Bundesliga-Neustart:Es droht eine Farce zu werden

Lesezeit: 3 Min.

Bis zum Derby zwischen Dortmund und Schalke am Samstag muss das DFL-Konzept spielreif sein (Foto: REUTERS)

Die Corona-Fälle bei Dynamo Dresden haben das DFL-Hygienekonzept indirekt bestätigt. Sie zeigen aber auch, wie schwer es wird, einen fairen Spielbetrieb zu organisieren.

Kommentar von Klaus Hoeltzenbein

Ein Sonnensamstag in Berlin, Volkspark Friedrichshain. Die Balkonien entflohene Republik rekelt sich erleichtert und treibt Sport. Hinter einer Maske joggt niemand mehr, viel zu heiß, und auf der kompakten Bodybuilding-Anlage drängeln sich Athleten an den Gewichten. Die Plätze an diesem Beachvolleyball-Hotspot sind überbucht, reichlich Publikum ist vorhanden, am Netz fliegen die Tröpfchen, unterm Netz gibt's ab und an Vollkontakt. Social distancing? Ist sicher anderswo. Im Internet widmen sich die Nachrichtenseiten derweil einer Schlüsselfrage zum keimenden Sommer: Wann dürfen wir wieder nach Malle?

In der Schlagzeile nebendran geht's härter zu. Da bekommt's die Bundesliga auf Augen und Ohren, schon wieder: Dynamo Dresden, zwei positive Corona-Fälle, 14 Tage harte Quarantäne! Das entspricht den komplizierten Regeln, da Dresden - im Gegensatz zum 1. FC Köln, bei dem zuvor drei Fälle entdeckt wurden - bereits aus dem Kleingruppentraining ins Mannschaftstraining gewechselt war. Die ersten beiden Spiele von Zweitligist Dynamo, die am 16. Mai gestartet werden sollten, sind verschoben, aber dann?

Unvorstellbar, dass die Sachsen vom Hometrainer im Wohnzimmer direkt einziehen in den laufenden Spielbetrieb. Wie lange aber hält der Bundesliga-Fußball solch ein Spielplan-Puzzle aus? Gibt er gar vor dem 30. Juni, bis zu dem das Geisterspiel-Programm durchgeboxt sein soll, entnervt auf? Wird vorher abgepfiffen?

Wie weit geht es mit der Nächstenliebe?

Die Frage wird bereits gestellt. Und vermutlich gibt es von den Wettbüros, denen ohne Sport gerade die Wetten fehlen, darauf in Kürze eine Quote. Christian Seifert, Chef der in der Deutschen Fußball Liga (DFL) organisierten 36 Erst- und Zweitligisten, der das Experiment des Wiederanpfiffs verantwortet, hat am Samstag erklärt: Es gebe sicher eine Schmerzgrenze, über die es nicht hinausgehen könne. Diese Grenze hat Seifert nicht näher definiert. Der Ausfall von Dresden ließe sich wohl auch noch verkraften, wenn sich Dynamo bis zum Saisonende überhaupt nicht mehr bewegt. Um juristische Scharmützel zu vermeiden, geht es zur nächsten Saison dann vielleicht mit 19 statt 18 Zweitligisten weiter. Aber es ist halt doch nur zweite Liga. Im Grenzbereich landet das DFL-Experiment erst, sobald ein Erstligist im laufenden Betrieb in Quarantäne geschickt werden muss. Sofort ergäben sich 1000 Wertungsfragen bis hin womöglich zu dem Punkt, wer demnächst in der Champions League spielen darf.

Die DFL hat in Hektik ein Konzept entwickelt, an dem bis Samstag nachgebessert werden kann, nachgebessert werden muss. Dann wird das Derby Dortmund gegen Schalke angepfiffen, dann muss es spielreif sein. Die Organisation geht ein hohes Risiko, denn mit Geisterspielen lässt sich nichts gewinnen. Diese triste Gegenwart ist jetzt auch nichts mehr für jene, die im Fußball die Spurenelemente der Romantik suchen. Der Fußball ist ein schönes Spiel, aber die Bundesliga und die DFL sind ein Produkt, eine Firma, ein Geschäft. Viele Klubs, die unter diesem Dach versammelt sind, haben sich in ihren Bilanzen von Fernsehrate zu Fernsehrate gehangelt, sie haben sich verkalkuliert, sie stehen vor der Pleite. Aber warum lässt sich die Lufthansa vom Staat retten? Warum zahlt Galeria Kaufhof keine Betriebsrenten mehr? Warum sind Millionen Deutsche in Kurzarbeit? Wer die Pandemie in ihren Folgen für Wirtschaft und Wohlstand hat kommen sehen, der ist Prophet; allen anderen muss das Recht auf Selbstrettung zugesprochen sein.

Einen Kollektivanspruch auf Staatshilfe erhebt die Bundesliga nicht, es kursiert ja auch noch ziemlich viel Vermögen im Gewerbe. Dieses könnte im Ernstfall so verteilt werden, dass ein Überleben der meisten Klubs möglich ist, die - stellvertretend steht Schalke 04 - gerade mit spitzem Bleistift darum kämpfen. So weit aber geht die Nächstenliebe wohl doch nicht. Der kleine gemeinsame Nenner, auf den sich die Klubs bei leichtem Widerstand von Werder Bremen haben einigen können, ist der gemeinsame Wille zum Anpfiff am 16. Mai. Ein früh gesetzter Termin, an dem die Bundesliga im erwachenden Balkonien mit viel Applaus nicht rechnen darf. Aber so wie niemand verpflichtet werden kann, mitzuspielen, so ist auch niemand gezwungen zuzuschauen.

Das Beispiel Dresden hat das Hygienekonzept der DFL indirekt bestätigt. Dieses hatte zum Ziel, vor dem ersten Anpfiff die Corona-Fälle in der Liga zu identifizieren. Es zeigt aber auch, wie schwer es wird, einen Spielbetrieb zu organisieren, der später bei Abpfiff als fair beurteilt werden kann. Die Unternehmung läuft ihre neun Restspieltage lang Gefahr, zu einer Farce zu werden. Doch die DFL sucht das rettende Ufer mit aller Macht. Wegweiser ist eine alte Leitlinie des Spitzensports: Es ist besser, spektakulär zu scheitern, als es nicht versucht zu haben.

© SZ vom 11.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Fußball
:Zwei Fälle, die alle Pläne torpedieren könnten

Die neuen Corona-Infektionen und die verhängte Quarantäne bei Dynamo Dresden werfen Fragen zur geplanten Fortsetzung des Profi-Fußballs auf: Wie viele solcher Fälle verträgt der Spielbetrieb, bis er kollabiert?

Von Johannes Aumüller und Javier Cáceres

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: