MeinungKrise beim BVB:Nur die Dortmunder Kumpel-Philosophie schützt Nuri Sahin noch

Kommentar von Freddie Röckenhaus, Dortmund

Lesezeit: 2 Min.

Sieht nicht gerade überzeugt aus: Nuri Sahin in Wolfsburg.
Sieht nicht gerade überzeugt aus: Nuri Sahin in Wolfsburg. (Foto: Stuart Franklin/Getty Images)

Der neue Trainer hat es beim BVB nicht geschafft, Euphorie zu entfachen – die Mannschaft wirkt seit Saisonbeginn führungslos.

Als Nuri Sahin im Sommer sein erstes Trainingslager als Chefcoach von Borussia Dortmund leitete, schwärmte die breit aufgestellte Führungsetage des BVB. Sahin, wenig später 36 Jahre alt geworden, verschaffe sich sofort Respekt. Er bekomme, so hieß es, einen ganz anderen Zug in die Truppe – also alles ganz anders als unter der Leitung des manchmal etwas gefühlsduselig wirkenden Trainer-Vorgängers Edin Terzic. Zur Erinnerung: Terzic war derjenige, mit dem der BVB allein durchs schlechtere Torverhältnis die Meisterschaft 2023 knapp verfehlt hatte. Und dessen letztes Spiel das Champions-League-Finale 2024 gegen Real Madrid war.

Am Dienstagabend, knapp fünf Monate später, hat sich der BVB-Optimismus gelegt. In der Champions League gab es zuletzt fünf Gegentore in 30 Minuten bei jenem Real Madrid, dem man im Juni noch ein Spitz-auf-Knopf-Endspiel geliefert hatte (0:2). In der Bundesliga gab es bereits drei Niederlagen in acht Spielen, aber keine einzige überzeugende Vorstellung. Und jetzt, nach einem einfallslosen, grauen Spiel in Wolfsburg, ist Dortmund aus dem DFB-Pokal früh ausgeschieden.

Vor ein paar Jahren hatte der BVB als Nachfolger des gefeuerten Thomas Tuchel überraschend den Trainer Peter Bosz aus dem Hut gezaubert - seinerzeit immerhin schon mal niederländischer Meister mit Ajax Amsterdam. Bosz fegte mit einer weitgehend abwehrfreien Formation sieben Spieltage lang die halbe Bundesliga aus den Stadien und begann dann alles, aber auch alles zu verlieren. Bosz flog, und das Trainer-Karussell begann zu rotieren. Die Chefs auf der BVB-Bank seither: Stöger, Favre, Terzic, Rose, Terzic, Sahin.

Bei Sahin, zuvor als Trainer bei seinem ersten Heimatverein RSV Meinerzhagen im Sauerland und in der türkischen Liga bei Antalya positiv aufgefallen, fehlte sogar eine Anfangs-Euphorie wie unter Bosz, nach kurzem Dümpeln sowie einem glanzvollen 7:1 gegen Celtic Glasgow, stürzte das Team direkt in zuletzt drei Auswärts-Niederlagen in Serie, unterbrochen durch ein mühsam erwürgtes 2:1 zu Hause gegen Aufsteiger St. Pauli.

Dortmund retten bisher nur gelegentliche Geistesblitze von Individualisten

Trotzdem gelten für Sahin andere Regeln als für einen Trainer wie Bosz, den die Dortmunder Sentimentalitäten wenig schützten. Sahins Mannschaft wirkt seit Saisonbeginn führungslos, orientierungslos, ohne erkennbare Spielidee – obwohl die angeblich blasse Spielidee ja das Hauptargument gegen Terzic gewesen war. Bisher retteten Dortmund meist nur die gelegentlichen Geistesblitze ihrer Individualisten: meistens Jamie Gittens, manchmal Serhou Guirassy, auch mal Karim Adeyemi oder Donyell Malen. Ansonsten könnte man attestieren, dass Nationalspieler wie Pascal Groß, Waldemar Anton oder Emre Can in der Tendenz von Woche zu Woche weniger zu wissen scheinen, was sie eigentlich spielen.

So weit die Sachlage. Aber in Dortmund gefällt man sich schon immer in einer Philosophie des Kumpelhaften. Einmal Stallgeruch, immer Stallgeruch. Ruhrpott-Romantik und westfälische Erdverbundenheit. Sahins Vorgänger Terzic wurde deshalb auch nicht entlassen, sondern subtil und erfolgreich ermuntert, am Ende freiwillig die Grubenlampe weiterzugeben.

Auch intern gab es Stimmen beim BVB, die Sahins Reife für den großen Job bei einem großen Klub sachte anzweifelten. Nicht jeder im Borussen-Führungsstab denkt so um sieben Ecken herum, wie es das hypertrophierende Fußball-Kauderwelsch von BVB-Chef-Berater Matthias Sammer vor Fernsehkameras glauben machen könnte. Es gab Warner, auch vor den forcierten Weggängen von Anführertypen wie Mats Hummels und Niclas Füllkrug. Beide waren mit ihrer Meinungsfreude zum Kabinengift erklärt worden. Inzwischen erkennt man gar keine Anführer mehr auf dem Platz. Nur finstere Mienen bei der Phalanx der Chefs, und einen Trainer, der in den Interviews nach Spielen mit den Tränen zu kämpfen scheint.

Am Reißbrett, wie es gerade in Dortmund versucht wird, ist eben noch keiner Meister geworden. Guter Fußball ist wie das Leben: in weiten Teilen unberechenbar.

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