Bundesliga: Christoph Daum:Schluss mit sachlich

Es ist Jahre her, dass Christoph Daum die Eintracht aus Frankfurt im Stadion gesehen hat. Jetzt will er den Klub retten: mit markigen Sprüchen, einem 25-Stunden-Tag und jeder Menge Pathos.

Marc Widmann, Frankfurt

Die Krawatte passt schon mal. Schwarz-rot-weiß, die Farben der Eintracht hat sich Christoph Daum um den Hals gebunden, als er in den Pressesaal unter der Frankfurter Haupttribüne tritt und erst mal geblendet wird. Zehn Kamerateams und zwei Dutzend Fotografen warten auf ihn. Es wird gedrängelt, es geht zu wie beim Atomgipfel der Kanzlerin, nur dass hier ein vermeintlicher Erlöser begrüßt wird.

Training Eintracht Frankfurt

Große Geste: Christoph Daum beim ersten Training in Frankfurt.

(Foto: dapd)

Daum ist da. Oder "Christoph", wie ihn Eintracht-Vorstandschef Heribert Bruchhagen schon nennt. Was er von Christoph will, verkündet Bruchhagen gleich am Anfang: "Die Zuversicht, die Christoph ausgestrahlt hat vom ersten Tag unserer Begegnung an, soll übergehen auf unseren Verein." Das ist die Aufgabe. Daum soll motivieren, soll die Unsicherheit vertreiben aus den Köpfen der Spieler, soll den Klub vor dem Abstieg retten.

Und Daum macht mit. Eineinhalb Stunden Bedenkzeit hatte er am Montagabend, das reichte für einen Spaziergang mit seiner Frau. Dann schlug er ein, weil "die Perspektiven in Frankfurt großartig sind". Weil er "mit dem Traditionsverein an den nationalen Spitzenbereich anknüpfen" will und ja, sogar "das internationale Flair zurückholen". So viel muss es schon sein, damit er sich nach monatelanger Auszeit und Praktika in England und Südamerika wieder auf die Trainerbank setzt, seine Villa in Köln eintauscht gegen ein Hotel in Frankfurt.

"Jetzt geht's 25 Stunden am Tag um die Eintracht", sagt Daum. Für seine Familie hat er daheim "Bilder aufgestellt und ein altes Video eingelegt, das können sie sich angucken", wenn sie Sehnsucht nach ihm haben. Der Saal lacht, nur Bruchhagen schaut ernst. Genau deswegen hat er Daum geholt. Damit dessen Leidenschaft die Frankfurter Blockaden hinwegspült. Auch wenn er dafür seine bisherige Philosophie ziemlich umkrempeln musste. Es ist ein Experiment.

Ein wenig versucht Daum zu bremsen. Aber nur ein klein wenig. "Eine Person, die als Messias auftritt, reicht nicht", sagt er. Und dass Erfolg "keine One-Man-Show" ist. Dann erzählt er von seinem Sohn Marcel, der mitkommt nach Frankfurt, ein Fachmann für Spielanalysen am Computer. Marcel hat bei Daums letztem Klub Fenerbahce Istanbul das "Fenerlab" aufgebaut und fleißig Daten gesammelt.

Nun macht er bereits Überstunden und besorgt für seinen Vater jede Menge Fakten und Material über die Eintracht. Was zugleich zeigt, wie sehr Daum am Anfang auf seine Fähigkeiten als Motivator vertrauen muss: Er kennt das Team, seine spielerischen Stärken und Schwächen, kaum. Es ist Jahre her, dass er die Eintracht im Stadion sah. "Ich bin nur rudimentär informiert", räumt er ein.

Schon vor dem ersten Training gibt der 57-Jährige einen kleinen Einblick in seine Pläne. Nein, es wird nicht irgendwelche magischen Zirkel geben oder Vodoo, scherzt er. Daum weiß, dass sich diese Geschichten eingebrannt haben: Wie er einst 40000 Mark an die Kabinentür klebte, wie er Spieler über zerbrochene Glassscherben laufen ließ. Wie er Stürmern einimpfte, sie müssten genauso hartnäckig dranbleiben wie ein Staubsaugerverkäufer.

In Frankfurt will er erst mal den Ball laufen lassen im Training, damit die Spielfreude zurückkommt. "Und ich werde klar sagen: Wir fangen noch einmal bei Null an, jeder hat die Chance zu zeigen, dass er stolz ist, das Eintracht-Trikot zu tragen." So will er die Spieler wachrütteln: Mit einem kräftigen Schlag Pathos.

2000 beim Auftakttraining

Zumindest Eintracht-Chef Bruchhagen glaubt, dass genau das den Verein auffangen kann. Es ist eine interessante Kehrtwende. Bisher hat der seriöse und bedächtige Kaufmann eher auf den entgegengesetzten Trainertyp gesetzt, auf Willi Reimann, Friedhelm Funkel oder Michael Skibbe. Auf den Typ ruhig und sachlich.

Noch vor vier Jahren sagte Bruchhagen in einem Interview: "Wenn man 100 Journalisten fragt, ob sie den Trainer Willi Reimann oder den Trainer Christoph Daum wollen, entscheiden sich 100 für Daum - umgekehrt wäre es richtig." Dieser Satz ist dem Eintracht-Chef heute unangenehm. Er wollte damals nur einen Trainertyp verteidigen, dem alle Farblosigkeit vorgehalten haben, sagt er, das habe ihn damals mächtig geärgert.

Dann aber sah Bruchhagen den 2:1-Sieg der Eintracht gegen St. Pauli am Wochenende, und verabschiedete sich von seiner alten Philosophie. Es war der erste Sieg der Rückrunde, aber auch erschreckend schwaches Spiel. Noch nie habe er sein Team so verunsichert gesehen, sagt Bruchhagen. "So eine Blockade kann nur auch mentale Gründe haben." Sein Freund Michael Meier habe ihm geraten, es doch mal mit Daum zu probieren. Da setzte sich der bedächtige Eintracht-Chef ins Auto, fuhr nach Köln und verpflichtete einen Mann, den er selbst eine "schillernde Figur" nennt. Schließlich gehe es um den Verein.

Die schillernde Figur genoss am Mittwoch, wieder Fußball erklären zu können. "Wenn der Kopf richtig funktioniert, dann ist er das dritte Bein", sagt Daum. Er wird also daran arbeiten, bald dreibeinige Eintracht-Spieler auflaufen zu lassen.

Bei den Fans entwickelt sein Erscheinen schon am ersten Trainingstag eine beachtliche Wirkung. Sie strömen herbei, etwa 2000 sind es schließlich. Der Hessische Rundfunk überträgt eine halbe Stunde live im Fernsehen und der Moderator teilt den Zuschauern mit, solch einen Ansturm habe er noch nie erlebt.

Am Rande des Trubels stehen zwei Männer in der Sonne, einer dick, einer bärtig. Sie streiten, wie man es meistens tut am Trainingsplatz. Über Daum. Der Bärtige sagt: "Der ist genau der Richtige. Der tritt der Mannschaft endlich in den Arsch." Ach hör uff, schimpft der Dicke. "Für den sind wir doch nur eine Durchgangsstation."

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