Fußball-Bundesliga:Gladbachs Geschäftsmodell wankt

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Verlassen die Borussia im Sommer ablösefrei: Ramy Bensebaini (links) und Torjäger Marcus Thuram. (Foto: Norbert Jansen/Fohlenfoto / imago)

Corona-Krise, Eberl-Abschied, ablösefreie Wechsel: Die Borussia muss das dritte Jahr hintereinander ein Millionen-Minus verkünden. Die nächste Saison wird richtungsweisend.

Von Ulrich Hartmann

Mönchengladbacher Fans, die am Montagabend zur Mitgliederversammlung in den Borussia-Park gekommen waren, um ausgangs einer mauen Bundesliga-Saison Signale der Zuversicht zu empfangen, wurden enttäuscht. Für den Traditionsklub vom Niederrhein wird es auch in den nächsten Jahren extrem herausfordernd bleiben, sich auch nur halbwegs am internationalen Geschäft zu orientieren. Das Eigenkapital der Borussia hat sich nach dem dritten Verlust-Jahr hintereinander mehr als halbiert, zwei der werthaltigsten Spieler - Marcus Thuram und Ramy Bensebaini - gehen im Sommer ablösefrei, und die Mittel für hochkarätige Zugänge sind nicht zuletzt deshalb begrenzt. Sportdirektor Roland Virkus appellierte angesichts der schwierigen Konstellation an die Treue von 1216 erschienenen Mitgliedern: "Der Weg, auf dem wir uns gerade befinden, wird nicht leicht - umso wichtiger ist, dass Sie uns auf diesem Weg unterstützen."

Virkus kündigte "eine größere Restrukturierung des Kaders" an und versprach, "dass wir Charaktere finden werden, die zu unserem Klub passen und mit denen wir in der nächsten Saison einen Kader haben, der konkurrenzfähig ist". Diese Prognose kann in skeptischster Auslegung auch einfach nur bedeuten, dass Virkus dem künftigen Kader den Klassenerhalt zutraut.

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Es ist nicht lange her, da war Gladbach ein international aufstrebender Klub mit einem lukrativen Geschäftsmodell. Spieler wie Granit Xhaka, Thorgan Hazard, Jannik Vestergaard oder Marco Reus wurden, als sie noch nicht auf dem Radar europäischer Topklubs standen, zu vernünftigen Preisen angekauft, verhalfen der Borussia in lukrative Tabellenpositionen und brachten bei ihrem Verkauf zweistellige Millionensummen ein. Mit dieser Strategie schaffte es Gladbach auf dem Höhepunkt Anfang 2021 bis ins Achtelfinale der Champions League. Seither geht es abwärts.

Fest steht: Nach Matthias Ginter im Vorsommer werden auch Thuram und Bensebaini die Borussia ablösefrei verlassen. Ein wenig Geld brachten in den vergangenen Monaten die Verkäufe von Breel Embolo (12,5 Millionen Euro), Denis Zakaria (10) und Yann Sommer (8) ein. Zukäufe wie Hannes Wolf, Marvin Friedrich, Luca Netz, Nathan Ngoumou oder Ko Itakura führten hingegen bisher zu keinen relevanten Wertsteigerungen. Fluch und Segen zugleich verhieße im Sommer ein Verkauf des französischen Mittelfeldmanns Kouadio Koné. Er brächte viel Geld, würde dem Gladbacher Spiel jedoch enorme Qualität rauben.

Die Pandemie und der umstrittene Abschied des Sportdirektors Max Eberl haben Gladbachs Geschäftsmodell ins Wanken gebracht. Gegen coronabedingte Einnahmeausfälle und das veränderte Gebaren von Spielern, die ihre Verträge aussitzen, um bei ablösefreien Wechseln Handgeld zu kassieren, war kein Kraut gewachsen. Gladbachs Minus im Kalenderjahr 2022 betrug 24,6 Millionen Euro. Dies bedingten vor allem 30 Millionen Euro weniger TV-Einnahmen sowie die Abschreibung und Abfindung im Fall des nach nur einem Jahr gefeuerten Trainers Adi Hütter. Insgesamt summiert sich Gladbachs Minus in den drei Corona-Jahren 2020 bis 2022 auf 56 Millionen Euro. Dadurch schmolz das Eigenkapital von 103 Millionen Euro auf 47.

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Finanzgeschäftsführer Stephan Schippers, seit bald einem Vierteljahrhundert treu in Diensten der Borussia, sieht die herausfordernde Lage aber keineswegs aussichtslos: "Wir verfügen nach wie vor über das zweitgrößte Eigenkapital aller eigenständigen Bundesligisten, also all jener, die keine Anteilseigner haben", betonte er. Schippers ist sogar halbwegs zufrieden damit, wie der Verein durch die Corona-Krise gekommen ist. Und nun sieht er Licht am Horizont: "Ab jetzt geht es wieder bergauf. Im neuen Geschäftsjahr werden wir wieder schwarze Zahlen schreiben, dafür arbeiten wir."

Dass ohne Europapokal und Ablösen markante Einnahmen wegfallen, hat aber massive Auswirkungen auf die Kaderplanung. Virkus muss kreativ werden, kann interessante Spieler nicht einfach monetär überzeugen. "Bei Thuram und Bensebaini hätten wir natürlich gern Ablösesummen generiert", sagt er, "aber es gab Entwicklungen, die dazu geführt haben, dass sie den Verein nun ablösefrei verlassen." Thuram etwa soll im Sommer 2021 bereits so gut wie sicher und sehr hochdotiert an Inter Mailand verkauft gewesen sein, der Franzose verletzte sich jedoch und wechselte nicht nach Italien.

Auch Kapitän Lars Stindl verlässt Gladbach im Sommer nach acht Jahren, verlängert haben bereits Jonas Hofmann, Alassane Plea und Christoph Kramer. Die Verträge von Florian Neuhaus, Nico Elvedi, Patrick Herrmann, Stefan Lainer und Hannes Wolf laufen 2024 aus. Virkus ist gewarnt: "Natürlich wollen wir vermeiden, in eine Situation wie bei Thuram und Bensebaini zu kommen", sagt er.

Die nächste Saison wird darüber entscheiden, ob solche Spieler in Gladbach bleiben oder wenigstens Ablöse einbringen. Deshalb - äußere Einflüsse hin oder her - wird die Arbeit des Trainers Daniel Farke in seiner zweiten Saison auch einen wegweisenden Einfluss auf die Klub-Finanzen haben.

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