Julian Brandt beim BVB:Ein Spieler für den Wow-Effekt

27 07 2019 Fussball 1 Bundesliga 2019 2020 Testspiel im Rahmen des Sommertrainingslagers Borussia; Julian Brandt mit Ball

Kann besondere Dinge mit dem Ball anstellen: Dortmunds Julian Brandt.

(Foto: imago images / MIS)

Julian Brandt hatte zunächst Anpassungsschwierigkeiten in Dortmund - und genießt nun alle Freiheiten. Gegen Bayern muss er zeigen, dass er locker sein kann, wenn es um viel geht.

Von Freddie Röckenhaus, Dortmund

Manche bei Borussia Dortmund sagen, Julian Brandt sei ein Kindskopf. Ein Spaß- und Straßenfußballer, einer, dem das Training zuletzt eigentlich nur deswegen gefehlt habe, weil er keine Sprüche mit den Kabinen-Kollegen wechseln konnte. Einer, der bis in die Nacht Playstation daddle, die Musik-Mixe von DJs am Computer nachzubauen versuche, oder sich, alleine zu Hause, selber zum Grillmeister ausbilde, obwohl er vorher noch nie einen Grill besessen habe, und wegen Corona auch keinen Gast begrillen konnte. Julian allein zu Haus. Zugleich sagen aber auch viele, dass er der Typ ist, der ein Spiel alleine rocken kann. Sogar eines wie das Spitzenspiel gegen den FC Bayern.

Sein Chef Hans-Joachim Watzke denkt über Brandt, dass er "vor allem seine Lockerheit braucht. Wenn er locker ist, kann er ganz ungewöhnliche Dinge machen, die sonst nur wenige können". Was Besonderes, das könnte an diesem Dienstag entscheidend werden. Aber wie behält man seine Lockerheit, wenn man gegen Bayern München spielt? Das vier Punkte voraus ist? Und wenn man weiß, dass man dieses Spiel unbedingt gewinnen muss, fast wie ein Pokalspiel, bei dem es am Ende niemals ein Unentschieden gibt? Kann man da locker bleiben? Oder ist Julian Brandt, der Anfang Mai erst 24 geworden ist, noch nicht so weit, dass er locker sein kann, wenn es um richtig viel geht?

Nicht wenige meinen, dass Brandt Dortmunds wahrer Spielmacher sei. Mit seiner Spiellaune steht und fällt das komplexe Spiel-Gebilde des BVB. Er ist das Scharnier zwischen den klaren Ordnungsprinzipien des Dortmunder Spiels und der Kreativität und Anarchie seiner Offensivtypen. Der Zeit hat Brandt einmal in einem Interview erzählt, wie für ihn der ideale Fußball aussieht: "Wenn die pure Spielfreude durchbricht. Wenn ein Spieler etwas Besonderes, Unerwartetes, Instinktives macht. Wenn man ein Spiel sieht und in einer Szene denkt: Ich weiß schon, was jetzt passiert, und dann etwas völlig Unerwartbares geschaffen wird. Dieser Wow-Effekt, der einen von den Sitzen reißt. Eigentlich ist das der Grund, warum ich Fußball spiele: die Menschen zu überraschen."

Ungefähr so sprechen heute viele über Dortmunds Fußball. Nur, dass es bisher selten ein Fußballspieler so präzise hat auf den Punkt bringen können.

"Egal wie, noch an Bayern vorbeikommen" - das ist Brandts Losung für die Geister-Saison

Als Julian Brandt im vorigen Sommer von Bayer Leverkusen nach Dortmund wechselte, merkte man ihm Anfangsprobleme an. Brandt fremdelte auf dem Platz. All das, was ihn in den beiden Geisterspielen nach dem Re-Start der Liga, gegen Schalke und in Wolfsburg, so auszeichnete, schien damals noch nicht funkeln zu können. Der Sprung in das noch intensivere Leistungsklima des BVB-Kaders fiel ihm schwer. Intelligenten Spielern, die in der Lage sind, ihre Situation zu analysieren, fallen Wechsel des Milieus oft schwerer. Bei einem, der so offensichtlich viel zu viel Talent für einen Einzelnen hat, fällt das ins Gewicht. Brandt steht seit Jahren im Verdacht, einer von diesen hypertalentierten Jungs zu sein, die sich unsichtbar machen, wenn es um wirklich etwas geht.

"Er spielt jetzt schon richtig gut", sagt sein Sportdirektor Michael Zorc, der sich besonders bemüht hatte, Brandt für 25 Millionen festgeschriebene Ablöse nach Dortmund zu holen, "aber sein Potenzial schöpft er noch längst nicht aus." Und Watzke glaubt, dass Brandt ein kleines Genie sei, "das von vielen Zuschauern zu sehr an seinen genialen Momenten gemessen wird". Niemand sei aber immer nur genial. "Julian macht auch außergewöhnliche Fehler, weil man Außergewöhnliches nur spielen kann, wenn man für Spielideen oder Pässe eben auch mal Risiken eingeht." Das soll wohl heißen, dass man Brandt einfach Zeit und Raum geben müsse.

In Favres Baukasten darf Brandt mit den Joker-Klötzchen spielen

Im neuen System von Trainer Lucien Favre bekommt Brandt diese Freiheit. Es gibt drei Verteidiger, davor zwei eher defensive Typen wie Axel Witsel, Thomas Delaney oder Emre Can. Und davor Brandt. "Er spielt offensiv", beschreibt Favre schmunzelnd, was in der Diktion des Kontroll- und Defensivfreaks Favre so viel heißen soll wie: Brandt ist so gut, dass er machen soll, was er will. Links, rechts, kurz, lang, Dribbling, Strafraum, Hacke, Spitze - egal. In Favres Baukasten darf Brandt jetzt mit den Joker-Klötzchen spielen. Zugleich aber ist Brandt ein Typ, der genau weiß, dass es ohne die Reglementierung des Systems kein Fußball wäre: "Die Abläufe kommen jetzt immer mehr zustande. Man weiß, wo der Spieler steht, auch wenn man ihn nicht sieht. Wenn sich so etwas nach einer Zeit verselbstständigt, wird es richtig gut."

Im vorigen Oktober, im DFB-Pokalspiel gegen den damaligen Liga-Spitzenreiter Mönchengladbach, hat Brandt schon mal ein enges Spiel allein gedreht. Mit zwei Treffern wendete er damals die Partie, und ein ganzes Stadion schien sich im Einklang die Augen zu reiben: Was in aller Welt spielt der denn? Kann er das immer?

Brandt lebt sich in den leeren Stadien aus

Noch kann er es nicht immer. Aber die Pause, alleine zu Hause, alleine im Dortmunder "Footbonauten" beim Computer-Training, oder im Zweiertraining mit BVB-Nachwuchsmann Tobias Raschl, scheint Brandt gut getan zu haben. Und in den leeren Stadien kann er sich ausleben. "Man hätte es sich vielleicht anders gewünscht, aber man versucht dann halt, seinen Spaß zu finden." Er sagt auch, dass es ihm eine Menge Spaß mache, auf der neuen, freien radikalen Position zu spielen, direkt hinter Erling Haaland, oder wo immer er will. "Spaß" ist das Motto der Straßenfußballer. Interessant, dass das ausgerechnet von einem geprägt wird, der aus Bremens Oberschichts-Stadtteil Oberneuland kommt, der fußballer-untypisch kein einziges Tattoo hat, und der sich bisher nur in den geschützten Räumen der Werksklubs Wolfsburg und Leverkusen sowie bei der Nationalmannschaft bewegt hat.

An diesem Dienstag kommt es drauf an. "Egal wie, noch an Bayern vorbeikommen", hat Julian Brandt vor ein paar Tagen als BVB-Parole für die restliche Geister-Saison ausgegeben. Mats Hummels wird nach einer Blessur in Wolfsburg spielen können. Sogar Axel Witsel hat sich gesund gemeldet und steht im Kader, Emre Can sowieso, auch Jadon Sancho hat seinen Trainingsrückstand offenbar aufgeholt. Irgendwie vorbeikommen also, fast wie an der Playstation.

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