Bundesliga:Dortmund feiert die Tage des Döners

Borussia Dortmund v RB Leipzig - Bundesliga

Teil der Zirkusnummer: Pierre-Emerick Aubameyang nach seinem Tor zum 1:0.

(Foto: Bongarts/Getty Images)

Von Philipp Selldorf, Dortmund

Außer dem rasanten Spiel war am Samstagabend auch der Speiseplan für die Hauptdarsteller sehenswert und aufschlussreich. Einerseits, weil er Klischees widerlegte - andererseits, weil er Klischees bestätigte. Während die 1:0-Sieger aus Dortmund von ihrem für Askese und Genussverzicht berüchtigten Trainer zum Döner-Festmahl aufgerufen wurden, wahrten die Verlierer aus Leipzig die klinischen Grundsätze ihres Laborprojekts für Hochleistungsfußball: Sie orderten zur Heimfahrt ein veganes Menü in die Kabine.

Auch der 23. Mann und seine Assistenten blieben natürlich nicht unversorgt, Schiedsrichter Tobias Stieler und seine Kollegen trugen - eine Stunde nach dem Abpfiff immer noch in der abgenutzten Einsatzdienstkleidung des DFB - Scampi in ihre Kabine. Diese Mahlzeit auf Kosten der Hausherren hatten sie sich verdient.

Speziell dem Linienrichter Sascha Thielert sind die Dortmunder zu Dank und ewiger Zuneigung verpflichtet. Dass nach unruhigen Tagen im Hause Borussia ein wenig Frieden einkehren konnte, das war vor allem seinem extrem scharfen Blick zu verdanken. Nach mehr als anderthalbstündiger Aufsicht über ein Spiel, das von harten Zweikämpfen, hohem Tempo und einer derbyartigen Intensität geprägt war, behielt Thielert auf seinem Posten an der Seitenlinie auch in der Nachspielzeit noch den präzisen Überblick.

Man weiß nicht, um wie viele Zentimeter sich der Leipziger Einwechselspieler Federico Palacios im Abseits bewegte - die Fernsehbilder geben darüber nicht wissenschaftlich exakt Auskunft -, aber man weiß, dass es allenfalls Zentimeter waren, die dazu führten, dass sein Treffer zum 1:1 nicht zählen durfte.

So blieb dem BVB außer dem Ausgleich in der 93. Minute auch eine wahrscheinlich weltweite Diskussion über den kilometerlangen Mängelkatalog eines verhinderten Spitzenteams erspart. Kommentatoren hätten gewohnheitsmäßig Trainer Thomas Tuchel für die Defizite verantwortlich gemacht, Misstrauen und allgemeine Unzufriedenheit hätten das Klima bestimmt. Außerdem wäre den Borussen der wertvollste Verteidiger abhandengekommen: "Hätte das Gegentor gezählt, hätte man mich ins Krankenhaus einliefern müssen", versicherte Abwehrspieler Sokratis, mit einem Faustschlag vor die Brust feierlich den drohenden Herzinfarkt anzeigend.

Und unangenehm wäre die Debatte auch für Marco Reus geworden. Der Nationalspieler hatte sich im Auslassen erstklassiger Tormöglichkeiten von Mal zu Mal selbst übertroffen, Tuchel übertrieb keineswegs, als er behauptete, dieses 1:0 sei in Wahrheit "ein verkleidetes 4:0 gewesen: Wir hatten hochkarätigste Chancen in großer Anzahl und hätten zwei, drei, vier Tore nachlegen können". Reus war der Mann, der zwei, drei, vier Tore ausließ, "fast schon fahrlässig", wie Tuchel fand.

Aber Reus war zugleich der Mann, der das Dortmunder Spiel in der zweiten Halbzeit inspirierte und an entscheidender Stelle anspitzte. Sokratis vertrat daher die Meinung, dass Marco Reus der "Man of the Match" gewesen sei, nicht wegen seiner offensiven Geistesblitze, sondern wegen der aufopferungsvollen Verteidigungsarbeit, die er obendrein für das Team leistete. Der griechische Abwehrmann hätte sich aus ähnlichem Grund ebenso für die Auszeichnung bewerben können. Im Grunde hatte die komplette Dortmunder Elf wie ein Sondereinsatzkommando agiert, nicht wiederzuerkennen gegenüber dem faden Auftritt in Mainz in der vorigen Woche.

Wie ein ideologischer Kulturkampf

Den speziellen Charakter dieses Spiels illustrierte Sokratis, als er mit einem heftigen Bodycheck den Leipziger Angreifer Yussuf Poulsen in die Bande stieß. Das Dortmunder Publikum bejubelte die Kampfsporteinlage, als hätte der Stadionsprecher Freibier versprochen, woraufhin Sokratis mit rudernden Armbewegungen und grimmiger Miene die Leute animierte, noch mehr Circus-Maximus-Stimmung zu veranstalten.

Manchmal sah dieses Fußballspiel tatsächlich wie der ideologische Kulturkampf aus, zu dem es nicht nur die orthodoxen BVB-Fans auf der Südtribüne mit ihren Tiraden gegen das missliebige Unternehmen aus Sachsen stilisierten. Sokratis ("das war heute vielleicht unser bestes Spiel in der ganzen Saison") hob jedoch eine andere Form von soldatischer Motivation hervor: "Borussia Dortmund muss besser Fußball spielen? Nein, Borussia Dortmund muss gewinnen!"

Tuchel hofft, dass der Sieg ein "Schlussstrich" unter die jüngsten Debatten ist

Auch die Trainer fanden auf ihre eigene Art Gefallen an dem Abend. Ralph Hasenhüttl trug zum Abschied ein zufriedenes Lächeln davon und erklärte sich im Namen des spätgeborenen Bundesligisten RB für geehrt, zu diesem hervorragenden Match einen Beitrag geleistet haben zu dürfen. Den verbissenen Ehrgeiz des gesellschaftlichen Aufsteigers, der die Leipziger oft begleitet, konterte der österreichische Trainer diesmal mit charmant zur Schau gestellter Gelassenheit. Die Niederlage? Eine Kleinigkeit am Rande, so Hasenhüttl: "Wir haben das Hinspiel 1:0 gewonnen, die Dortmunder das Rückspiel. Alles gut!"

Tuchel verfiel vor Freude über den überraschend befreiten Auftritt seines Teams in den Predigerton: "Ein großer Schritt!", rief er aus, "mit all der Stimmung, all der Emotionalität, das fühlt sich überragend an. Wenn Druck drauf ist im Stadion, wenn das Flutlicht an ist, dann packt es mich auch. Dann werde ich emotional. Ich war einfach sehr glücklich." Zu sehen bei seinem Klopp-artigen Jubel nach dem 1:0. Wenn "Druck auf dem Kessel" sei, so Tuchel schmunzelnd, könne er schlecht "mit den Händen in den Taschen jubeln". Er hoffe, dass dieser Sieg ein "Schlussstrich" unter die jüngsten Klubdebatten sei. Erfreut dürfte der Trainer am Sonntag auch den ersten Transfervollzug für den Sommer registriert haben: Innenverteidiger Ömer Toprak kommt, wie erwartet, aus Leverkusen - mittels Ausstiegsklausel, für angeblich zwölf Millionen Euro. Der Türke war schon vor der Saison Tuchels Wunschkandidat, als der BVB einen Nachfolger für Mats Hummels suchte.

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