Süddeutsche Zeitung

Bundesliga: Cacau:Er will nur helfen

Stuttgart hofft im Abstiegsgipfel auf Stürmer Cacau. Genau darin liegt derzeit das Problem des Stürmers: Er ist fast zu wichtig geworden ist fürs Spiel des VfB Stuttgart.

Christof Kneer

Für ein paar Sekunden waren sich der alte und der neue Cacau ganz nah. Der alte Cacau zauberte einen brasilianischen Heber aus dem Fußgelenk, der neue Cacau brach kurz darauf aus der Abwehrreihe hervor, umkurvte den Torwart und schob den Ball ins Tor.

Diese Szene ist jetzt zwei Wochen alt, sie stammt aus dem letzten Heimspiel des VfB Stuttgart gegen Frankfurt. Wer die Szene unmittelbar nach Cacaus Torschuss anhält, bekommt in Kurzversion einen Überblick über die Karriere-Entwicklung des Jeronimo Maria Barreto Claudemir geliefert. Lange galt dieser Cacau als frommer Künstler, der selbst nie genau wusste, wann ihn die nächste geniale Idee anspringen würde. Noch weniger wussten es seine Mitspieler. Dann aber kam die Phase, in der man förmlich dabei zusehen konnte, wie sich der Künstler aufrichtete, wie seine Kunst erwachsen wurde. Cacau spielte präsenter, effektiver, mit einer taktischen Reife, die seiner individuellen Klasse keinen Raum nahm. Cacau wurde - Achtung, schlimmes Wort! - zum Führungsspieler.

Man muss die Szene aus dem Frankfurt-Spiel noch ein paar Sekunden weiterlaufen lassen, um neben dem alten und dem neuen Cacau auch den ganz neuen Cacau zu erkennen. Die Szene geht so weiter, dass Cacau zur Werbebande rennt und so lange enthemmt jubelt, bis ihm der Kollege Pogrebnjak schüchtern auf die Schulter tippt und ihn darauf hinweist, dass der Schiedsrichter-Assistent dieses Tor, nun ja, leider aberkannt habe Es wäre das 2:2 gewesen, in Unterzahl. Dann sieht man, wie Cacau die Hände überm Kopf zusammenschlägt.

Es ist nicht Cacaus Saison bisher, was daran liegt, dass es nicht die Saison des VfB Stuttgart ist. Er wolle nicht im Niemandsland der Tabelle rumspielen, hatte Cacau vor Saisonbeginn gefordert, und jetzt wären sie alle froh, wenn nach dem Spiel auf Schalke wenigstens wieder ein Zipfelchen Niemandsland in Sicht wäre. Letzter ist der VfB in der Tabelle, mit der Gefahr, bei einer Niederlage in Schalke abgehängt zu werden. Dafür ist man Erster im Trainerrauswurf-Ranking. Und Cacau? Hat drei Tore bejubelt, aber - siehe oben - nur zwei geschossen.

"Cacau ist entscheidend dafür, dass es bei uns wieder in die richtige Richtung geht", sagt VfB-Manager Fredi Bobic. Genau das ist Cacaus Problem zurzeit: dass er fast zu wichtig geworden ist fürs Spiel des VfB. Er ist der beste Spieler dieser verirrten, verwirrten Elf, er weiß das, und er will nur helfen. Er hat es nur gut, vielleicht zu gut gemeint zuletzt.

Er wollte als erster beim Schiedsrichter sein, um zu reklamieren, er wollte als erster den Freistoß schießen, ihn als erster einköpfen und als erster zurück zum Mittelkreis rennen, um den Anstoß auszuführen. "Cacau hat ein unheimliches großes Herz", sagt Bobic, "unbewusst hat er sich zu viel Verantwortung aufgebürdet." Cacau hat alle Baustellen im Spiel erkannt, er hat sie rührend alle zu schließen versucht, und dabei versehentlich eine neue aufgemacht: im Sturm, wo ihm vor lauter Helfersyndrom die Konzentration fehlte.

Kellers erster Handgriff

Bobic kennt die Stürmerseele gut, er weiß, wie Angreifer ticken. "Ich hatte auch Phasen in meiner Karriere, wo ich zu viel wollte, dann muss man erkennen, dass weniger auch mal mehr sein kann", sagt er und meint, Cacau müsse wieder "die Balance zwischen Verantwortung und Leichtigkeit finden". Da trifft es sich gut, dass der VfB gerade wieder das getan hat, was er am besten kann: Er hat den Trainer entlassen. Trainerentlassungen führen in diesem Verein in der Regel zu einem gewaltigen Ausbruch an Leichtigkeit, was der neue Trainer Jens Keller mit den üblichen Handgriffen zu unterstützen gedenkt.

Aufgrund eines allgemein akzeptierten Branchengesetzes müssen neue Trainer einen sog. neuen Akzent setzen, sie müssen andere Namen in die Aufstellung schreiben oder zumindest die Namen anders anordnen. Von Keller wird erwartet, dass er das 4-4-2 des im Unfrieden geschiedenen Vorgängers Christian Gross verändert, dabei könnte Cacau die Rolle eines freischaffenderen Künstlers zufallen. Er soll nicht mehr ganz vorne drin stehen, sondern mehr aus der Tiefe kommen dürfen.

Cacau ist die Hoffnung des VfB, nicht sein Problem. "Viele verstecken sich, wenn's eng wird", sagt Bobic, "aber garantiert nicht Cacau." Sie hoffen, dass ihm schon auf Schalke ein Treffer gelingt, den kein Assistent der Welt mehr aberkennen kann.

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Quelle:
SZ vom 16.10.2010/jüsc
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