Mit schrillen Pfiffen waren Borussia Dortmunds Fußballer von ihren beleidigten Fans aus der vergangenen Saison verabschiedet worden - mit frenetischem Applaus wurden sie am Sonntagabend kurz vor dem Anpfiff wieder empfangen. Aber wer dachte, eine Sommerpause mit einem Trainerwechsel heile einfach alle Wunden, der musste nur 31 Sekunden warten. Nach einer halben Minute kickte RB Leipzigs Yussuf Poulsen den Ball per Hacke in den Dortmunder Strafraum, wo ihn Jean-Kevin Augustin am Torwart Roman Bürki vorbei ins Netz schob. Das war ein kapitaler Fehlstart des BVB in die Saison mit dem neuen Trainer Lucien Favre.
Das Positive an einem Fehlstart in der ersten Spielminute einer Saison ist, dass man danach noch eineinhalb Stunden hat, um den Einstieg ins Spiel zu korrigieren. Die Dortmunder brauchten sogar nur eine Halbzeit. 3:1 stand es bereits zur Pause - und am Ende sogar 4:1. Wie schon im Pokal in Fürth verwandelten sie einen Rückstand in einen Sieg, und wieder war der Belgier Axel Witsel der Mann des Spiels, nicht nur wegen seines Treffers zum 3:1, sondern auch als überragender Akteur auf dem Platz. In der Nachspielzeit gelang Marco Reus gar noch das Sahnehäubchen: mit dem vierten Treffer sicherte er die alleinige Tabellenführung vor dem FC Bayern.
Witsel spielt beim BVB, Götze sitzt nur auf der Bank
Nach dem mauen 2:1-Pokalsieg in Fürth hatte Favre Witsel (für Mario Götze) und Maximilian Philipp (für Marius Wolf) neu in die Startelf gebracht. Witsel spielte den zentral-defensiven Sechser vor der Abwehr, Thomas Delaney und Mahmoud Dahoud agierten davor auf den offensiveren Halbpositionen. Marco Reus spielte linksaußen und Philipp als Mittelstürmer auf jener Position, für die der BVB mit dem Spanier Francisco Alcacer vom FC Barcelona noch eine 1A-Lösung verpflichten will. Aber schon ohne Alcacer standen am Sonntag elf Dortmunder Fußballprofis nicht im Bundesliga-Kader. Nur elf Start- und sieben Ersatzspieler dürfen benannt werden. Fünf Profis spielten mit der zweiten Mannschaft vierte Liga im ostwestfälischen Wiedenbrück, sechs trugen am Sonntag gar keine Fußballsachen, darunter Nuri Sahin, Ömer Toprak und Shinji Kagawa.
Auch Ralf Rangnick hat bei RB Leipzig eine große Auswahl. Seine Mannschaft hatte vor diesem ersten Liga-Saisonspiel in Dortmund schon sechs Pflichtspiele auf dem Buckel, dabei kamen 26 Spieler zum Einsatz. Von den dabei am häufigsten eingesetzten Spielern schafften es diesmal Willi Orban, Matheus Cunha, Stefan Ilsanker und Bruma nicht in die Startelf. Auch Timo Werner nahm zunächst auf der Bank Platz. An diesem Duell zwischen Dortmund und Leipzig war gut zu sehen, wie schwierig es selbst für gestandene Profis sein kann, in der Bundesliga aufs Feld zu gelangen.
Den elf Dortmundern machten die ersten Minuten noch keinen allzu großen Spaß. Es dauerte nach dem 31-Sekunden-Schock dann 20 Minuten, ehe sie mit Torschüssen von Delaney und Reus gefährlich vor dem Leipziger Tor auftauchten. In der 21. Minute brachte Linksverteidiger Marcel Schmelzer eine Flanke an den Elfmeterpunkt, wo ausgerechnet Dahoud ungestört an den Ball kam und artistisch zum 1:1-Ausgleich einköpfelte. Seit gemeinsamen Gladbacher Zeiten ist Favre ein großer Fan von Dahoud, er hat ihn im Pokalspiel in Fürth trotz mauer Leistung durchspielen lassen und er hat ihn gegen Leipzig wieder in die Startelf gebracht. Dahoud dankte es ihm auf seine Weise.
Bürki bewahrt den BVB vor einem weiteren Gegentreffer
Es war ein knackiges, ein actiongeladenes Spiel. Leipzig schockte Dortmund mehrmals mit eigentlich tödlichen Flachpässen in den Rücken der Abwehr. Bürki rettet in der 28. Minute gerade noch gegen Augustin. Die Dortmunder erhielten ihre nächste Chance erst, als sie in der 40. Minute kurz vor der Strafraumgrenze einen Freistoß bekamen. Die Hereingabe von Reus verlängerte Marcel Sabitzer ins eigene Tor. Doch das war für tapfere Leipziger noch nicht die finale Demütigung vor der Pause. Nach einer Ecke von Christian Pulisic und einem Kopfball von Delaney drosch Witsel den Rebound vom Torwart Peter Gulacsi in der 43. Minute per spektakulärem Seitfallschuss ins Netz. Das 3:1 war der kuriose Pausenstand einer irgendwie ganz anders verlaufenen ersten Halbzeit.
Bürki bewahrte seinen BVB in der 50. Minute mit einer weiteren Glanztat vor dem zweiten Gegentor, als er einen Volleyschuss von Lukas Klostermann wegboxte. Die Leipziger mühten sich, wirkten drei Tage nach dem Europa-League-Spiel in Luhansk/Ukraine und vier Tage vor dem Rückspiel leicht ermattet. Dahoud hätte in der 57. Minute auf 4:1 erhöhen müssen, dies übernahm später Marco Reus, der mit einem Blitzkonter fürs Finale sorgte.