Süddeutsche Zeitung

BVB-Pleite in Augsburg:Neue Magie an alten Grenzen

Der BVB im Herbst 2020 ist noch jünger und talentierter als vor einem Jahr. Trotzdem stoßen die hochgelobten Fußballer von Trainer Favre auf dieselben Probleme wie ihre Vorgänger.

Von Sebastian Fischer, Augsburg

Erling Haaland schüttelte den Kopf, als könne er das nicht so richtig glauben oder verstehen, was er da sah. Es liefen die letzten Sekunden des Spiels, und der Mittelstürmer von Borussia Dortmund schaute aus dem Mittelkreis dabei zu, wie der Gegner mit einem Konter beinahe das 3:0 erzielte. Dieser Gegner?

Haaland, 20, hat solche Auswärtsspiele wie das 0:2 beim FC Augsburg am Samstag mit dem BVB noch nicht oft erlebt. In Augsburg war er zwar schon mal, gleich in seinem ersten Spiel in der Bundesliga im Januar, damals spielte und rannte er die Abwehr höchstpersönlich in Grund und Boden, er schoss nach seiner Einwechslung drei Tore binnen 20 Minuten beim 5:3-Sieg. Diesmal allerdings standen ihm die Gegner meist auf den Füßen, ihm gelangen nur zwei Torschüsse, und zwischendurch wurde er von einem furchteinflößenden Verteidiger mit dem noch furchteinflößenderen Namen Jeffrey Gouweleeuw sogar geohrfeigt, wofür der Augsburger Gelb sah. Haaland, das muss man wissen, war in der Hinrunde der Vorsaison noch nicht mit dabei, beim 1:3 bei Union Berlin am dritten Spieltag zum Beispiel. Vielleicht hätte er sonst nicht ganz so fassungslos gewirkt.

Lucien Favre, dem Dortmunder Trainer, musste das Geschehen durchaus bekannt vorgekommen sein. Die vielen kurzen Pässe in der ungefährlichen Zone etwa 30 Meter vor dem Tor, hin und her geschnickt und geschnackt und geschnuckt, anspruchsvoll mit Hacke und Außenrist, aber ohne das Tempo, um Lücken in einer taktisch diszipliniert und tief stehenden Abwehr zu finden. All der schöne Ballbesitz, 80 Prozent - aber dann halt ein Gegentor per Kopfball nach einer Standardsituation zum 0:1 nach 40 Minuten und ein weiteres nach einem Konter nach 54 Minuten. "Es ist schwer, diese Niederlage zu akzeptieren", sagte Favre. "Wir haben das Spiel fast komplett dominiert, aber manchmal bringt das nicht viel."

Eine Woche zuvor hatte der BVB die Saison beim 3:0 gegen Mönchengladbach mit so schnellem und aufregendem Fußball begonnen, dass Sportdirektor Michael Zorc schon die ewige Frage nach der Jagd auf den FC Bayern beantworten sollte - und abwehrte. Optimisten verbinden ja mit der Borussia die verwegene Hoffnung auf ein bisschen Spannung im Kampf um die Meisterschaft. Doch es gehören seit Jahren nun mal auch solche Partien wie in Augsburg zum Repertoire. Mit solchen oder ähnlichen Sätzen danach: "Ich habe das Gefühl, dass wir eigentlich in vielen Bereichen ein sehr gutes Spiel gemacht haben", sagte Mats Hummels. Bloß halt nicht in den ergebnisrelevanten Bereichen.

Favre wäre nicht Favre, hätte er das 0:2 nicht streng nach seiner Logik von Spielkontrolle als höchstem Gut erklärt. "Mehr Geduld" hätte die Mannschaft haben müssen, mehr Spiel über die Flügel, mehr Diagonalbälle. Seine Analyse gipfelte in dem schönen deutsch-französischen Satz: "Wir sollten mehr auf der Seite insistieren!"

Das Video vom Spiel könnte ein Lehrfilm werden

Das erinnerte an ein Thema der Vorsaison: Der Trainer musste im Winter angeblich geradezu überredet werden, auf eine Dreierkette in der Abwehr zu vertrauen, mit der Dortmund danach prompt erfolgreicher spielte. Favre favorisiert die Viererkette, die mehr Präsenz auf den Außen verspricht. Doch ob verstärktes Auf-der-Seite-Insistieren wirklich die Probleme gegen die unnachgiebigen Augsburger gelöst hätte? "Ein Grund für die Niederlage war, dass wir in den entscheidenden Zweikämpfen nicht hart genug dagegengehalten haben", sagte Mittelfeldspieler Axel Witsel.

Der BVB im Herbst 2020 ist ein anderer als der vor einem Jahr: Er ist noch jünger und talentierter als vorher. Wie gegen Gladbach standen die jeweils 17 Jahre alten Jude Bellingham und Giovanni Reyna in der Startelf, während Marco Reus zu Beginn noch auf der Bank saß und erst nach einer Stunde kam. Der Mut, Hochbegabte auf die große Fußballbühne zu führen, ist die längst weltweit bekannte Idee des Klubs. Über "Magie im Wasser" von Dortmund mutmaßte jüngst der US-Sender CNN in einem Bericht über den Fundus an Talenten.

Doch wie diese Magie im ungemütlichen Wettkampf in der Bundesliga auch an ihre Grenzen geraten kann, das könnte den Vorjahren ähneln, es war in Augsburg anschaulich zu beobachten. Zum Beispiel, als Reyna und Bellingham nach zwei mit gelben Karten bestraften Augsburger Fouls während der ersten Halbzeit am Boden lagen - und ihr Einfluss aufs Spiel nach starkem Beginn und ein paar vergebenen Chancen merklich schwand. Womöglich nicht zum letzten Mal: Das Video vom Spiel gegen Augsburg dürfte unter den Scouts der Bundesliga ein beliebter Film werden.

"Nein, nein überhaupt nicht", sagte Favre auf die Frage, ob das Alter des Teams entscheidend war. Alles andere wäre natürlich auch ein Eingeständnis gewesen, dass so etwas wie in Augsburg nun regelmäßig passieren könnte; dass es vielleicht elementar wichtig wäre, gerade in so einem Spiel in der Startelf einen erfahrenen Fußballer wie Reus, 31, zu haben, der nach seiner Verletzungspause während der Vorsaison behutsam an den Wettkampfrhythmus dieser Spielzeit herangeführt werden soll.

Dieser Rhythmus sieht am Mittwoch schon das nächste Spiel vor, im Supercup beim FC Bayern. Dann könnte es wieder mehr um das große Potenzial der Dortmunder gehen als um ihre Probleme. Die Gefahr, dass sich der Gegner aufs Verteidigen und Kontern beschränkt, besteht jedenfalls nicht.

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Quelle:
SZ vom 28.09.2020/ska
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