Süddeutsche Zeitung

Bochum-Sieg gegen die Bayern:Zaubernde Malocher

Das 4:2 gegen die Münchner ist nicht nur für die Vereinsgeschichte des VfL Bochum ein besonderes Spiel. Es erinnert auch an den Fußball vor der Pandemie - und an Zeiten vor der langweilenden Bayern-Dominanz.

Von Sebastian Fischer, Bochum

Das Stadion an der Castroper Straße in Bochum gilt unter Fußballliebhabern als Sehenswürdigkeit, ganz unabhängig davon, was für Fußball dort geboten wird. Lange Jahre war der Sport zweitklassig, mehr Kampf als Spiel, aber es blieb trotzdem ein Erlebnis, auf den engen Tribünen unter altmodischen Flutlichtmasten zu stehen, während vor dem Anpfiff aus den Lautsprechern "Bochum" von Herbert Grönemeyer lief. Es gehört zur Geschichte dieses 4:2 des VfL Bochum gegen den FC Bayern, dass es diesmal ganz anders war.

8500 Zuschauer durften nach tristen Pandemie-Wochen mit fast leeren Rängen wieder dabei sein, als der Aufsteiger den Rekordmeister empfing, rund zwölf Jahre hatten sie in Bochum auf dieses Duell warten müssen. Doch ausgerechnet vor diesem Ereignis blieb es stumm aus den Boxen - der Strom war ausgefallen. Zwar floss der nach 25 Minuten wieder, die Kioske machten wieder auf, was zum Gelingen des Nachmittags wohl nicht unerheblich beitrug, und Grönemeyer wurde stattdessen in der Halbzeit gespielt. Aber da war es statt der Folklore schon der Bochumer Fußball gewesen, der den Tag zu einem unvergesslichen gemacht hatte.

Das Hinspiel hatte Bochum noch mit 0:7 verloren

Die sieben Minuten vor der Pause, in denen der VfL zunächst per Elfmeter durch Jürgen Locadia mit 2:1 in Führung ging (38.) und diese Führung dann mit zwei traumhaften Toren von Cristian Gamboa (40.) und Gerrit Holtmann (44.) ausbaute, werden natürlich in die Bochumer Vereinsgeschichte eingehen, in der das größte Spiel gegen die Bayern bislang eine 5:6-Niederlage 1976 war, Hermann Gerland und "Ata" Lameck liefen da für den VfL auf, Uli Hoeneß traf für die Bayern zum Sieg, obwohl die Münchner mit 0:4 zurückgelegen hatten.

Doch darüber hinaus, wenn so viel hochtrabende Einschätzung an dieser Stelle erlaubt ist, wirkten die sieben Minuten mit drei Bochumer Toren auch wie eine Erinnerung an den Fußball vor der Pandemie. Sie wirkten sogar, ähnlich wie beim 5:0 von Borussia Mönchengladbach im DFB-Pokal gegen die Bayern im Oktober, wie eine Erinnerung an den Bundesliga-Fußball vor der langweilenden Dominanz aus München. Das Spiel hatte eine andere Ebene: Eine Mannschaft, etwas überstrapaziert für ihr Malocher-Image berühmt, fing plötzlich an zu zaubern, auch weil der Jubel von den zwar nicht dicht, aber immerhin rundherum besetzten Rängen den Spielern noch mehr Mut zu verleihen schien, als Trainer Thomas Reis ihnen ohnehin schon vermittelt hatte.

"An so 'nem Tag passt dann halt vieles", sagte Reis, er grinste dabei, weil er natürlich um die Untertreibung bei dieser Einordnung wusste. Es hatte schließlich fast alles gepasst für die Bochumer, etwa sein riskanter Plan, den Ball gegen die Bayern früh und entschlossen erobern zu wollen, nicht ohne dabei auch möglichen Raum für Gegenangriffe anzubieten, den die Münchner nicht zu nutzen wussten. Das Hinspiel hatte Bochum noch mit 0:7 verloren.

Reis, 48, zählt schon jetzt zu den Trainern dieser Saison, weil er aus einem mit vergleichsweise bescheidenen Mitteln zusammengestellten Kader viel herausholt. Bochum steht als Aufsteiger mit einem Etat von 24 Millionen Euro nicht nur im Liga-Mittelfeld, sondern auch im Pokal-Viertelfinale. "Wir woll'n den Trainer seh'n", sangen die Fans, als sie den Samstagabend noch möglichst lange im Stadion auszukosten versuchten.

Gerrit Holtmann, Christopher Antwi-Adjei oder Armel Bella Kotchap gehören nun zur Bochumer Vereinsgeschichte

Doch Reis allein hervorzuheben, das würde dem Spiel nicht gerecht werden. Da war U21-Nationalspieler Armel Bella Kotchap in der Abwehr, aufgrund seines melodischen Namens zwangsläufig mit Sprechchören bedacht, der zwischendurch sogar Robert Lewandowski nervte. Da waren die Flügelspieler, Schlüsselfiguren der Spielidee, die auf schnelle Gegenangriffe nach mit Wucht gewonnenen Zweikämpfen ausgerichtet ist: Christopher Antwi-Adjei auf der rechten Seite, der das 1:1 schoss, und auf der linken Holtmann. "Natürlich ist das ne Riesenwaffe", sagte Reis über das Tempo der beiden.

Holtmann, 26, mit einem Dribbling über den halben Platz schon Torschütze des Jahres 2021, schoss nun sein zweites berühmtes Traumtor, ein Schlenzer vom linken Strafraumeck in den rechten Torwinkel mit seinem schwachen, dem rechten Fuß. Sollte der Treffer es wieder in eine Auswahl schaffen, darf da allerdings das 3:1 von Rechtsverteidiger Gamboa nicht fehlen, vom rechten Strafraumeck in den linken Winkel, das auch schon in der Entstehung ein Kunstwerk war: Gamboa durch die Beine von Kingsley Coman auf Patrick Osterhage, der mit der Hacke zurück zu Gamboa. "Machst mit 'nem Doppelpass/jeden Gegner nass", singt ja auch Grönemeyer.

Nach dem Spiel haben sie die Hymne wieder gespielt, wie immer. Und auch Thomas Reis, zu dessen Erfolgskonzept viel Realismus gehört, erlaubte etwas Euphorie. Er werde die Spieler "wieder auf den Boden der Tatsachen holen", es ist ja weiter Abstiegskampf. Aber noch nicht sofort.

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