Bundesliga:BVB-Chef Watzke schimpft: "Das ist doch Wahnsinn"

Borussia Dortmund Annual General Assembly

Regt sich nach 2:2 in Hoffenheim mächtig auf: Dortmunds Geschäfsführer Hans-Joachim Watzke.

(Foto: Bongarts/Getty Images)

Von Tobias Schächter, Hoffenheim

Und dann wurde es auch noch lustig: Ob denn Julian Nagelsmann als Spieler früher so aggressiv gespielt habe wie seine TSG Hoffenheim derzeit in der Bundesliga, wurde Thomas Tuchel gefragt. Der Trainer von Borussia Dortmund überlegte keine Sekunde und antwortete grinsend: "Oh, es war ein ständiger Kampf, sein Phlegma in Gang zu bringen." Da lachte dann auch Nagelsmann, der einst früh seine Spielerkarriere unter dem damaligen Nachwuchstrainer Tuchel beim FC Augsburg beenden musste, dann von Tuchel als Gegner-Beobachter eingesetzt wurde und so erste Berührungen mit dem Trainerberuf gewann. Und diesen übt der 29 Jahre junge Mann nun seit neun Monaten in der Bundesliga so gut aus, dass viele glauben, er sei mit Tuchel zusammen der spannendste Fußballlehrer des Landes.

Am Freitagabend mussten Nagelsmann und Tuchel ein hochdramatisches Unentschieden zwischen ihren Teams erklären: Die Partie zwischen Hoffenheim und Dortmund endete 2:2. Und sie war endlich einmal ein Spiel jener Sorte, das die vorher gehegten Erwartungen voll erfüllte. Dem Begriff Spitzenspiel wurde dieser rasante Schlagabtausch in jeder Sekunde gerecht. Beide Teams versuchten, bis zur letzten Sekunde das Spiel zu gewinnen. Am Ende wirkte Tuchel fast zufriedener mit dem einen Punkt als Nagelsmann, seine Elf hatte ja schließlich nach dem umstrittenen Platzverweis für Marco Reus (41.) fast eine Stunde in Unterzahl agiert und auch sonst viele Rückschläge wegstecken müssen. "Alles, was gegen uns laufen konnte, lief gegen uns", haderte Tuchel und hatte damit aber nicht in allen Punkten Recht.

Es stimmt: Vor dem 2:1 für die Gastgeber schubste Hoffenheims überragender Mittelstürmer Sandro Wagner Dortmunds Sven Bender im Strafraum leicht weg und konnte deshalb zur erneuten Führung einköpfen. BVB-Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke nannte die Szene hinterher "Wahnsinn" und ätzte: "Das hat doch jeder im Stadion gesehen, nur Schiedsrichter Benjamin Brand nicht." Wagner gab nach dem Abpfiff zu, dass man diese Aktion abpfeifen hätte können und auch Nagelsmann meinte: "Ich attackiere Thomas in der Coaching Zone nicht, wenn der Schiedsrichter das Tor nicht gibt."

Dortmund empört vor allem der Platzverweis von Reus

Und auch die beiden Gelben Karten, die zum frühen Platzverweis für Reus geführt hatten, sorgten auf Dortmunder Seite für Empörung. Tatsächlich wirkte es so, als zeigte Brand nach neun Minuten die erste Verwarnungskarte nach einem Foul an Niklas Süle vor allem deswegen, um nicht in den Verdacht zu geraten, nicht früh genug den Spielern Grenzen gesetzt zu haben. Vergangene Woche beim 0:0 zwischen Eintracht Frankfurt und Hoffenheim hatte die laxe Schiedsrichterleistung dazu geführt, dass die Partie in einen hässlichen Hahnenkampf ausgeartet war. Und auch das zweite Foul von Reus nach langem Laufduell und viel Körperkontakt mit Nadiem Amiri sahen die Dortmunder als Fehlentscheidung an - schließlich ziehe zuerst Amiri an Reus' Trikot, klagte Watzke erregt. Und auch hier stimmte Nagelsmann zu: "Die zweite Gelbe Karte für Reus hätte ich auch nicht gegeben."

Doch die Dortmunder hatten auch ziemlich viel Glück im weiteren Spielverlauf: Hätte nämlich Sandro Wagner nach einer herrlichen Kombination in Minute 48 nicht den Pfosten getroffen, sondern zum 3:1 für Hoffenheim, wäre die Partie womöglich entschieden gewesen. Und dass im direkten Gegenzug Pierre-Emerick Aubameyang nach einem herrlichen Pass des überragenden Ousmane Dembele mit seinem 16. Saisontreffer zum 2:2 traf, dokumentierte die Dramatik dieses aufregenden Fußballspiels in einer Szene.

Dembele war bis zu seiner Verletzung der überragende Spieler auf dem Platz

Tuchel lobte seine dezimierte Mannschaft in höchsten Tönen dafür, dass sie "ihre Wut nach der Halbzeit in Biss und Gier umgewandelt" habe: "Dass wir nicht ohne Punkt nach Hause fahren wollten, hat man bis unters Dach gespürt." Und vielleicht wäre die offensiv herausragende Borussia sogar dem Sieg näher gewesen, hätte der grandios aufspielende Dembele wegen starker Prellungen nicht schon in der 70. Minute verletzt vom Platz gemusst.

Der 19 Jahre alte Franzose war bis dahin mit seiner außergewöhnlichen Schnelligkeit und seinem unberechenbaren Spielwitz nur durch Fouls zu stoppen. Erst nachdem er nicht mehr mitgespielt hatte, kamen die vom Ausgleich geschockten und von Dortmunds Offensivkraft eingeschüchterten Hoffenheimer wieder zu Torchancen und hätten durch den eingewechselten Andrej Kramaric (89.) den Siegtreffer erzielen müssen. Auch deshalb fühlte sich das Unentschieden am Ende für die Badener "eher wie eine Niederlage an", wie TSG-Torwart Oliver Baumann hinterher anmerkte.

Es war schon ein bisschen so, dass sich die Hoffenheimer mehr über ihr neuntes Remis ärgerten, als dass sie sich darüber freuten, weiter die einzige ungeschlagene Mannschaft der Liga zu bleiben. Die Leistung gegen Dortmund bewies erneut: Hoffenheim ist unter Nagelsmann vom Fastabsteiger zu einem hungrigen und ernsthaften Europapokalkandidaten gereift. Wo die Grenzen dieser Elf liegen, ist von Woche zu Woche unvorhersehbarer. "Wenn wir gierig bleiben, ist viel drin", glaubt Innenverteidiger Süle, der aber auch warnt: "Wir hatten schon einmal nach der Vorrunde 27 Punkte und sind dann abgekackt." Dass dies nicht geschieht, werden die Hoffenheimer in der Rückrunde beweisen wollen.

Dortmund fehlt ein Spieler wie Mats Hummels

TSG-Trainer Nagelsmann findet, dass sich Dortmund nicht hinter Bayern verstecken müsse. Aber bei allem Stolz über den gelungenen Kraftakt in Unterzahl zeigt der Blick auf die Tabelle, dass die Dortmunder schon nach 15 Spieltagen im Titelrennen wohl vorzeitig abgehängt sind. Gewinnt der FC Bayern am Sonntag in Darmstadt, betrüge der Abstand zwischen dem Tabellenführer und dem BVB zehn Punkte. Und dass, obwohl die Dortmunder die Bayern besiegt haben. Der Auftritt in Hoffenheim stellte das überbordende Talent in der Dortmunder Offensive eindrucksvoll aus. In der Abwehr aber wird ein Anführer wie Mats Hummels, der im Sommer nach München wechselte, vermisst. Weil Sokratis verletzt ausfiel, kam Sven Bender (Tuchel: "Der arme Kerl") zu seinem ersten Pflichtspieleinsatz, der Routinier hatte zuletzt bei Olympia gekickt und konnte gegen die harten Hoffenheimer Defizite nicht in jeder Aktion verbergen.

Immerhin zeigte Mario Götze aufsteigende Form, der Nationalspieler traf zum 1:1 (11.), nachdem Mark Uth die Hoffenheiner schon nach anderthalb Minuten in Führung gebracht hatte. Die Moral der Westfalen stimmte und vielleicht hatte Thomas Tuchel ja recht, als er sagte: "Der Punkt ist Gold wert für uns."

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