielern wie Reus, Pulisic, Marius Wolf oder Jadon Sancho wäre für den 24-Jährigen jedes Spiel wie eine üppige Picknickdecke. Er müsste sich nur noch bedienen.

Administrator in diesem System ist der neue und erfahrene Trainer Lucien Favre, der an den Leistungen jedes einzelnen Spielers erheblichen Anteil hat. Er ist erst seit dem Sommer da, aber auch er brauchte nicht viel Zeit, um sich zu akklimatisieren. Am Sonntag hatte er - nach dem 31-Sekunden-Auftaktschock - viel Spaß.

Als er gefragt wurde, ob man den wie immer favorisierten Münchner Bayern dieses Jahr die Meisterschaft streitig mache, hat er sekundenlang etwas aufgesetzt gelacht, weil er sich um eine seriöse Antwort drücken wollte und weil es so seine Art ist, allzu forsche Fragensteller demonstrativ eine bisschen auszulachen, wenn sie ihm zu progressiv werden. "Es gibt noch so viel zu korrigieren", hat er dann lieber ernüchternd gesagt - aber was als Ausdruck der Demut gedacht war, ist für die Bundesliga nichts anderes als eine ernsthafte Androhung.

Zur SZ-Startseite
FC Bayern München - Fans

50+1-Regel
:Die Bundesliga muss sich entscheiden

Der Kern der 50+1-Frage: Wird die Bundesliga endgültig zur Finanzmaschine oder bleibt sie eine einflussreiche gesellschaftliche Kraft? Klar ist schon jetzt: Der FC Bayern profitiert so oder so.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: