Fußball:"Geisterspiele sind die einzige Überlebenschance für viele Klubs"

Eintracht Frankfurt - FC Basel

Der Gegenentwurf zu Mexiko 1970: Eintracht Frankfurt gegen den FC Basel im März. Das Spiel fand wegen Covid-19 ohne Zuschauer statt.

(Foto: Uwe Anspach / dpa)
  • Bei ihrer außerordentlichen Mitgliederversammlung beschließt die Deutsche Fußball Liga (DFL) eine Aussetzung des Spielbetriebs bis zum 2. April.
  • Dass es danach direkt weitergeht, erwartet keiner der Beteiligten.
  • DFL-Chef Seifert bereitet die Klubs auf Geisterspiele vor.

Von Philipp Selldorf, Frankfurt

Bernd Hoffmann, der Vorstandsvorsitzende des Hamburger SV, gab sich Mühe, vorsichtig zu sein. Während er mit der linken Hand die Tasse Kaffee balancierte, versuchte er mit dem Ellbogen des rechten Armes die Klinke der Tür zum Sitzungssaal herunterzudrücken. Funktionierte aber nicht, weshalb er dann doch den Griff in die Hand nahm, um sich Zutritt zu verschaffen. Eile war geboten, der deutsche Profifußball saß zum Gipfeltreffen hinter der sperrigen Tür im Frankfurter Flughafenhotel beisammen, und die Lage der Klubs in der Corona-Krise ist mit dem Begriff ernst offenbar unzureichend beschrieben. Dass, wie Teilnehmer schilderten, die typischen Kontroversen, Debatten und Verteilungskämpfe unter den Vertretern der ungleichen Vereine ausblieben, ist als weiteres Alarmsignal zu deuten.

Drei Stunden dauerte die außerordentliche Mitgliederversammlung der beiden Spitzenligen, die seit dem vorigen Wochenende in eine Zwangspause eingetreten sind, die vorläufig bis Anfang April terminiert war und nun mit der Absage des 27. Spieltags verlängert wurde. Dass es danach tatsächlich weitergeht mit dem Spielbetrieb, das erwartet im Grunde keiner der Beteiligten, zumal in verschiedenen Bundesländern jeglicher Sportverkehr bereits bis Mitte April suspendiert worden ist. Ob am 19. oder 26. April oder im Mai oder Juni wieder gespielt werde, darüber könne man nur spekulieren, sagte DFL-Geschäftsführer Christian Seifert.

Zwar rechnet man bei der DFL damit, dass durch die Verschiebung der Europameisterschaft mehr Platz im Terminkalender entsteht, doch auch dann wird es allenfalls eine unpopuläre Variante des Volksvergnügens Fußball geben, das sollte nach Seiferts Berichterstattung jedem Vereinsdelegierten klar geworden sein: Fußball mit Zuschauern werde es vorerst nicht mehr geben, "Geisterspiele sind in der nächsten Zeit die einzige Überlebenschance für viele Klubs", sagte der DFL-Chef, "ich bitte Millionen von Fans um Verständnis und Unterstützung für diese Überlegungen". Die Sicherung der Fernseheinnahmen und der damit verbundenen Sponsoring-Erlöse hat für die Liga demnach oberste wirtschaftliche Priorität.

"Alle anwesenden Vertreter der Liga und auch ich erleben gerade die vermutlich schwierigste Phase unseres Berufslebens", erklärte Seifert, der nicht bekannt ist als Freund pathetischer Worte. Die ungewisse Entwicklung der Situation mache vorausschauendes Handeln nahezu unmöglich. "Wenn das Coronavirus unser größter Feind ist, dann ist vermutlich die Unsicherheit der zweitgrößte." Die verordnete Spielpause sollen die Klubs zur Sondierung ihrer finanziellen Verhältnisse, Sorgen und Nöte nutzen. "Alle Klubs entwerfen umgehend Extrem-Szenarien hinsichtlich ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und melden diese umgehend der DFL", so Seifert. Oder: "Um es ganz offen zu sagen, wir müssen einen Überblick bekommen, wer hält wie lange ohne Spiele durch?" Dies ist offenbar kein Entwurf für ein Horrorszenario, sondern die zentrale und höchst realistische Frage der Krise.

Seifert: Es geht auch um emotionale und moralische Solidarität

Ende März wollen Klubs und DFL erneut zusammenkommen, um weitere Beschlüsse zu fassen, man müsse derzeit "auf Sicht fahren", wie es hieß. Seifert berichtete, zum Zweck der Beschlussfähigkeit habe sich die Mitgliederversammlung auf einen "Notfallparagrafen" verständigt - etwa für den Fall, dass Reisen eingeschränkt würden und eine Zusammenkunft nicht mehr möglich sei. "Es sieht aus und fühlt sich an wie in einem Science-Fiction-Film", findet Seifert.

Vor der Sitzung war noch spekuliert worden, ob wohl Lösungsmodelle diskutiert würden, wie man mit der Saison umgehen sollte, wenn sie nicht zu Ende gespielt werden könnte. Setzt man die sportlichen Entscheidungen aus, verzichtet man auf Meister und Absteiger und verteilt die Europacup-Plätze an die sechs Bestplatzierten? Beurteilt man den Verlauf nach dem aktuellen Tabellenstand oder - wie es aus der Mitte der Beteiligten auch schon angeregt wurde - nach dem Tabellenstand der abgeschlossenen Hinrunde, nachdem jeder einmal gegen jeden gespielt hatte?

Eine Diskussion über solche Modelle wäre zwangsläufig ausgeufert. Über Abstieg und Aufstieg nach dem vorläufigen Tabellenstand zu entscheiden, hätte keine Akzeptanz gefunden, juristische Auseinandersetzungen wären die logische Folge gewesen. Doch am Montag waren solche Überlegungen zumindest im Plenum kein Thema, so Seifert: "Klar ist, alle Klubs wollen diese Saison irgendwie regulär zu Ende kommen lassen. Das ist eine Frage der sportlichen Integrität."

Auch über eventuelle Solidarprogramme zur Stützung von Klubs, die wegen der Einnahmeausfälle finanziell in Not geraten, wurde angeblich nicht diskutiert. "Allen Beteiligten war wichtig zu betonen, dass es nicht nur um finanzielle, sondern auch um emotionale und moralische Solidarität geht", sagte Seifert im Laufe seines Vortrags ein wenig nebulös. Offenbar zielte die Äußerung auf Meinungsbeiträge von Klubfunktionären während der vergangenen Tage. So hatte zum Beispiel Borussia Dortmunds Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke darauf hingewiesen, dass Vereine, die gut gewirtschaftet hätten, nicht zur Unterstützung der notleidenden Konkurrenten verpflichtet seien. "Es geht nicht darum, wer in der Öffentlichkeit besser dasteht, sondern um das Überleben vieler Vereine", ergänzte DFL-Chef Seifert nun die Ausführungen.

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