6:1 gegen Wolfsburg:Dortmund trommelt auf den Lockenkopf

6:1 gegen Wolfsburg: Anerkennung aus berufenem Munde: Dortmunds Goalgetter Erling Haaland (links) gratuliert Tom Alexander Rothe zu dessen Spiel und Tor-Debüt.

Anerkennung aus berufenem Munde: Dortmunds Goalgetter Erling Haaland (links) gratuliert Tom Alexander Rothe zu dessen Spiel und Tor-Debüt.

(Foto: Martin Meissner/AP)

Tom Alexander Rothe, der neueste Teenager aus dem BVB-Talentschuppen, braucht in seinem ersten Bundesligaspiel nur 24 Minuten zum Tor-Debüt. Für manchen gestandenen Dortmunder könnte es künftig schwer werden.

Von Freddie Röckenhaus, Dortmund

Beim Ritual mit der Mannschaftsaufstellung vor dem Anpfiff wartete Stadionsprecher Norbert Dickel noch vergeblich auf das obligatorische Echo aus dem Publikum. Auf seine Aufforderung "Tom ..." hallte es gerade mal von ein paar richtig Eingeweihten korrekt zurück: "Rothe!" Eine halbe Stunde später klappte es schon wesentlich besser: Da hatte Borussia Dortmunds neuester Siebzehnjähriger, ein gewisser Tom Alexander Rothe, mit einem technisch brillanten Dreh-Kopfball den BVB mit 1:0 gegen den VfL Wolfsburg in Führung gebracht. Und Dickel konnte gar nicht genug kriegen und ließ sich gleich dreimal hintereinander von den 79 000 Zuschauern anbrüllen: Rothe! Rothe! Rothe!

Das persönliche kleine Märchen vom 1,92 Meter langen Schlaks, gebürtig vom Nordostsee-Kanal und erst im vergangen Sommer vom FC St. Pauli nach Dortmund gewechselt, war da schon geschrieben. 24 Minuten hatte Rothe beim Bundesliga-Debüt fürs Tor-Debüt gebraucht. Noch konnte da keiner ahnen, dass der U19-Nationalspieler, den BVB-Coach Marco Rose auf der linken Außenseite einfach mal aufgestellt hatte, mit seinem verwandelten Eckball eine regelrechte Lawine auslösen würde. 5:0 bei Halbzeit, 6:1 beim Schlusspfiff.

Ganz gegen die Gepflogenheiten des Klubs im Umgang mit jungen Spielern durfte der strahlende Debütant nachher sogar vor die Kameras des Fernsehsenders Sky: "Ein unbeschreiblicher Tag, besser kann es nicht kommen", konnte Rothe nur sagen, und dass er eben wegen der Verletzungsmisere überhaupt erst ins Team gerutscht sei. Raphael Guerreiro musste passen, Ex-Nationalspieler Nico Schulz wollte Rose offenbar auch nicht bringen, und so kam Rothes Traumstart ins Profileben zustande. Nach seinem Treffer konnte der junge Mann froh sein, keine Gehirnerschütterung davongetragen zu haben, als seine Mitspieler ihm zum Torjubel pausenlos auf den Lockenkopf trommelten.

"Das ist eines VfL Wolfsburg nicht würdig", schimpft Sportdirektor Marcel Schäfer

Wolfsburgs Sportdirektor Marcel Schäfer musste nach dem Abpfiff schwer an sich halten: "Superwetter und 80 000 im Stadion, was wir lange nicht hatten. Dass wir an so einem Tag so einen Auftritt abliefern, das ist eines VfL Wolfsburg nicht würdig." Tatsächlich brach der VfL nach Rothes Debüt-Treffer für eine knappe halbe Stunde lang völlig in sich zusammen. Axel Witsel (26.), Manuel Akanji (28.) und Emre Can (34.) erhöhten ohne große Gegenwehr, mitunter sogar mit Hilfe der Gäste, schnell auf 4:0, bis Torjäger Erling Haaland dann endlich seinen ersten Treffer nach fünf Spielen ohne Tor beisteuern konnte (38.) - so sauber von Marco Reus freigespielt, dass der Norweger dem Dortmunder Mannschaftskapitän für sein 5:0 applaudierte, statt selbst in Jubel auszubrechen. Nach der Pause ließ es Dortmund spätestens nach Haalands zweitem Treffer zum 6:0 etwas ruhiger angehen. BVB-Torwart Kobel zeigte dreimal glänzende Reflexe, doch kurz vor Schluss ließ der BVB dann noch einen Wolfsburger Treffer durch Ridle Baku zu (82.).

Wolfsburgs mitgereiste Zuschauer ließen ihrem Frust nach dem Spiel am Zaun vor der Nordtribüne freien Lauf, die Spieler ließen die Schmähungen konsterniert über sich ergehen. Trainer Florian Kohfeldt konnte die Demontage seiner Mannschaft ebenso wenig nachvollziehen: "Es ist das passiert, was uns einfach immer wieder passiert. Wir haben letzte Woche ordentlich gespielt - und dann wieder so ein Spannungsabfall." Der Klassenverbleib ist vermutlich nicht gefährdet, der Ruf von Kohfeldts Truppe schon eher.

6:1 gegen Wolfsburg: Mit Wumms unter die Latte: Erling Haaland gelingt gegen die Wolfsburger Sebastien Bornauw (links) und Koen Casteels (rechts) das 6:0.

Mit Wumms unter die Latte: Erling Haaland gelingt gegen die Wolfsburger Sebastien Bornauw (links) und Koen Casteels (rechts) das 6:0.

(Foto: Patrick Scheiber/Imago)

Für Rothe und für Dortmunds Fans machte es an diesem Samstag freilich keinen so großen Unterschied, ob der Gegner sich halb ergeben hatte oder die höchste Halbzeitführung aller BVB-Bundesligazeiten auf eigene Spielkunst zurückging. Marco Rose hatte, wohl in Abstimmung mit dem designierten neuen Sportdirektor Sebastian Kehl, schon vorher angekündigt, zum Saison-Ausklang verstärkt auf die sogenannten Perspektivspieler aus der A-Junioren-Mannschaft zurückgreifen zu wollen - und mehrere gestandene Profis zur Not eher ins zweite Glied zu befördern.

Rothe war dabei die Spitze des Eisbergs. Später wechselte Rose noch Verteidiger Lion Semic, 18, ein, außerdem den Londoner Jamie Bynoe-Gittens, 17, von dem sie beim BVB glauben, dass er der nächste Jadon Sancho sein könnte, sowie den ebenfalls erst 17-jährigen Youssoufa Moukoko sowie den schon 20-jährigen Reinier.

Reus und Brandt teilen sich mit Erfolg die Arbeit auf der 10

Im Mittelfeld schien die Rechnung mit Marco Reus und Julian Brandt aufzugehen, die sich die Rolle als Zehner hinter Haaland im Jobsharing teilten. Das ließ beide besser aussehen, und beide verbuchten neben vielen guten Szenen und Balleroberungen auch je zwei Scorerpunkte für ihre Torvorlagen. Zugleich wackelte die BVB-Defensive aber selbst gegen die passiven Wolfsburger noch in mehreren Situationen.

Vier Spiele vor Schluss ist der Vorsprung auf Platz fünf groß genug, dass die erneute Champions-League-Qualifikation so gut wie feststeht. Kommende Woche steht das letzte wirklich wichtige Spiel für Dortmund an: beim FC Bayern. Richtig dranbleiben konnte der BVB an den Münchnern auch in dieser Saison wieder nicht. Es geht mal wieder nur um ein bisschen Prestige. Für einige Dortmunder Spieler aber wohl auch um die persönliche Fußball-Zukunft. Die zweite Stufe der Kaderplanung hat spätestens an diesem Samstag begonnen.

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