Bundesliga:Der Kniefall der Berliner ist gefälschtes Pathos

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Sie knieten - und verloren dann gegen Schalke: Die Hertha-Spieler am Samstag. (Foto: Annegret Hilse/dpa)

Wie viele US-Sportler protestieren die Hertha-Spieler. Doch dabei handelt es sich um einen aufdringlichen Versuch, Aufmerksamkeit zu erzielen.

Kommentar von Philipp Selldorf

Laut einem am Wochenende bekanntgemachten Glaubensbekenntnis fühlt sich der Fußballverein Hertha BSC Tugenden und Werten wie "Toleranz, Verantwortung, Mut, Solidarität, Gleichheit und Respekt" verpflichtet. Gesellschaftliche Vielfalt befürwortet er ebenfalls ausdrücklich. "Berlin ist bunt", heißt es in dem Mini-Manifest.

Dagegen ist natürlich nichts einzuwenden, selbst wenn das Aufsagen einer Ansammlung von moralisch korrekten Qualitäten etwas beflissen klingt. Doch warum nicht? Wenn jemand auf die Straße geht, um für mehr Kita-Plätze, höhere Löhne und ökologischen Ackerbau zu demonstrieren, dann braucht ihn das nicht daran zu hindern, auch noch für weltweite Atomwaffenabrüstung einzutreten.

Fußballer dienten hier lediglich als repräsentative Rollenmodelle

Allerdings haben die Berliner ein anderes Mittel gewählt, um den Katalog ihrer hehren Überzeugungen zu exponieren. Vor dem Bundesligaspiel gegen Schalke 04 ließen sie die Profi-Mannschaft auf dem Rasen niederknien. Synchron gingen auch Reservespieler, Betreuer, Trainerstab und der Manager Michael Preetz in die Hocke. Die Hertha-Belegschaft folgte damit einer laufenden Kampagne von Sportlern in den Vereinigten Staaten, die mittels Kniefall gegen Rassismus und Polizeigewalt sowie gegen die ausgrenzende Politik des Präsidenten Donald Trump demonstrieren. Über diese Art des Protestes wird in den USA seit Monaten ideologisch und entsprechend erbittert diskutiert.

Bundesliga
:Hertha BSC kniet und verliert

Die Hertha-Spieler schließen sich dem Protest amerikanischer Sportler gegen Diskriminierung an. Hoffenheim verbummelt gegen Augsburg den Sieg, der HSV stürzt tiefer in die Krise.

Die Partien im Überblick

Jetzt finden die Debatten auch in Berlin statt. Doch geht es dabei nicht um den Inhalt der Botschaft, sondern um die Form der Kundgebung und deren Konzept, das offenkundig in der Marketingabteilung des Klubs ausgearbeitet wurde oder auch - was Hertha aber bestreitet - in der Werbeagentur, die dem Verein zur Seite steht. In der Kabine, in der sich Menschen aus zehn Nationen zur Mannschaft vereinen, ist der Protest jedenfalls nicht erfunden worden. Die Fußballer dienten lediglich als repräsentative Rollenmodelle. So drängt sich die Frage auf, was das sein sollte am Samstag: eine politische Meinungsäußerung? Oder der Versuch von Selbstdarstellung, Profilierung und Publicity-Erzeugung? Oder alles auf einmal?

Letzteres wäre nicht verwerflich, es ist Normalität in der PR-Arbeit von Unternehmen. Hier besteht das Problem aber darin, dass sich der Berliner Fußballklub einer Symbolik bemächtigt hat, die ihm nicht gehört und: auch nicht zusteht. Natürlich besitzen die amerikanischen Sportler kein Copyright auf den Kniefall, doch existiert eine imaginäre kulturelle Grenze. Und so sieht das, was Hertha nun veranstaltet hat, nach falschem bzw. gefälschtem Pathos aus, nach einem Imitat und einer künstlichen Konstruktion zum Zweck von Anbiederung und Wichtigtuerei. Selbstgerecht, eitel, narzisstisch.

Im Fernsehen lobte der Sky-Experte Christoph Metzelder (der außerdem für die Werbeagentur tätig ist, die Hertha betreut), die Berliner seien die Ersten in Europa, die den Kniefall vollzogen hätten. Diese Feier einer vermeintlichen Pioniertat beruht jedoch auf einem Missverständnis: Es hat gute Gründe, dass auf dieser Seite des Atlantiks noch keiner auf die Idee gekommen ist, die amerikanische Eigenart zu kopieren.

Die Leute unterscheiden zwischen Sein und Schein

Nun erhob die Hertha zwar in ihrer Message zur Operation Weltverbesserung den Anspruch, DER Klub "der Haupt- und Weltstadt Berlin" zu sein, "mit Fans aus aller Welt". Doch dieser behauptete und bemühte Kosmopolitismus lässt das ganze Bemühen erst recht affektiert und damit unglaubwürdig erscheinen. Der aufdringliche Versuch, Aufmerksamkeit erzielen zu wollen, entwertet die Botschaft. Das ist etwas, das die Experten in Werbung und Vermarktung ohnehin oft nicht verstehen: dass das Publikum gar nicht so einfältig ist, wie sie meinen. Dass die Leute unterscheiden können zwischen echt und falsch bzw. zwischen Sein und Schein.

Zugegeben: Hertha hat es nicht leicht mit dem Publikum in Berlin, der Verein gibt sich viel Mühe, "als Marke zu wachsen". Er will, so sagt es Manager Preetz, "Innovationsführer" sein. Das wird man aber nicht durch Nachmachen.

© SZ vom 17.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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