Bundesliga:Altes, lässiges Pizarro

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Trifft am Sonntag auf seinen Ex-Klub: Angreifer Claudio Pizarro, einst bei Bremen, nun in Köln. (Foto: Eduard Bopp/imago)
  • In der Bundesliga leiden vor allem jene Teams, die sich am Sinn des Spiels (= Tore schießen) versündigen.
  • Köln und Bremen haben in acht Spielen jeweils drei Tore erzielt, der HSV hat in den jüngsten sechs Spielen nur zweimal getroffen.
  • Die Nord-Teams können eher auf unglückliche Umstände verweisen, in Köln liegt es wohl auch an der Kader-Komposition nach dem Abgang von Anthony Modeste.

Von Christof Kneer, München

Natürlich war Claudio Pizarro auf diese Frage vorbereitet. Er ist ja schon ein paar Tage dabei, er hat schon unglaubliche Dinge gesehen, zum Beispiel einen Stürmerkollegen, der nicht nur runder als der Spielball war, sondern sogar schneller. Die Jahre an der Seite von kleines, dickes Ailton waren vielleicht die besten Jahre im Stürmerleben von altes, cooles Pizarro. Neben und hinter Ailton konnte er herrlich herumschlawinern, er konnte dem rasenden Rundling lässig die Bälle vorlegen oder selber aus der Deckung kommen, aber das Allerbeste kam ja immer nach dem Spiel: Da konnte er zuhören, wie sein Sturmpartner - zum Beispiel - "in momento Werder Breme bisschen guck" sagte.

Nein, er werde nicht jubeln, falls er am Wochenende gegen Bremen treffe, hat Claudio Pizarro also auf die Frage geantwortet, die kommen musste. Wobei, er würde natürlich erst mal bisschen guck müssen, wenn er wirklich träfe; vielleicht würde sein Tor den ersten Saisonsieg für den 1. FC Köln bedeuten, für den Pizarro, inzwischen 39, seit ein paar Wochen in Altersteilzeit stürmt. In diesem Fall könnte es passieren, dass er sich aus Versehen doch mitreißen lässt von den tobenden Menschen, die fast schon vergessen haben, wie sich das anfühlt: ein Fußballspiel zu gewinnen.

Claudio Pizarro ist schon jetzt, ohne einen einzigen Ballkontakt, der Mann des anstehenden 9. Bundesliga-Spieltags. Nicht nur, weil er emotional im Zentrum des Duells 1. FC Köln (1 Punkt) gegen Werder Bremen (4 Punkte) steht, in dem es auch darum geht, die restlichen 16 Erstligisten nicht aus dem Blick zu verlieren; vor allem ist Pizarro aber eben: Stürmer. 191 Tore hat er in der Bundesliga geschossen, ein paar weniger würden dem 1. FC Köln, Werder Bremen und übrigens auch dem HSV in den nächsten Wochen schon reichen. Köln und Bremen haben in acht Spielen jeweils drei Tore erzielt, und die Hamburger haben, nach versehentlich gutem Start mit zwei Siegen, in den darauffolgenden sechs Spielen nur noch zweimal getroffen.

Fischer, Völler, Seeler: Die Ahnenreihe ist prominent

Es sind nicht irgendwelche Vereine, die da gerade dabei sind, den Sinn des Spiels (= Tore schießen) zu verdrängen:

Der 1. FC Köln, das sind Hannes Löhr, Dieter Müller, Klaus Fischer, Klaus Allofs, Toni Polster und Lukas Podolski.

Der SV Werder, das sind Rudi Völler, Frank Neubarth, Wynton Rufer, Miro Klose sowie großes, lustiges Ailton/Pizarro.

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Der HSV, das sind Uwe Seeler, Kevin Keegan und Horst Hrubesch. Auch im Abstiegskampf brauche man "Spieler, die vorne den Unterschied ausmachen", sagt Werder Bremens Sportdirektor Frank Baumann, "die Zeiten, in denen man sich zum Klassenerhalt mauern konnte, sind vorbei". Der moderne Fußball kann schon ein Hund sein: Er verlangt seinen Mannschaften mehr ab denn je, auch und gerade solchen, denen im Moment sowieso weniger gelingt, weil im Moment alles so eine Qual ist. So müssen auch und gerade die Teams im Abstiegskampf inzwischen kleine Alleskönner sein: Sie müssen immer noch tausendbeinig verteidigen können, aber weil das neuerdings alle ganz gut können, reicht ein Huub-Stevens-Knurrhahn-Fußball allein nicht mehr aus.

Immer mehr braucht es jetzt Spieler, die in den knallengen Strafräumen das Nadelöhr finden oder mit Karacho Löcher in Abwehrnetze reißen. "Ein einziges Tor kann entscheidend für einen Dreier sein", sagt Baumann, "und für eine kleine Serie braucht man eben dringend Siege." So hat etwa der VfB Stuttgart, als Aufsteiger in dieser "extremst engen Liga" (Baumann) ebenfalls ein natürlicher Abstiegskandidat, vor allem deshalb neun Punkte mehr in seinem Besitz als Köln, weil er zwei seiner Heimspiele exakt mit 1:0 gewonnen hat. Dieses eine, kleine, feine Siegtor ist es, nach dem sich Kölner und Bremer so sehnen.

Wer die Kölner am Donnerstag beim Europa-League-Spiel in Borissow gesehen hat, der ahnt, wie sehr es eine Mannschaft wahnsinnig machen kann, wenn sie einfach nicht das kriegt, was sie braucht. Ja, der FC war das bessere Team, aber das eine Tor des Abends haben halt doch wieder die anderen geschossen. Das ist das Problem: Tore schießt man vor allem, wenn man daran glaubt, dass man welche schießen kann. Wer aber wochenlang unbelohnt vor fremdem Strafräumen herumkickt, der verliert irgendwann den Glauben - und braucht dann entweder ein Glückstor oder Pizarro oder ein Glückstor von Pizarro.

So müssen zurzeit tatsächlich jene Teams am meisten leiden, die sich - schuldig oder unschuldig - am Sinn des Spiels versündigen. Die Kölner etwa haben jene Millionen, die sie für ihren flüchtigen Stürmer Anthony Modeste erhalten haben, nur sehr ungenügend in ihren eigenen Kader umverteilt, so dass es am Ende vielleicht wirklich altes, nicht jubelndes Pizarro richten muss. Die Nordpatienten aus Bremen und Hamburg dürfen dagegen schon eher auf unglückliche Umstände verweisen.

Die Bremer, die im Sommer Serge Gnabry an den FC Bayern (von da weitergereicht nach Hoffenheim) und Claudio Pizarro ans Rentnerdasein (von da weitergereicht an den 1. FC Köln) verloren haben, sind durch Max Kruses Schulterverletzung schwer geschlagen; und den Kader des HSV überfordert es heftig, wenn sich die Flügelspieler Nicolai Müller und Filip Kostic verletzen. Gut für den HSV: Kostic ist wieder dabei. Nicht so gut: Gegner ist der FC Bayern.

Frank Baumann sagt, es gebe Statistiken, wonach Teams im Schnitt ein Viertel ihrer Torchancen nutzten. In Werders schicker Rückrunde war es deutlich mehr, "da war das Duo Kruse/Bartels mit das Beste, was die Liga in der Offensive zu bieten hatte", wie Baumann findet. Aktuell aber liegt die Bremer Quote bei unter zehn Prozent.

Frank Baumann sagt, er wehre sich gegen das Wort "Endspiel"

In Bremen müssen sie demnächst entscheiden, ob das Verfehlen der Zehn-Prozent-Hürde nur an einem hinterhältigen Schicksal oder doch am Trainer liegt. Er wehre sich gegen den Begriff "Endspiel", sagt Baumann, das Team wirke "stabil", man werde sich "nicht von öffentlichem Druck leiten lassen". Wer den öffentlichen Druck kennt, kann sich übrigens prima ausmalen, wie der entstehen könnte: wenn altes, lässiges Pizarro etwa das Siegtor für Köln erzielen würde - jener Pizarro, den Trainer Nouri angeblich nicht mehr haben wollte (was Baumann nicht bestätigt).

In Johannes Eggestein (19, Werder) und Jann-Fiete Arp (17, HSV) wachsen bei den Nordklubs übrigens gerade zwei verheißungsvolle Sturmtalente heran, aber aktuell können sich beide Klubs leider nicht auf die Zukunft freuen. Sie müssen sich in momento bisschen fürcht - zum Beispiel vor Claudio Pizarro.

© SZ vom 21.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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