Bundesliga:Dortmund verdaddelt die große Chance

Bundesliga: Christian Pulisic kam diesmal einfach nicht durch - sein BVB verlor in Leverkusen.

Christian Pulisic kam diesmal einfach nicht durch - sein BVB verlor in Leverkusen.

(Foto: AP)

Von Philipp Selldorf, Leverkusen

Die Vorlage, die der FC Bayern am Nachmittag mit dem Unentschieden gegen den 1. FC Köln geliefert hatte, konnte Borussia Dortmund am Samstagabend nicht dazu nutzen, an den Tabellenführer heranzurücken. Stattdessen ist der BVB nach der 0:2-Niederlage bei Bayer Leverkusen sogar einen weiteren Punkt zurückgefallen. Der Stand des Wettbewerbs mit dem Rivalen im Süden dürfte für die Verantwortlichen zunächst aber zweitrangig sein.

Im Mittelpunkt der Betrachtung steht wohl eher die Erkenntnis, dass die neuformierte Borussia noch nicht so frühentwickelt ist, wie es zuletzt den Anschein hatte. Bayer 04 zeigte den Dortmundern mit einer taktisch animierten Energieleistung Grenzen auf. Mit rührender Leidenschaft kämpfte das junge Team bis in die letzte Sekunde der Nachspielzeit gegen die Niederlage, was ehrenwert - aber auch absehbar vergeblich war. Um 20:24 Uhr rissen die Leverkusener die Arme hoch, das Top-Spiel des sechsten Spieltags hatte den verdienten Sieger.

"Ich habe mir das Spiel ziemlich genau so vorgestellt. Man hat uns den Substanzverlust heute angemerkt", sagte Dortmunds Trainer Thomas Tuchel bei Sky. "Es hat die Frische im Kopf und auch in den Beinen gefehlt. Wir geraten nach einem Standard unglücklich in Rückstand. Das ist am Ende einer englischen Woche das Schlimmste, was einem in Leverkusen passieren kann."

Eine hochintensive und hitzige Partie

Beide Trainer sahen in den Champions-League-Engagements während der Woche keinen Anlass für großräumige Umbauten. Roger Schmidt ließ bis auf Kevin Volland das gleiche Team spielen, das am Dienstag in Monaco ein zwiespältiges 1:1 zustande brachte; Thomas Tuchel hielt bis auf Marcel Schmelzer und Mario Götze die Elf beisammen, die Real Madrid zum Remis genötigt hatte. Europameister Raphael Guerreiro, bisher im Mittelfeld eingesetzt, durfte auf seiner angestammten Position als linker Außenverteidiger spielen. Die Vorgeschichte aus dem Europacup sollte sich aber noch als erheblicher Einflussfaktor erweisen. Unter dem Druck, den frühen Rückstand wettzumachen, machte sich beim BVB zunehmend Erschöpfung bemerkbar. Bayer wusste seine Reserven besser zu nutzen.

Sowohl Schmidt als auch Tuchel hatten eine hochintensive und hitzige Partie angekündigt und damit nicht zu viel versprochen. Von Anfang an ließ keine Partei dem Gegner Platz zur Entfaltung, und so entwickelte sich ein Spiel, das aus Zweikämpfen, Zweikämpfen und noch mehr Zweikämpfen bestand. Vorwiegend trug sich das Geschehen zwischen den Strafräumen zu. Den Hausherren kam entgegen, dass ihnen zeitig die Führung glückte. Admir Mehmedi nutzte eine Flanke von Hakan Calhanoglu zum Kopfball, Julian Weigl geriet im entscheidenden Moment ins Stolpern und konnte es nicht verhindern. (10. Minute).

Das 1:0 schuf für die Leverkusener eine willkommene Ausgangslage, sie durften sich zurückziehen und dem BVB die Mühe der Spielgestaltung überlassen. Damit hatten die Dortmunder ihre Probleme, der Versuch ihr berüchtigtes Tempospiel aufzuziehen, scheiterte außer an der bestens organisierten Gegenwehr des Gegners an den vielen Ungenauigkeiten im Pass-Spiel. Hektik und Unruhe mischten sich prominent ins Handeln. Linksaußen Ousmane Dembelé veranschaulichte die Unzufriedenheit der Dortmunder mit sich selbst, indem er immer wieder aktionistische Soli startete, die am nächstbesten Bayer-Bein endeten.

Ein taktischer Kniff von Roger Schmidt

Die Schieflage im BVB-System beruhte nicht zuletzt auf einem Kniff von Roger Schmidt. Der Nationalspieler Weigl durfte sich geehrt fühlen, dass er in den strategischen Plänen des gegnerischen Trainers eine wesentliche Rolle einnahm. Dem Dortmunder Mittelfeldposten, der im Spielaufbau als eine Art Autobahnkreuz fungiert, widmete Bayer eine wechselnde Sonderbewachung. Ließ er sich in die Tiefe fallen, nahmen sich die Angriffsspitzen Mehmedi und Javier "Chicharito" Hernandez des 20-Jährigen an, rückte er Richtung Mittellinie vor, stießen Calhanoglu oder Charles Arranguiz zu ihm.

Diese neumodische Variante der Manndeckung zeigte Wirkung, Weigl - der Stammspieler schlechthin im Dortmunder Team - fand nicht zu seiner typischen Rolle als Ballverteiler. Auch Gonzalo Castro, der offensive Spielgestalter, kam in der alten Heimat nicht in Form. Das dürfte aber kaum an den vereinzelten Pfiffen gelegen haben, die ihm ein paar enttäuschte Bayer-Fans widmeten, wann immer er am Ball war. Tuchel tat Castro (den er gerade noch energisch für die Nationalelf empfohlen hatte) einen Gefallen, als er ihn zur Pause vom Feld nahm.

Torchancen blieben in beiden Halbzeiten selten. Bayer hoffte mit gutem Grund darauf, dass aus den Fehlern der erkennbar genervten Dortmunder Möglichkeiten entstehen könnten. Einen dramatischen Fehlpass von Guerreiro, den Calhanoglu abfing, hätte der allüberall präsente Kevin Kampl beinahe zum 2:0 genutzt (32. Minute). Die Dortmunder machten zwar viel Wind, aber ihre forcierte Offensive brachte allenfalls Ansätze hervor.

Den schwersten Leverkusener Zittermoment gab es kurz vor der Pause: Emerick Aubameyang legte geschickt auf den wunderbar freistehenden Dembelé ab, doch dieser schoss den Ball erstens weit vorbei und zweitens hoch drüber. Auch in der zweiten Hälfte kämpfte der überanstrengte BVB mit vielen selbstverschuldeten Ballverlusten - und mit der Zweikampfhärte, die Bayer wirksam einsetzte. Tuchel störte sich nach dem Spiel an der Zweikampfführung des Gegners. 21 Fouls gegen den BVB hatte er gezählt und klagte darüber, dass Dortmunds Gegner zuverlässig die Foul-Statistik für sich entschieden. "Irgendwann sind da Grenzen überschritten. Da werden Mittel angewendet, die in der Häufigkeit dazu führen müssen, dass man nicht komplett zu Ende spielt."

In den wenigen Szenen indes, in denen die Schwarz-Gelben bis in den Strafraum vordrangen, waren Jonathan Tah und Ömer Toprak zur Stelle, die ein preiswürdiges Innenverteidiger-Duett abgaben. So blieb ein Alleingang von Aubameyang die einzig nennenswerte Gelegenheit für die Gäste, ehe Bayer mit einem traumhaften Konter über Volland und Calhanoglu das Spiel entschied. Torjäger Chicharito mit seinem fünften Treffer binnen acht Tagen blieb das Privileg vorbehalten, den Treffer zum 2:0 zu erzielen. Kevin Volland hätte kurz darauf sogar noch das 3:0 schießen können, das wäre des Guten aber doch zu viel gewesen.

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