Bundesliga:Die Zeit rinnt davon

13.02.2021, Fussball, Saison 2020/2021, 1. Bundesliga, 21.Spieltag, FC Union Berlin - FC Schalke 04, Amine Harit (FC Sc

Es ist zum Rotzen: Schalkes Amine Harit verarbeitet das torlose Unentschieden bei Union Berlin.

(Foto: Tim Rehbein/imago)

Nach dem 0:0 bei Union Berlin wird die Mission Klassenerhalt für Schalkes Trainer Gross immer schwieriger - trotz des Lobes vom Schweizer Landsmann und Kollegen Urs Fischer, der seinerseits ein wenig mit seinen Stürmern hadert.

Von Javier Cáceres, Berlin

Es war nicht nur landsmannschaftlicher Verbundenheit geschuldet, dass der Schweizer Urs Fischer am Sonntag Christian Gross lobte. Fischer und Gross sind beide Zürcher und beide Trainer: der eine sentimental beim FC Zürich, der andere beim Grasshopper-Club verortet; der eine aktuell bei Union Berlin, der andere nun bei Schalke 04 angestellt. Am Samstag trafen sich ihre derzeitigen Mannschaften in Köpenick, und sie einigten sich auf ein 0:0, das dem Tabellenletzten aus Gelsenkirchen im Kampf gegen den Abstieg kaum, den Berlinern hingegen viel nutzte.

Fischers Lob für Gross hörte sich so an: Er habe sich schon im vorab geäußerten Eindruck bestätigt gesehen, dass sich die Schalker Mannschaft durch das Wirken des Kollegen stabilisiert habe. Nur: Ob das reicht, um die Hoffnung auf den Klassenerhalt aufrechtzuerhalten? Jetzt, wo die Schalker Fans nicht mehr frohgemut das Steigerlied ("Glück Auf, Glück auf ..."), sondern allenfalls und flehentlich: "Kleine Flamme, brenne hell/Gib uns Hoffnung durch dein Licht" singen, weil die Königsblauen so unglaublich abgeschlagen am Tabellenende stehen? Aber warum denn nicht noch dran glauben, rief Fischer: "So wie die Mannschaft aufgetreten ist, so wie ich sie hier erlebt habe, besteht diese Hoffnung!"

In der Tat, ein Punkt in Köpenick ist gar kein so schlechtes Resultat, man muss sich da nur mal bei den Mannschaften aus dem ersten Drittel der Tabelle umhören, Weltpokalsieger FC Bayern inklusive. Nur: Der Faktor Zeit spielt halt eine unerbittliche Rolle. Schon vor der Partie hatte Gross daran erinnert, dass die Zeit den Schalkern entrinnt. Nun hat sie sich weiter verknappt, der Weg bis zum Saisonende ist wieder um einen Spieltag kürzer, der Sieg- und Zugzwang der Schalker noch größer. Ein Punkt sei ein Punkt, rechnete Gross nach dem Remis in Berlin mit der Präzision eines Schweizer Uhrmachers vor: "Aber wir brauchen in Zukunft das ganze Paket." Sprich: drei Punkte, einen Sieg - spätestens am kommenden Wochenende, wenn das Derby mit dem (anders, aber ebenfalls) kriselnden Nachbarn Borussia Dortmund ansteht.

Die Schalker sind nun seit 21 Auswärtsspielen ohne Sieg

Ob dann Sportvorstand Jochen Schneider noch dabei ist? Das wird in den kommenden Tagen eine spannende Frage. Am Freitag hatte es auf dem Vereinsgelände Proteste von Schalke-Anhängern gegeben, auf Plakaten und in Chören forderten sie: "Schneider raus!" Falls es als Exorzismus intendiert war, schlug er tendenziell fehl. Auch danach blieb man in einem Auswärtsspiel ohne Sieg, nun seit 21 Partien. Mit nur neun Punkten nach 21 Spieltagen stellt Schalke die schlechteste Bundesliga-Mannschaft seit Einführung der Drei-Punkte-Regel. Und die geschah schon zur Saison 1995/96.

Diese ernüchternde Bilanz liegt nicht zuletzt daran, dass die Schalker kaum Chancen kreierten. Durch die Rückkehr des zuletzt für die Dauer von zweieinhalb Monaten aus disziplinarischen Gründen verbannten Nabil Bentaleb war zwar gegen Union stellenweise so etwas wie Spielkultur zu sehen - Torwart Ralf Fährmann und Mittelfeldspieler Suat Serdar waren aus nachvollziehbaren Gründen erleichtert, dass der bereits fünfmal suspendierte Bentaleb wieder begnadigt wurde. Aber am Ende lag es auch an Bentalebs fehlendem Rhythmus, dass Schalke die Kontrolle über die Partie entglitt und Union zu einer guten Zahl an Chancen kam.

1. FC Union Berlin v FC Schalke 04 - Bundesliga

Auf Punktejagd: Der zum fünften Mal vom FC Schalke 04 begnadigte Nabil Bentaleb (links) wird von den Berlinern Marvin Friedrich und Robert Andrich verfolgt.

(Foto: Maja Hitij/Getty Images)

Dass die Köpenicker diese nicht nutzten, war das einzige, was Trainer Fischer bei einer Medienrunde am Sonntag am Auftritt seiner Mannschaft auszusetzen hatte: "Wir wissen, dass wir im Abschluss gesündigt haben", sagte der Schweizer. Dass Union nun schon seit fünf Partien auf einen Sieg wartet, ließ sich verschmerzen. Es hat sogar etwas Beruhigendes, die neulich noch nervenden Debatten über eine mögliche Qualifikation für europäische Wettbewerbe ist erst einmal abgewürgt. Und die Gefahr, das Saisonziel Klassenverbleib zu verfehlen, ist mit aktuell 30 Punkten weiter überschaubar. Gleichwohl: Es nervt Fischer, dass seine Stürmer vor dem Tor die falschen Entscheidungen trafen und "das Runde nicht über diese Linie" brachten - zum Beispiel der Nigerianer Taiwo Awoniji, der ein gutes Spiel gemacht habe, sich dafür aber nicht belohnte.

Es mangele an "Gier", an "Entschlossenheit", an "Lockerheit" und auch an "Geilheit", wie er verschämt sagte: "Ich entschuldige mich dafür." Diese "Geilheit" zu schüren, wird nun Teil des Trainingsprogramms der kommenden Tage, es gebe da spezielle Übungen, sagte Fischer. Das ließ darauf schließen, dass er keine Anleihen beim spanischen Kollegen Joaquín Caparrós nehmen wird, dem derzeitigen Nationaltrainer Armeniens. Zu seiner Zeit bei Real Mallorca hatte auch Caparrós unter seinen Spielern "Geilheit" vermisst - und ihnen vor einer Partie gegen Athletic Bilbao im Jahr 2012 nicht etwa Videosequenzen mit den besten Szenen des Gegners vorgeführt, sondern in der Mannschaftssitzung einen Pornofilm abgespult. Zur Nachahmung empfahl sich der Psychotrick übrigens nur bedingt: Mallorca verlor 0:1.

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