Bundesliga:Die stolzen Letzten aus Berlin

Bundesliga: Erster der Letzten: Kapitän Hans-Günter Becker (rechts) führt im August 1965 das Team von Tasmania Berlin beim Spiel in Mönchengladbach (0:5) an.

Erster der Letzten: Kapitän Hans-Günter Becker (rechts) führt im August 1965 das Team von Tasmania Berlin beim Spiel in Mönchengladbach (0:5) an.

(Foto: imago)
  • Die Mannschaft des SC Tasmania Berlin von 1965/66 gilt als Inbegriff des fußballerischen Scheiterns.
  • Wann immer ein Bundesligist durch die Liga torkelt, geht es auch um Tasmania und um die Frage, ob ein Klub noch schlechter sein kann.
  • Den Kapitän des damaligen Teams, Hans-Günter Becker, stört das nicht. Er will die Negativrekorde behalten.

Von Christopher Gerards, Berlin

Hans-Günter Becker kann sich nicht mehr an alle Details seines Fernsehauftritts erinnern, aber das Wichtigste hat er sich gemerkt. 2014 hatte ihn ein Privatsender eingeladen, Becker sollte in einer Art Rate-Sendung mitspielen, das Konzept ging so: Mehrere Gäste erzählten ihre Geschichten, aber nur einer von ihnen erzählte die Wahrheit. Mehr oder weniger prominente Menschen sollten dann herausfinden, wer nicht gelogen hatte. Beckers Geschichte lautete, dass er der Kapitän war der schlechtesten Bundesliga-Mannschaft der Historie. Becker sagt: "Hat keiner gewusst, dass ich das war." Es stimmte aber.

Den Namen Hans-Günter Becker, 79, kennen die wenigsten Fußballfans, aber den Verein, für den er spielte, von dem haben die meisten schon gehört: SC Tasmania 1900 Berlin, Bundesligist 1965/66, seither Inbegriff des fußballerischen Scheiterns. 34 Spiele, 8:60 Punkte, 15:108 Tore - das ist Tasmanias Bilanz, und wann immer der Hamburger SV oder - wie in der gerade abgelaufenen Vorrunde - der 1. FC Köln durch die Liga torkelt, geht es auch um Tasmania und um die Frage, ob ein Klub noch schlechter sein kann. Oder, wie bild.de es ausdrückt: ob "der 52 Jahre alte Deppen-Rekord von Tasmania Berlin (vier Punkte nach 17 Spielen)" bestehen bleibt.

Becker kennt den Ruf seines Klubs, und er sagt, dass dieser ihn nicht störe, im Gegenteil. "Den Rekord wollen wir behalten", sagt er, denn er findet, dass die Aufmerksamkeit auch etwas Gutes hat. Er kann den Leuten erzählen, wie das alles kam und dass auch ein Deppen-Rekord seine Geschichte hat. Es ist eine Geschichte, die von der jungen Bundesliga handelt, vor allem aber vom Improvisieren, vom Verlieren und vom Weitermachen. Becker sagt: "Das ist mir bisher bei jedem gelungen, dass er sagt: Da ist was dran." Also dann.

"To my friend Hands"

Ein Samstag im Jahre 2017. Becker, drahtige Figur, Schnauzbart, randlose Brille, sitzt in seiner Berliner Wohnung, in einem kleinen Raum, "den nenn' ick Sport- oder Fußballraum oder Büro", er könnte ihn auch Museum nennen. An den Wänden hängen Fotos und alte Zeitungsausschnitte, von ihm und Stanley Matthews, einst Nationalspieler in England, Europas Fußballer des Jahres dazu, "to my friend Hans", steht darauf. Von einem Spiel im Grünwalder Stadion in München, 1860 gegen Tasmania. Und von der Tasmania-Mannschaft, Saison 1962/63.

1961 wechselte Becker, Rechtsverteidiger, zu Tasmania, und zu den Kuriositäten in der Geschichte dieses ewigen Letzten gehört, dass er in der folgenden Saison auch Deutscher Meister hätte werden können. Die Bundesliga gab es noch nicht, aber in der Berliner Liga wurde Tasmania Erster, vor Hertha BSC, spielte dann in einer Gruppe mit Nürnberg, Schalke und Neunkirchen um den Einzug ins Finale der Meisterschaft. Tasmania wurde Gruppenzweiter, Nürnberg erreichte das Endspiel. In der 1963 gegründeten Bundesliga war Tasmania dann nicht vertreten, aber in der Saison 1964 spielte der Klub wieder um den Aufstieg, diesmal in einer Gruppe mit Neunkirchen, St. Pauli und dem FC Bayern. Becker hat die Ergebnisse noch im Kopf, er sagt: "In München haben wir 1:1 gespielt, und die kommen nach Berlin, und wir schlagen sie 3:0. Mit Beckenbauer, Maier, Gerd Müller." Am Ende stieg Neunkirchen auf. Becker ist dieser Teil der Geschichte wichtig, denn wer Bayern schlägt, wer um den Aufstieg um die Bundesliga spielt, der kann so schlecht nicht sein. Es ist eines der Paradoxe dieses Scheiterns: dass Tasmania ja erstmal einen Erfolg brauchte, um zu scheitern. Dass der Klub zunächst mal in die Bundesliga aufsteigen musste.

Die Liga wächst auf 18 Klubs an, Tasmania ist dabei

1965 war das, eine komplizierte Geschichte, aber sie erklärt Tasmanias Saison, zumindest teilweise. Es begann damit, dass Hertha BSC vom Deutschen Fußball-Bund (DFB) in die Regionalliga versetzt wurde, der Klub hatte Spielern zu hohe Handgelder gezahlt, ein Verstoß gegen die Statuten. Die Bundesliga hatte seinerzeit nur 16 Mannschaften, abgestiegen waren eigentlich Schalke und Karlsruhe. Doch nun: entstand ein Hin und Her darüber, welcher Verein in der Bundesliga spielen durfte, der Sporthistoriker Hanns Leske hat all das in seinem Buch "Der ewige Letzte - Die wahre Geschichte der Tasmanen" nachgezeichnet. Es ging auch um Politik, darum, einen Berliner Vertreter in der Bundesliga zu sehen; und um die Frage, warum Tasmania nicht schon zu den Gründungsmitgliedern zählte. Am Ende entschied der DFB-Bundestag: Die Liga sollte auf 18 Klubs wachsen, Tasmania kam hinzu. Das erste Saisonspiel stand zwei Wochen später an.

Becker war im Urlaub an der Ostsee, als er ahnte, dass er bald Bundesligaspieler sein könnte. Ein Mann, den er am Tag vorher kennengelernt hatte, hatte die Nachricht im Radio gehört. Also rief Becker beim Klub an und erfuhr, dass die Nachricht stimmte. Aber Becker, so erzählt er es heute, ahnte schon, dass Tasmania nicht lange Erstligist bleiben würde: "Wir waren an die 30, der Zenit war eigentlich schon überschritten." In der kurzen Zeit sei es zudem schwierig gewesen, neue Spieler zu finden. Also behielt Becker seinen Beruf, Verwaltungsangestellter beim Landesamt für Mess- und Eichwesen, "'ne ganz jute Stellung", nun in Teilzeit.

Irgendwann kursierten Witze über Tasmania

Becker weiß noch, wie es war, als sie erstmals in der Bundesliga spielten. Ausverkauftes Olympiastadion, der Karlsruher SC war zu Gast. "Ich musste eine Rede halten vor dem Spiel, nach dem Motto: Wenn mal ein Fehlpass kommt, pfeift uns bitte nicht aus." Es pfiff sie dann niemand aus, und das lag auch daran, dass Tasmania das Spiel 2:0 gewann, durch Tore von Wulf-Ingo Usbeck. Es war einer von zwei Siegen in dieser Saison, und es waren zwei von letztlich nur 15 Toren.

Es folgten: ein 0:5 gegen Mönchengladbach, ein 0:2 gegen Dortmund, ein 1:5 gegen Hamburg, in 0:2 gegen den FC Bayern, ein 2:7 gegen Nürnberg, ein 1:5 gegen Hannover. "Ich kann Ihnen versichern", sagt Becker: "Wir haben vor jedem Spiel gesagt: Das Spiel fängt mit 0:0 an. Wenn der Gegner besser ist, dann müssen wir das hinnehmen. Aber wir können nicht sagen: Das hat sowieso keinen Sinn."

Sie haben ja viel versucht. Sie haben den Trainer gewechselt, geändert aber hat das wenig. Irgendwann kursierten Witze über Tasmania, ein bisschen wie heute beim HSV, Becker kennt noch einen: "Papa, wann hat Tasmania das letzte Mal gewonnen? Antwort: Das weiß ich nicht, da musst du Opa fragen." Nunja.

Bald blieben auch die Zuschauer weg im Olympiastadion, offizielle Besucherzahl beim 0:0 gegen Gladbach im Januar 1966: 827. "Die anderen waren besser, und wir waren von Anfang an benachteiligt, und zwar ganz stark. Und das vergessen die meisten", sagt Becker. Was die meisten nicht vergessen: Tasmanias Bundesliga-Rekorde. Letzter Platz in der ewigen Tabelle. Schlechteste Saison. Kein Auswärtssieg. 31 Spiele ohne Sieg. 0:9-Heimniederlage. Geringste Zuschauerzahl bei einem Spiel.

Zuletzt drohte dem 1. FC Köln eine noch schlechtere Bilanz

In einer Sportart, die viel auf Statistiken gibt, hat Tasmania sich durch Unvermögen in die Geschichtsbücher gespielt, und zwar nicht auf die hinteren Seiten. Borussia Neunkirchen? Spielte auch nicht berauschend. Stieg auch ab. Aber wenn ein Klub mal wieder schwächelt, dann rufen die Reporter nicht in Neunkirchen an, sondern in Berlin bei Hans-Günter Becker, und sie überschreiben ihre Artikel mit "Tasmania HSV", und nicht mit "HSV Neunkirchen".

Bis 1971 blieb Becker bei Tasmania, dann hörte er auf mit dem Fußball. Der Verein trat 1969, 1971 und 1972 noch in der Aufstiegsrunde an, 1973 war er insolvent. Der inoffizielle Nachfolgeklub SV Tasmania Berlin spielt heute in der sechsten Liga. Wenn Becker Zeit hat, schaut er sich Spiele an, einige seiner früheren Mitspieler trifft er ein Mal im Jahr, immer am 11.11.

Kürzlich hat Becker sich wieder mal im Fernsehen gesehen, vor dem Spiel Köln gegen Wolfsburg, 17. Spieltag der Bundesliga. In der Sportschau gab Becker ein Interview, Köln drohte ja den Hinrunden-Rekord von Tasmania zu brechen. Am Ende gewann Köln, es ist jetzt nicht ganz so schlecht wie damals Tasmania. Ob es dabei bleibt? Zehn Punkte holte Beckers Mannschaft in der gesamten Saison, zumindest gemäß der heute geltenden Drei-Punkte-Regel. Köln hat jetzt sechs Punkte - kommen nur fünf dazu, behält Tasmania seinen Rekord. Und das dann vermutlich sogar auf ewig.

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