Süddeutsche Zeitung

Fußball und Corona:Hinten anstellen ist jetzt die beste Taktik

Will der Fußball die Bundesliga mit Geisterspielen zu Ende bringen, sollte er der Strategie von DFL-Chef Seifert folgen: Es ist nicht an der Zeit, lautstark Forderungen zu stellen.

Kommentar von Klaus Hoeltzenbein

Für den Augenblick sieht es so aus, als hätten Politik und Sport am Mittwochabend ein bisschen Doppelpass gespielt. Dem professionellen Fußball jedenfalls hat kaum etwas Besseres passieren können, als dass er in der um Bundeskanzlerin Merkel orchestrierten Pressekonferenz nahezu nicht vorkam. Geisterspiele? "Die Bundesliga war heute kein Thema", durfte Markus Söder von der CSU sagen, der Ministerpräsident ist in jenem Bundesland, in dem so mancher bisweilen den Eindruck hatte, es werde vom FC Bayern aus der Säbener Straße regiert. Dass dies zumindest für den Augenblick nicht der Fall ist, stand auch im Subtext der Berliner Botschaft an den Spitzensport, die da lautete: Hinten anstellen! Die Politik hat Wichtigeres zu tun.

Selten zuvor dürfte dem Fußball, dessen Hybris ja auch während der Corona-Krise immer mal wieder thematisiert wurde, eine demonstrative Zurückstellung derart in die eigene Taktik gepasst haben. Diese Taktik hatte Christian Seifert, der Chefstratege des deutschen Fußballs, jüngst in einen mahnenden Merksatz an alle 36 Erst- und Zweitligisten gepackt: Es dürfe nicht der Eindruck entstehen, "der Fußball ignoriere in seiner Selbstbezogenheit die Realität". Somit passt es, dass in Berlin zunächst Schulen, soziale Einrichtungen oder die Öffnung kleinerer Geschäfte Priorität genossen.

Seit Wochen steht die Strategie von Seifert, 50, des Geschäftsführers der Deutschen Fußball Liga (DFL). Sie folgt der Prämisse: Geisterspiele, schnellstmöglich! Sobald wieder vor Kameras gespielt wird - irgendwie, irgendwo -, fließt auch die vierte und letzte Saisonrate aus dem Verkauf der Fernsehrechte. Traditionsklub Schalke 04 zum Beispiel hat auf diese letzte Rate (angeblich 15,892 Millionen Euro) seine knappe Kalkulation gebaut. Dass Schalke zahlungsunfähig wird, daran hat auch der zentrale Bundesliga-Fernsehpartner, der Pay-TV-Sender Sky, ganz sicher kein Interesse. Denn taumelnde Diven wie die Königsblauen sind naturgemäß in jedem Zustand fürs Publikum attraktiver als die weiterhin gut durchfinanzierten Werksklubs aus Wolfsburg (Volkswagen) oder Leverkusen (Bayer-Werk).

Ein Datum wurde in Berlin aber auch für den Fußball gesetzt: Bis 31. August bleiben alle Großveranstaltungen untersagt. Musikfestivals, Messen, Schützenfeste fallen aus, der Fußball müsste sich bis August in seinen beiden höchsten Spielklassen ohne Stadionpublikum organisieren. In unteren Spielklassen, die existenziell auf Bratwurst- und Ticketverkauf angewiesen sind, hat die Verfügung wohl den endgültigen Toresschluss zur Folge - so lange, bis mal wieder jemand kommen darf. Wohl nur die 36 DFL-Profiklubs behalten somit eine sportliche Perspektive, denn am 30. April treffen sich erneut die 16 Ministerpräsidenten mit der Kanzlerin. Dass dann Geisterspiele auf die Tagesordnung rücken könnten, hat Politiker Söder am Donnerstag suggeriert: Er halte das publikumslose Ballsport-Theater immerhin "für denkbar".

Der Bundesliga-Betrieb ließe sich im Mai relativ flott hochfahren. Zumindest dann, wenn er im Stadion auf drei Hundertschaften Personal zusammengestrichen wird. Will Seifert dies im akuten Klima einer Vergnügungs-Skepsis durchboxen, so sollte er seine sonst so laute Klientel weiter auf seine Taktik einschwören - und sie zur Leisetreterei verpflichten.

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SZ vom 17.04.2020/ska
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