Süddeutsche Zeitung

Borussia Dortmund:Der BVB beraubt sich seiner gefährlichsten Waffe

  • Dortmund spielt zum dritten Mal in Folge 2:2.
  • Diese negative Serie rückt nun auch Trainer Favre in den Fokus der Kritik.
  • Seine Spieler müssen sich weiterhin die viel thematisierte "Mentalitäts-Frage" stellen lassen.

Von Christoph Ruf, Freiburg

Bevor der Dortmunder Mannschaftsbus davonrollte, bekamen Spieler und Trainer des BVB jede Menge Zuwendung ab. Gut 200 Gästefans, die es auf die Freiburger Haupttribüne verschlagen hatte, applaudierten und winkten den Spielern auf dem Weg zum Flughafen freundlich hinterher. Kredit haben sie also noch, die Hauptdarsteller beim BVB - obwohl auch der Ausflug in den Breisgau arg enttäuschend geendet hatte. "Wir haben einen Punkt geholt, aber das fühlt sich eher wie eine Niederlage an", sagte Angreifer Julian Brandt - und lieferte dazu eine fachlich völlig korrekte Analyse: "Spielerisch läuft es nicht gut momentan. Und wenn es dann ums Kämpferische geht, gibt es Mannschaften, die besser sind als wir."

So zutreffend diese Feststellung war, sie ähnelte einer ehrlichen Bankrotterklärung für eine Mannschaft, die ihre dritte gefühlte 2:2-Niederlage im dritten Ligaspiel in Serie erlitten hatte, gegen drei qualitativ gewiss niedriger anzusiedelnde Gegner: Frankfurt, Bremen und Freiburg. Die zarte Hoffnung, dass nach dem Sieg in der Champions League bei Slavia Prag das Dortmunder Selbstbewusstsein wieder gewachsen sein könnte, hat sich am Samstag jäh zerschlagen. Und nach dieser Serie von Mängelleistungen in der Liga, die die Eindrücke der leichtfertig verspielten Meisterschaft im Frühjahr zu untermauern scheinen, nehmen intern offenbar auch kritische Fragen an Trainer Lucien Favre zu.

Den Fans fehlt es an Maloche

Wieder war die meisterschaftsambitionierte Borussia in Führung gelegen, zweimal sogar. Aber erneut kassierte sie kurz vor dem Abpfiff den Ausgleich gegen ein Team, das alles tat, um zum Teilerfolg zu kommen, während der BVB mal wieder mit dem Status Quo zufrieden zu sein schien: "Wenn du 1:0 und 2:1 führst und unsere Qualität hast, musst du das spielerisch lösen können", seufzte Brandt, der mit diesem Aufruf zur Ergebnissicherung durch das Ausspielen technischer Vorteile auch einer in Dortmund weit verbreiteten Sichtweise entgegentrat. Dort wird zurzeit ja oft der urdeutsche Vorwurf der nutzlosen "Schönspielerei" gegen den BVB erhoben. Die vom schöngeistigen Favre geprägte Borussia lasse zwar gefällig den Ball laufen, versage aber bei kämpferischen Tugenden, heißt es oft. In Fankreisen ist derzeit auch nicht die zuletzt viel diskutierte "Mentalität", sondern Maloche (also die fehlende) das am meisten verwendete M-Wort.

Doch all das, fand Julian Brandt, sei höchstens ein Teil der Wahrheit. Denn dass eine Mannschaft, die mit solch vielen feinen Kickern besetzt ist, grundsätzlich den Ball nicht zum Feind erklärt, versteht sich von selbst und macht an guten Tagen auch Charme und Klasse dieser BVB-Elf aus. Doch im Moment fehlt nicht nur jener Plan B, den Favre in Freiburg mit einem wuchtigen Schlag mit seiner rechten auf die linke Hand illustrierte: "So muss man Zweikämpfe führen!" Auch Plan A, der das Spielkonzept auf eigene Dominanz ausrichtet, wird fehlerhaft ausgeführt.

In Freiburg lief sich Mario Götze in der ersten Halbzeit im vorderen Drittel einen Wolf. Den Ball bekam er selten serviert, und wenn doch, dann in den Fuß und nicht in den Lauf, so dass er keine Fahrt aufnehmen konnte. Das Dortmunder Spiel beraubte sich damit selbst seiner gefährlichsten Waffe: Es fehlte schlicht an Tempo.

Auch das Mittelfeld muss sich Vorwürfe gefallen lassen. Zwar zeigte Axel Witsel, der mit einem furiosen Volleyschuss nach einer Ecke sehenswert das 1:0 erzielte, insgesamt eine ordentliche Partie, auch Nebenmann Thomas Delaney enttäuschte keinesfalls. Doch im Zusammenspiel hatten beide ihren Freiburger Pendants, Nicolas Höfler und Amir Abrashi, zu wenig entgegenzusetzen - die Deutungshoheit in der Mittelfeldzentrale hatte der SC. Auch beim herrlichen Fernschuss von Jungnationalspieler Waldschmidt zum 1:1 verteidigten die Dortmunder recht luftig. Und weil Achraf Hakimi nach dem verletzungsbedingten Ausfall von Lukasz Pisczek auf der ungewohnten rechten Abwehrseite aushelfen musste und sich als offensiv denkender Akteur dort ein ums andere Mal vom Freiburger Christian Günter narren ließ, war die Dortmunder Statik zu oft bedroht. Eine Führung in Ruhe nach Hause zu bringen, das war so erneut nicht möglich.

Warum nicht wenigstens der Kampfplan B funktionierte - Kratzen, Beißen und all das - konnte kein Dortmunder so richtig erklären. Am ehesten traf Kapitän Marco Reus den Punkt, der mangelndes Selbstbewusstsein ausmachte und fand, die Freiburger hätten mehr Zutrauen in ihre Offensivaktionen gehabt. Fazit Reus: "Wenn du überall in Führung gehst, muss es von der Qualität her einfach reichen, dass du hier gewinnst."

Der Kollege Brandt verwies darauf, dass "Frankfurt noch in den Köpfen" gewesen sei, wo das 2:2 in der 89. Minute gefallen war. In Freiburg dasselbe: Wieder wirkte der BVB am Ende ängstlich und zögerlich, als der SC mit beeindruckender Vehemenz aufdrehte und den Ausgleich erzwang (90.) - bezeichnend für Dortmunds Gesamtlage durch ein Eigentor von Akanji, der eine Hereingabe des eingewechselten Freiburgers Grifo folgenschwer ablenkte.

"Taktische Fehler"

Freiburg war gut, kämpferisch sowieso, aber auch spielerisch war die zweite Halbzeit aller Ehren wert. Dennoch stellte beim SC niemand in Frage, dass die individuell deutlich höhere Klasse der Dortmunder zu erkennen war. Dass es trotzdem wieder nicht zum Sieg reichte, war für BVB-Trainer Favre eine Frage der Aufmerksamkeit; er monierte auch "taktische Fehler", die er intern ansprechen werde: "Das darf nicht passieren. Wir müssen bis zur letzten Sekunde konzentriert bleiben."

Verantwortlich für alles Sportliche ist am Ende natürlich Favre selbst. Freiburgs glücklicher Trainer Christian Streich hatte für seinen niedergeschlagenen Kollegen zumindest einen Trost parat: "Lucien", sagte er zu Favre, "immerhin haben die Bayern heute verloren."

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Quelle:
SZ vom 07.10.2019/dsz
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