Mit Diktaturen hatten deutsche Fußballer auch lange nach dem Krieg eher selten ein Problem. So quartierte sich die Nationalelf bei der WM 1978 in Argentinien, die der herrschenden Junta als willkommene Kulisse diente, in der Golfanlage der Generäle ein. Dort, im Quartier Ascochinga, empfing Hermann Neuberger, Präsident des Deutschen Fußball-Bundes, dann den Nazi-Oberst Hans-Ulrich Rudel, der in Südamerika eine neue Heimat gefunden hatte. Die Spieler verrichteten brav ihren Dienst am Ball, sie waren jung und auf solche Konfrontationen nicht vorbereitet, sie gingen ihnen kommentarlos aus dem Weg.
Lothar Matthäus, heute 49, war in Ascochinga noch nicht dabei, aber der Rekord-Nationalspieler sorgt dafür, dass die Ignoranz, die frühere Spielergenerationen pflegten, auch heute noch den Diktatoren nützlich ist. Am Dienstag ließ sich Matthäus in der tschetschenischen Hauptstadt Grosny von Republikchef Ramsan Kadyrow einspannen. Gefragt, warum er mit jemandem, dem Menschenrechtler Folter und Mord vorwerfen, in einem Demonstrationsspiel in einer Mannschaft spiele, sagte Matthäus: Fußball habe doch mit Politik nichts zu tun.
Natürlich werden sich unter den jungen Profis, die heute die Bundesliga-Stadien füllen, welche finden lassen, die dies auch behaupten würden - aber sie wären eine Minderheit. Für den Fußballprofi gibt es zwar keinen vorgeschriebenen Ausbildungsweg, aber doch einen empfohlenen, der schulisches und sportliches Lernen in Einklang bringt.
Seit Anfang des Jahrtausends, als Folge des Desasters bei der Europameisterschaft 2000, müssen die Klubs Fußball-Internate unterhalten, wenn sie in der Ersten und Zweiten Liga mitspielen wollen. Auf diesem Weg haben Spieler wie Manuel Neuer von Schalke04, Philipp Lahm und Thomas Müller vom FC Bayern oder Dennis Aogo vom Hamburger SV eine solide Ausbildung erlangt, oft bis zum Abitur.
Sie wissen, dass Fußball und Politik mehr denn je zusammenhängen, nicht nur, weil Italiens Ministerpräsident Berlusconi sein Image über die Taten des ihm gehörenden AC Mailand zu schönen versucht, ähnlich wie es jetzt Diktatoren und Oligarchen in den russischen Teilrepubliken versuchen. Sie wissen aber auch, dass sie ihre Karriere selbst gestalten müssen - sie kennen ihre persönlichen Fitnessdaten und ihre Verträge bis zur letzten Klausel.
Es ist diese erste Internats-Generation, die gerade in der Liga das Kommando übernimmt, die Generation nach Matthäus, aber auch bereits die nach Michael Ballack, 34. Sie hat begriffen, dass Fußball eine Ordnung braucht, aber keine strenge, steile Hierarchie, in der einer wie Ballack auf dem Rasen das Kommando brüllt und alle anderen zu folgen haben.
Diese Generation braucht aber auch die Brachialreize autoritärer Trainerfiguren immer weniger. Sie will mitgenommen, eingebunden, überzeugt werden und sich nicht mehr nur auf Befehl die Lunge aus dem Leib rennen. Wer den gemeinsamen Nenner sucht, der die aktuellen Turbulenzen in der Bundesliga erklärt, der findet ihn im Selbstbewusstsein dieser jungen Hochbegabten.
Drei Klubs sind dabei, sich spektakulär von ihren Trainern zu trennen - und trotz aller Unterschiede im Einzelnen: Die Vorgänge um Louis van Gaal (FC Bayern), Felix Magath (Schalke04) und Armin Veh (HSV) haben zwei Charakteristika gemein. Zum einen sind alle drei mit ihren Umgangsformen erheblich aus der Zeit geraten. Sie trafen nicht mehr den Ton, in dem die neue Generation unterrichtet werden will. Zum anderen betrifft es drei Großklubs, Dinosaurier der Liga, die fürchten müssen, den Übergang zu einer moderneren, toleranteren Betriebs-Kommunikation zu verpassen.
Ein Blick auf die Tabelle klärt schnell die Notlage der großen Drei: Einsam zieht oben Borussia Dortmund seine Kreise, angeleitet von Jürgen Klopp, 44, der vielen nun als Idealtyp des neuen Trainers erscheint. Als einer, der gruppendynamische Prozesse rhetorisch geschickt moderieren kann, der den Ton der Jugend trifft, der andererseits aber auch autoritär seine Ziele verfolgt.
Aus einer flachen, aber klaren Hierarchie zaubert Dortmund Samstag für Samstag kleine Meisterstücke auf den Rasen. Die Nationalspieler kennen diese Personalpflege, die vieles, aber längst nicht alles toleriert, aus ihrer Zeit bei Bundestrainer Joachim Löw. Auch bei ihm dürfen sie das Gefühl haben, als Erwachsene behandelt zu werden - und als das, was sie längst sind: Jungmanager ihrer eigenen Karriere.
Der Fußball vollzieht einige gesellschaftliche Entwicklungen verspätet nach. Dass daraus nicht zwangsläufig ein Generationenkonflikt entstehen muss, beweist Jupp Heynckes, 65. Der Liga-Älteste hat Bayer Leverkusen nicht nur auf Platz zwei gebracht, er hat noch einmal einen Stilwandel vollzogen, er versteht sich heute ebenso als Lehrmeister wie als fürsorglicher Laufbahnberater.
Für wache Jungprofis, von denen viele in ihren Klubs nicht nur angestellt sein wollen - sondern die ganz genau wissen, bei wem sie ihr Wort erheben müssen, wenn ihnen ein Alleinherrscher zu radikal, zu willkürlich wird. Dann mischen sie sich auch mal ein und machen Politik. Zwar nur Vereinspolitik, aber immerhin.