Tabellenführer BVB:Glück? In Dortmund sagen sie "Paco"

BVB - Paco Alcacer beim Bundesliga-Spiel gegen den VfL Wolfsburg

Auf den Torjäger ist halt doch Verlass: Paco Alcacer beim 1:0.

(Foto: Leon Kuegler/Reuters)
  • Der BVB erklimmt durch sehr späte Siegtore gegen Wolfsburg die Tabellenspitze.
  • Tore in der Nachspielzeit entwickeln sich zur Spezialität der Mannschaft, die nun zum Spitzenspiel nach München reist.
  • Hier geht es zur Tabelle der Fußball-Bundesliga.

Von Freddie Röckenhaus, Dortmund

Manche nennen es Glück, in Dortmund sagen sie Paco. Jedenfalls seit der Spanier in der Stadt ist, seit Paco Alcácer immer mal wieder Spiele zugunsten von Borussia Dortmund entscheidet, wenn sie eigentlich schon zu Ende sein müssten.

Zum fünften Mal schon hat Dortmunds spanischer Mittelstürmer in der laufenden Saison in der Nachspielzeit getroffen, in dieser seltsamen Phase zwischen Hoffen und Bangen, in der man nicht nur Glück braucht, sondern auch Nerven, unerschütterliches Selbstbewusstsein und natürlich den gewissen Kick im Fußgelenk.

Alcácers Teamkollege Mario Götze, der seinen Ruhm selbst einem späten Siegtor in der Verlängerung des WM-Finales von Rio 2014 verdankt, wollte deshalb nach dem 2:0 gegen den VfL Wolfsburg die Kraft des Schicksals als alleinige Erklärung nicht zulassen: "Natürlich ist es glücklich", fand Götze, "aber es ist auch ein Teil der Qualität unserer Mannschaft." Und Kollege Thomas Delaney ergänzte in der Glücksfrage: "Nein, am Ende haben wir dann einfach Paco."

Im Dortmunder Stadion überschlug sich plötzlich die Stimmung

Paco war in der ersten Minute der Nachspielzeit in strategisch günstiger Position, einen Meter vor der Strafraumgrenze, vom Wolfsburger Verteidiger Anthony Brooks auf den Fuß getreten worden. Die Ausführung des Freistoßes dauerte eine Ewigkeit. Der Ball lag bereit, zentral vor dem Tor, und Schiedsrichter Markus Schmidt mühte sich und mühte sich, die aufgebrachten Wolfsburger auf den vorgeschriebenen Abstand zum Ort des Freistoßes zu bekommen. Als das endlich gelungen war, trat Alcacér mit der versteinerten Miene eines Matadors an - und feuerte den Ball mit solcher Gewalt aufs Tor, dass Wolfsburgs Torwart zwar noch die Fäuste ans Geschoss bekam, es aber nur noch ins Tor abfälschen konnte. Im Dortmunder Stadion überschlug sich plötzlich die Stimmung. Doch Alcácer trabte ein paar Meter weg vom Ort der Exekution, um still dort zu triumphieren, wo keine Stille mehr zu sein schien.

Dortmunds Torjäger ist der Typ für solche Situationen. Deshalb hat er den Job gewollt: Mittelstürmer. Er spielt da, wo Spiele sich entscheiden. Dass ihm drei Minuten später auch der zweite Treffer gelang, war ein Bonus für Paco. Zufall sind seine späten Tore nicht. Am 6. Oktober zum Beispiel kanonierte der Spanier ebenfalls einen Freistoß aus ähnlicher Position ins Tor, nach turbulentem Spielverlauf gegen den FC Augsburg, zum 4:3-Sieg in der 96. Minute. Auch sonst hat keine Mannschaft häufiger in der Nachspielzeit Tore erzielt als die Dortmunder. Achtmal gelang das dem BVB, der durch Alcácers Tor wieder zurück an die Tabellenspitze rutschte.

Berühmt für späte Tore ist seit Jahrzehnten eher der FC Bayern. Späte Tore zeugen von verbissenem Siegeswillen, von unerschütterlichem Glauben an beinahe Unmögliches, von überragender körperlicher Fitness - und im Fall von Alcácer sicher auch von nervlicher Kälte. Jahrzehntelang war die Wahrheit hinter dem Schlagwort von den vermeintlichen "Dusel-Bayern", dass die Münchner oft in der Schlussphase Spiele umbogen, weil sie noch zulegen konnten. Das hat Generationen der Bayern ausgezeichnet. Es sollte den Münchnern wenige Tage vor dem Germanen-Clásico in München mit dem BVB also zu denken geben, dass Dortmund inzwischen eine Mannschaft zu haben scheint, die bis zur letzten Sekunde Spiele drehen kann.

Marco Reus ist Vater geworden - gegen Bayern ist er wieder dabei

Für Alcácer waren seine Ligatore 15 und 16 allerdings auch eine persönliche Erlösung. Nach einer märchenhaften Trefferserie, die ihm im Herbst für Dortmund meist als Einwechselspieler gelang, klappte es zuletzt nur selten. "Es war klar, dass es nicht in dem Tempo weitergehen konnte", hatte Sportdirektor Michael Zorc den Stürmer in Schutz genommen, "seine Quote stellte eine Zeit lang ja sogar Gerd Müller in den Schatten." Zuletzt hatte Paco nur noch zweimal, gegen die Abstiegskandidaten Augsburg und Stuttgart, treffen können. Die beiden wichtigen Treffer gegen Wolfsburg gelangen ihm nach einer durchwachsenen Partie, in der er zuvor nur einmal, nach einem Traumpass von Mario Götze, in eine torgefährliche Situation gelangt war.

Die Torflaute soll Alcácer Sorgen gemacht haben. Bis zu seinem Wechsel zum BVB fristete er beim FC Barcelona zwei Jahre lang ein Mauerblümchendasein, verlor seinen Platz im Nationalteam und auch das Selbstbewusstsein. In Dortmund hat er sich dann vom ersten Tag an "regelrecht in die Integration hineingestürzt", wie BVB-Boss Hans-Joachim Watzke beobachtet hatte. Selten war einer in Dortmund allerdings auch mit so offenen Armen empfangen worden. Der 25-Jährige ist zwar der einsame Typ des Torjägers, der sich der oft schmerzhaften Aufgabe stellt, Bälle irgendwie ins Tor zu drücken, und der somit auch die Verantwortung für die späten Freistöße sucht. Aber zugleich sucht er Nähe und Wärme für diesen einsamen Job.

Alcácer feiert seine Tore immer einen Moment für sich allein. Mit einem Gruß an seinen Vater, der nach Pacos allererstem Profispiel für den FC Valencia auf dem Parkplatz vor dem Stadion einen Herzinfarkt erlitt und starb. Seither, so hört man, sei Alcácer ein anderer, ein sehr nachdenklicher Mensch, mit einer bisweilen fast seltsamen Ernsthaftigkeit.

Am Ende musste der Matador die Aufmerksamkeit an diesem Nachmittag doch noch teilen. Kurz nach dem Spiel überstrahlte eine Meldung aus dem Kreißsaal die Raserei, die Alcácer mit seinem Freistoß im Stadion ausgelöst hatte. Die Lebensgefährtin von Marco Reus hatte ein gesundes Mädchen zur Welt gebracht. Reus hatte deshalb aufs Spiel gegen Wolfsburg verzichtet. Die mit dieser Nachricht verbundene Meldung: Der Teamkapitän kann am Samstag in München dabei sein. Alcácer-Tore und eine neue Dortmunderin - die Stimmung beim BVB könnte kaum besser sein.

Zur SZ-Startseite
Sport-Club Freiburg v FC Bayern Muenchen - Bundesliga

MeinungBundesliga
:Der FC Bayern hat seine fußballerische Identität verloren

In Freiburg fehlt erneut ein Plan, was die Spieler mit ihren teuren Füßen anstellen sollen. Die Partie darf anderen Klubs zum Vorbild dienen.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: