Bundesliga:"Das sind Fußball-Zerstörer"

SV Werder Bremen v Hamburger SV - Bundesliga

Gefahr von den Rängen: Die HSV-Fans schrecken auch von Raketen aufs Spielfeld nicht zurück.

(Foto: Bongarts/Getty Images)

Von Jörg Marwedel, Bremen

Irgendwie passte das entscheidende Tor zu diesem schwachen 108. Nordderby zwischen Werder Bremen und dem Hamburger SV: War es Abseits? Wer war überhaupt der Torschütze? War vielleicht sogar ein Foul vorausgegangen? Allerlei Fragen, die Schiedsrichter Felix Zwayer später souverän zu beantworten versuchte, während die mit 0:1 geschlagenen Hamburger seine Argumente mit Vehemenz anzweifelten. Klubchef Heribert Bruchhagen zürnte gar: "Was sind das für Leute, die da in Köln als Video-Assistenten sitzen? Jeder, der ein bisschen Fußball gespielt hat, sieht, dass es Abseits war." Am Sonntag hat sich Bruchhagen jedoch für diese Wortwahl entschuldigt: "Absolut überzogen. Das steht mir nicht zu."

Aber war der Bremer Ishak Belfodil mit einer Kniespitze im Abseits, als Aaron Johannsson den Ball Richtung Torraum spielte? Zwayer entschied - und er bezog sich dabei eben auf den Video-Assistenten Günter Perl -, es sei gleiche Höhe gewesen. Ob Belfodil den HSV-Verteidiger Rick van Drongelen unsanft bedrängt und gefoult habe, bevor die Kugel ins Tor befördert wurde, war zwar für HSV-Trainer Bernd Hollerbach ein Thema, nicht aber für Zwayer. Und wer letztlich das 1:0 in der 86. Minute erzielt hatte, sah man auch erst nach mehrmaliger Zeitlupe: Es war nicht Belfodil, sondern der unglücklich belästigte van Drongelen, der ins eigene Tor traf.

Doch so knapp diese Situation war, der HSV würde am Ende nicht deshalb absteigen, weil Zwayer in diesem Moment nicht auf seiner Seite war. Das räumte der aufgebrachte Bruchhagen nach dem elften sieglosen Spiel in Serie ein. Auch diesmal habe der HSV, der den schwächsten Angriff der Liga hat (18 Tore) "nicht zwingend genug" gespielt. "Es reicht im Moment nicht", entfuhr es dem selbst zur Disposition stehenden Vorstandschef, der selbst nur noch von einer "Restchance" spricht. Diese kleine Möglichkeit, den ersten Abstieg in die Zweitklassigkeit doch noch zu verhindern, könnte mit einem Sieg gegen den Tabellensechzehnten Mainz 05 am kommenden Samstag noch gewahrt werden.

Nur die Defensive funktioniert noch halbwegs

Selbst in jener bisher miserabelsten Saison 2013/14, als die Hamburger am Ende mit nur 27 Punkten die Klasse hielten, hatte der HSV nach dem 24. Spieltag drei Zähler mehr auf dem Konto als jetzt (20/17).

Dass André Hahn, der einzige HSV-Profi, der sich nach dem erneuten Reinfall den schreibenden Journalisten stellte, noch einmal den Satz "Wir sind der HSV, wir haben es immer geschafft" hervorholte, wirkte fast so, als wolle er das herannahende Schicksal per Mantra stoppen. Vermutlich reicht aber auch das gegen die Heimsuchung des ersten Abstiegs der Klubgeschichte so wenig wie eine halbwegs geordnete Abwehr. Es war diesmal der einzige Pluspunkt, den auffällig nervösen Bremern recht gut die Räume zugestellt zu haben. Die meiste Zeit suchten die Gastgeber vergeblich nach Lösungen, um die Hamburger Defensive zu überlisten.

Die Fans werden beim HSV zunehmend zum Problem

Dass Hollerbach eine Art Wiedergänger seines Mentors Felix Magath ist, wurde daran deutlich, dass er Bakery Jatta statt der kriselnden Stürmer Wood und Arp in die Startelf beordert hatte. Auch Magath hatte immer wieder Spieler aus dem Nachwuchs ins Team beordert, weil er mit den Etablierten unzufrieden war. Jatta, zuletzt im vergangenen September in der Bundesliga eingesetzt, machte es gar nicht schlecht - doch wirklich weiterhelfen konnte der 19-jährige Gambier auch nicht.

Und noch ein Problem belastet den zutiefst angeschlagenen Klub: etliche seiner Fans. Die Hamburger konnten sich hier bei Zwayer bedanken, der mit zwei Spielunterbrechungen versuchte, "die Gemüter zu beruhigen", wie er später sagte. Immer wieder flog heftiges Feuerwerk aus dem HSV-Block, manche Geschosse landeten auf dem Spielfeld. Während Hollerbach die Fans trotzdem als "klasse" einstufte, war Bruchhagen sehr aufgebracht wegen jener Zuschauer. Die könne man nicht Fans nennen, "weil das Leute sind, die Fußball-Zerstörer sind". Schon in der Woche zuvor hatte eine Gruppe den Spielern per Plakat gedroht: "Bevor die Uhr ausgeht, jagen wir euch durch die Stadt." Die Uhr ist jener Chronometer im Volksparkstadion, der exakt die Bundesliga-Zugehörigkeit des HSV misst. Die Frage ist: Gibt es einen Bruch zwischen Mannschaft und Fans?

In Bremen gibt es ihn definitiv nicht. Halb-Torschütze Belfodil meinte: "Das ist ein Sieg für die ganze Stadt." Vielleicht hilft das ja den Werder-Profis, um am kommenden Freitag in Mönchengladbach wieder selbstbewusster aufzutreten. Denn auch sie brauchen trotz des auf neun Zähler angewachsenen Vorsprungs auf den HSV weitere Punkte, bis sie gerettet sind.

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