Bundesliga: Christoph Daum:Frankfurt, wie es klopft und jubelt

Vor seinem Liga-Debüt als Frankfurt-Trainer treibt Christoph Daum die Eintracht mit Medizinbällen und Sprüchen an. Mit zweifelhaftem Erfolg: Gleich drei Spieler verletzen sich dabei und fallen aus.

Marc Widmann

In den vergangenen Tagen waren eindrucksvolle Szenen zu beobachten auf dem Trainingsplatz der Frankfurter Eintracht, die derzeit auf dem fünften Platz der Tabelle steht, von unten. Da stand der Assistenztrainer und rief plötzlich: "Jetzt jubelt die Eintracht!"

Christoph Daum

Vertreiber der Lethargie: Frankfurts Trainer Christoph Daum.

(Foto: AP)

Und die Eintracht jubelte, auch wenn es keinen Grund dazu gab, sie fiel sich in die Arme und tätschelte sich. Dann rief der Übungsleiter, die Eintracht möge doch einmal auf diesen roten Adler klopfen, der auf ihrer Brust prangt, denn "der ist kräftig, athletisch, sieht alles und stößt im richtigen Moment zu", der ist also genau so, wie es die Eintracht gern wäre. Die Eintracht klopfte.

Nein, dieser Jubel-Animateur war nicht Christoph Daum persönlich, es war sein Co-Trainer und Einpeitscher Roland Koch, seit drei Jahrzehnten treu an seiner Seite. Aber man darf davon ausgehen, dass der Cheftrainer selbst, den sie in Frankfurt wie einen Erlöser empfingen, dessen erstes Training vor 2000 Fans sie live im Fernsehen zeigten, ziemlich einverstanden war. "Überlebenskampf ist angesagt", befindet Daum. Da darf einem nichts peinlich sein.

Sogar den Medizinball (fünf Kilo) und die Langhantel (50 Kilo) ließ er auspacken. Schließlich spielt die Eintracht am Sonntag im Abstiegsduell gegen Wolfsburg, schließlich schonte auch deren neuer Trainer Felix Magath den Medizinball nicht. Insofern herrscht jedenfalls Gleichstand. Daum erwartet "nicht irgendeinen Attraktivitätspreis", Überlebenskampf eben. "Schon ein Punkt wäre eigentlich eine Riesensache."

Die Frankfurter haben den 57-Jährigen geholt, damit er die "depressive Atmosphäre" und "Lethargie" vertreibt, von der Vorstandschef Heribert Bruchhagen sprach, mit welchen Mitteln auch immer. Und Daum erhöhte zuerst das Tempo. Statt fünfmal trainiert die Mannschaft jetzt achtmal. Dabei ist es nun deutlich lauter. "Reißt euch den Arsch auf", brüllt Daum schon mal. Er schickt die Spieler in Zweikämpfe, damit sie "eine gewisse Aggressivität" wieder erlernen. Er treibt sie. "Es geht um ganz triviale Dinge", sagt er, "Leidenschaft, Begeisterung, Power, Feuer!" Die Frage ist nur, ob der vermeintliche Retter dabei nicht etwas zu hitzig vorgeht.

Gleich drei Spieler, darunter der Brasilianer Caio, können am Sonntag voraussichtlich nicht spielen, weil sie sich im feurigen Training Muskelprobleme zuzogen, weitere sind angeschlagen. Hat der Motivationskünstler überdreht? "Die Spieler sind hochmotiviert in die Übungen reingegangen und hier und da vielleicht ein Schritt über das Ziel hinaus", sagt Daum. Das sei aber eine gute Sache. "Ich würd's immer wieder so machen", sagt Daum, "um sie an die Schmerzgrenze heranzuführen."

Nicht nur ihre Schmerzgrenze lernen die Spieler jetzt kennen, auch einen Neun-Stunden-Tag. Morgens um neunUhr empfängt sie Daum mit einem Frühstück auf der Tribüne. Erst abends um sechs entlässt er sie. Dazwischen hält er taktische Schulungen ab, Videositzungen vor der neu erworbenen Großbildleinwand der Eintracht, Einzelgespräche. "Wir machen das, um den Spielern Selbstwert zu geben", sagt er. Wer hart gearbeitet habe, schöpfe daraus Selbstvertrauen.

Sogar nachdenkliche Momente

Das klingt weniger nach dem Mann, der früher für den schnellen Effekt 40.000 Mark an die Kabinenwand klebte. Sondern nach einem, der sich etwas weitergehende Gedanken macht. "Es ist nicht irgendso ein Zauber oder Handauflegen", sagt der Trainer. Es gebe wohl kaum jemand in der Liga, der sich so regelmäßig fortbilde wie er und seine Assistenten.

Zwischendurch beschlichen Daum sogar nachdenkliche Momente. Nur eineinhalb Stunden Bedenkzeit blieben ihm, ehe er sich für Frankfurt entschied. Das Team kannte er nicht. "Als ich erkannt habe, in welch schwieriger Lage wir sind, da hatte ich schon zugesagt", erzählte er diese Woche. Seine Aufgabe sei "schwierig, aber lösbar". Es klang wenig euphorisch. Damit meinte er wohl ernüchternde Erlebnisse wie jene mit dem jungen tschechischen Stürmer Martin Fenin. Der sollte im Training aus kurzer Distanz ins Tor treffen, was ja sein Beruf ist, doch sieben Mal scheiterte er. Als es tatsächlich noch klappte, rief Daum: "Ja, Martin, das ist deine Qualität."

Die Mannschaft kann Daum schon deshalb nicht völlig umkrempeln, weil es an Alternativen fehlt. Zwar ließ er einige Nachwuchsspieler mittrainieren, aber in die nervenaufreibenden letzten Spiele will er die Jugend nicht schicken. Was die Taktik angeht, so wird die Eintracht unter ihm wohl auch bisweilen mit einem zweiten Stürmer auflaufen, nicht immer, sondern je nach Situation. "Jede starre Taktik wird zu einem Grab", sagt Daum. Das ist wieder einer seiner pathetischen Sprüche, von denen er es immer noch auf ein halbes Dutzend pro Tag bringt.

In Frankfurt schläft er in einem edlen Hotel mit Blick auf die Skyline, sonst hat er von der Stadt fast nichts gesehen. Außer der Eintracht und deren Chef Heribert Bruchhagen. Von diesem grundsoliden Manager, der so ganz anders ist als er selbst, kann Daum hingebungsvoll schwärmen. Offenbar vermittelt Bruchhagen dem Rastlosen ein Gefühl der Verbundenheit. So weit geht das, dass Daum schon gar nicht mehr weg will. "Ich biege in die Zielgerade meiner Karriere ein", sagt er, "und würde mich freuen, die ganze Zeit mit diesem Verein zusammenzuarbeiten."

Wenn das nicht motivierend ist. Darauf ein dreifaches: "Jetzt jubelt die Eintracht!"

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