Bundesliga:Das Ritual, auf dem Korkuts Erfolg beim VfB Stuttgart gründet

Bundesliga: Tayfun Korkut brachte den Erfolg zurück beim VfB Stuttgart.

Tayfun Korkut brachte den Erfolg zurück beim VfB Stuttgart.

(Foto: AP)
  • Der VfB Stuttgart schließt die Rückrunde nach dem furiosen 4:1 beim FC Bayern als zweitbeste Mannschaft ab.
  • Es ist das Ergebnis der Entwicklung unter Trainer Tayfun Korkut, der den Fußball radikal vereinfachte.
  • Profiteur war nicht nur Nationalspieler Mario Gomez, der in 16 Spielen acht Tore markierte, sondern das gesamte Team.

Von Matthias Schmid

Die Laufwege in der Fröttmaninger Arena sind Michael Reschke bestens vertraut. Drei Jahre arbeitete der heutige Sportvorstand des VfB Stuttgart als Technischer Direktor beim Fußballmeister FC Bayern, er kennt die einschlägigen Pfade von der Tribüne zur Trainerbank. Dass er den steilen Abstieg deshalb auch am Samstag exakt zur 76. Minute bewältigte, war also wenig verwunderlich. Keine Minute früher, keine Minute später darf er bei seinem Coach Tayfun Korkut ankommen, damit der VfB den Platz als Sieger verlässt. Nur einmal klappte das Ritual nicht - und prompt verloren die Stuttgarter die Partie in Dortmund, es war die einzige Niederlage Korkuts mit dem Klub in dieser Bundesliga-Spielzeit, die der Aufsteiger nun auf Rang sieben beendet.

"Irgendwann sagte ich mir, mach' es genau in dieser Minute", erzählte Reschke am Samstag nach dem 4:1-Sieg des VfB beim FC Bayern vergnügt. "Als Mensch entwickelt man ja einen gewissen Aberglauben", fügte er augenzwinkernd hinzu. Am Montag hat der Sportvorstand dann fünf neue Spieler für den VfB vorgestellt: Oliver Kempf (Innenverteidiger, zuvor SC Freiburg), Pablo Maffeo (Rechtsverteidiger, Manchester City), Borna Sosa (Linksverteidiger, Dinamo Zagreb) und David Kopacz (Mittelfeld, Borussia Dortmund) kommen im Sommer, Roberto Massimo bleibt dagegen noch bis 2020 zur Leihe bei Arminia Bielefeld und kommt anschließend. Der 20-Jährige Maffeo, den der VfB von City verpflichtet, soll nach Angaben der Sport-Bild mit einer Ablöse von neun Millionen Euro neuer Rekordtransfer der Stuttgarter sein.

Korkuts Wagnis: Mittelstürmer Ginzcek wird in der Rückwertsbewegung Verteidiger

Dass sein Ritual auch in München Erfolg bringen sollte, hatte Reschke zunächst nicht geglaubt, als ihm Korkut in den Tagen vor dem Bayern-Spiel vor seinem Plan unterrichtete. Es war ein kühnes, für den auf Verteidigung programmierten Fußballlehrer sogar ein wildes Ansinnen, wie er den Absenzen von Mario Gomez (am Freitag Vater geworden) und von Dennis Aogo (gelbgesperrt) begegnen wollte.

Erstmals in seiner knapp dreieinhalb Monate währenden Amtszeit probierte Korkut was Neues aus, er betonte das Spielerische, indem er seine vorsichtige 4-4-2-Grundformation in ein offensiveres 4-3-2-1-System überführte. Der eher schmächtige Chadrac Akolo stürmte in vorderster Front und Daniel Ginczek, Mitglied des sogenannten Ochsensturms mit Gomez, wechselte auf die linke offensive Seite, wo er in der Rückwärtsbewegung auch leidenschaftlich als fünftes Mitglied des Abwehrverbunds verteidigte. Es war ein Wagnis, das sich bezahlt machte. "Der Trainer hatte auch mich schließlich überzeugt", gab Reschke zu.

Dass der VfB erstmals nach zehn Jahren mal wieder in München gewann, fand er folgerichtig "surreal" und lag auch an Anastasios Donis, den Korkut lange gemieden hatte, als habe der begabte und flinke Grieche ein hochansteckende Krankheit. Der Rechtsaußen bereitete nicht nur die 1:0-Führung von Ginczek (5.) vor, sondern schoss nach einem fabelhaften Solo von der Mittellinie, bei dem er den Nationalspieler Niklas Süle der Hüftsteifigkeit in Tateinheit mit Tollpatschigkeit überführte, auch noch das 2:1 vor der Pause (42.), für den 4:1-Endstand sorgten schließlich Akolo (52.) und abermals Gincezk (55.).

Der VfB ist die zweitbeste Rückrundenmannschaft der Liga

Dass der VfB als Aufsteiger die Saison auf dem siebten Tabellenplatz und als zweitbeste Rückrundenmannschaft abschließt, ist die erstaunlichste Geschichte in dieser Bundesligaspielzeit. Und sie könnte für die Stuttgarter sogar noch in der Europa League enden, falls der FC Bayern das Pokalfinale am Samstag gegen Eintracht Frankfurt gewinnen sollte. Als Korkut die Mannschaft Ende Januar übernahm hatte der Klub nur vier Punkte Vorsprung auf einen Abstiegsplatz, jetzt fehlen am 34. Spieltag nur noch vier Punkte auf einen Rang, der die Champions-League-Teilnahme garantiert.

Korkut gelang es, mit einem etwas biederen, aber sehr effizienten Verteidigungsfußball die Mannschaft zu stabilisieren und den Spielstil mit hohen Bällen und zahlreichen Flanken radikal zu vereinfachen. Profiteur war nicht nur Nationalspieler Mario Gomez, der in 16 Spielen acht Tore markierte, sondern alle Spieler, weil der schlichte Spielstil perfekt zum eher rustikalen Team passte. "Ich habe lange überlegt, wem ich größeren Respekt zollen sollte", erzählte Reschke in München: der Mannschaft oder dem Trainer. "Ich habe mich auf ein Unentschieden geeinigt."

Tayfun Korkut will sich nun erstmals zurücklehnen, bei einem Glas Rotwein wird er sich entspannt zuhause das Pokalfinale auf dem Sofa anschauen. "Mal sehen, was passiert", sagt der 44-Jährige. Sollte der VfB tatsächlich in der Europa League vorspielen dürfen, wird er künftig in der 76. Minute auf Reschke verzichten müssen. Der 60-Jährige will in der neuen Spielzeit oben auf der Tribüne bleiben und sich den beschwerlichen Weg nach unten sparen.

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