Süddeutsche Zeitung

Tabellenführer Mönchengladbach:Wie im Schlaraffenland

Lesezeit: 3 min

Von Ulrich Hartmann, Mönchengladbach

"Die Seele brennt", lautet der Titel einer Schnulze, die seit dieser Saison immer als letztes Lied vor dem Anpfiff im Borussia-Park abgespielt wird. Sie ersetzt bei Borussia Mönchengladbach den beschwingten, traditionellen Gassenhauer "Die Elf vom Niederrhein". Ausgerechnet in zunehmend erfolgreichen Zeiten neigen die Fans des Tabellenführers gesangstechnisch offenbar ins Wehmütige. Der emotional zwiespältige Titel passt zu allen erdenklichen Gemütslagen, doch nach dem 4:2 (1:1)-Sieg gegen den SC Freiburg begleitet er die Borussen weiter elegisch auf dem Gipfel des deutschen Fußballs. Der Stürmer Breel Embolo erzielte zwei Treffer und bereitete einen weiteren vor, weshalb ihm niemand allzu übel nahm, dass er in der zweiten Halbzeit einen Elfmeter verschoss. "Da bin ich wohl etwas übermütig geworden", sagte er grinsend und freut sich schon auf das nächste Heimspiel. Da empfangen die Gladbacher am kommenden Samstag den FC Bayern München und wissen schon jetzt, dass die Bayern sie selbst mit einem Sieg nicht überholen können. "Unser Stadion wird brennen", prophezeite der Trainer Marco Rose vorsichtshalber. "Die Bundesliga macht zurzeit richtig Spaß", findet Embolo: "Zu spielen und zu schauen." Das Skurrile an der nunmehr schon achtwöchigen Mönchengladbacher Tabellenführung ist, dass die Borussen vor einem Jahr am 13. Spieltag unter dem Trainer Dieter Hecking auch nur zwei Punkte schlechter waren. Aber der jetzt deutlich flottere Fußball unter Rose hat die Zuschauer schon verzaubert und berauscht. Das Liedgut mag ins Melancholische changieren, aber vom Tempofußball unter Rose kann man das keineswegs behaupten. Diesmal benötigten die Borussen keine drei Minuten, ehe sie mit 1:0 in Führung gingen. Das war aber kein Bilderbuchkonter und keine Musterkombination, sondern ein Freistoß mit gütiger Beihilfe von Torwart Mark Flekken. Er konnte einen Rami-Bensebaini-Kopfball nicht festhalten, woraufhin Marcus Thuram den Ball ins Tor stocherte. Es dauerte danach aber auch nur drei Minuten, ehe auf der anderen Seite Jonathan Schmidt per Freistoß zum 1:1 einschlenzte. Bedröppelt schaute der Torwart Yann Sommer, der seinen Vertrag kurz zuvor bis 2023 verlängert hat. In der Freiburger Abwehr brannte es fortan genauso wie auf den Seelen der Gladbacher Fans. "Solche Stürmer mit solchen Körpern!", sagte Freiburgs Trainer Christian Streich fast bewundernd über die Robustheit der Gladbacher Angreifer. Aber bevor einer von ihnen in der 46. Minute das 2:1 erzielte, benötigten sie erst eine viertelstündige Pause. Als sie aus dieser wieder herauskamen, dauerte es nur noch 45 Sekunden, ehe Embolo auf Querpass von Herrmann die Führung herausschoss. Nur drei Minuten später schob Embolo in der 49. Minute einen mauen Elfmeter, den Dominique Heintz per Foul an ihm selbst verursacht hatte, gegen den Pfosten. Die vielen vergebenen Chancen nervten die Gladbacher erkennbar. Denis Zakaria nahm sich deshalb in der 51. Minute ein Herz, stürmte aus dem defensiven Mittelfeld nach vorne und brachte den Ball in den Strafraum, in dem Embolo für Patrick Herrmann das 3:1 wie im Schlaraffenland auflegte. Herrmann musste nämlich nur noch den Fuß hinhalten. Doch die Freiburger haben sich in all den Wochen im oberen Tabellendrittel auch eine Robustheit erworben und waren selbst bei zermürbendem Rückstand noch längst nicht bereit, frühzeitig in eine Niederlage einzuwilligen.

In der 58. Minute köpfte Lucas Höler einen Freistoß von Christian Günther zum 2:3 ins Gladbacher Tor, und hätte Bensebaini in der 61. Minute nach einem Flachschuss von Höler nicht auf der Linie geklärt, dann hätte das chaotisch anmutende Spiel nach einer guten Stunde schon wieder unentschieden gestanden. Stattdessen klärte natürlich Embolo in der 71. Minute die Verhältnisse endgültig, indem er einen Steilpass von Florian Neuhaus aus dem Lauf heraus an Flekken vorbei lupfte und auf 4:2 erhöhte.

Fünf Tore hat der Schweizer in dieser Saison damit schon erzielt und zeigt sich mehr und mehr von jener Seite, die er beim FC Schalke 04 über drei Jahre hinweg auch wegen schwerer Verletzungen nicht hatte präsentieren können. "Ich bin heute sehr zufrieden", sagte Trainer Rose, und er sagt das sonst wirklich nicht allzu oft. "Das Leben ist momentan sehr gut", findet der gebürtige Leipziger. Das Gladbacher Publikum jubelte sodann über den sechsten Heimsieg in Serie und hofft, dass am kommenden Samstag der siebte folgt. Die Seele brennt weiter am Niederrhein. Die getragene Melodie soll übrigens an den englischen Fußball-Hit You'll never walk alone erinnern.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4705268
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 02.12.2019
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.