Bundesliga: Becherwurf-Affäre:Geisterstunde auf St. Pauli

Der DFB verurteilt den FC St. Pauli nach dem Becherwurf eines Fans zu einem Spiel ohne Zuschauer, der Klub legt erneut Widerspruch ein. Eine Partie ohne Publikum könnte den Abstieg der Hamburger besiegeln.

Jörg Marwedel

Die Juristensprache ist immer wieder eindrucksvoll, und auch der Sportgerichtsvorsitzende des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), Hans E. Lorenz, beherrscht sie perfekt. So habe das Sportgericht im Einzelrichter-Verfahren nach Anklageerhebung durch den DFB-Kontrollausschuss den FC St. Pauli "wegen schuldhaften Herbeiführens eines Spielabbruchs in Tateinheit mit mangelndem Schutz des Schiedsrichter-Assistenten dazu verurteilt, das auf die Rechtskraft des Urteils folgende Bundesliga-Heimspiel unter Ausschluss der Öffentlichkeit auszutragen".

FC St. Pauli - Millerntorstadion

So wird das Hamburger Millerntor-Stadion wohl beim Spiel gegen Werder Bremen aussehen: ziemlich leer.

(Foto: dpa)

Der Richter Lorenz hätte auch sagen können: Der FC St. Pauli muss wegen des Bierbecherwurfs eines Zuschauers, der beim Spiel gegen Schalke den Linienrichter Thorsten Schiffner im Nackenbereich traf, am 23. April sein Spiel im Millerntor-Stadion gegen Werder Bremen als sogenanntes "Geisterspiel" bestreiten - also ohne Fans. Es wäre das erste Geisterspiel in der Bundesliga, bei dem nur einige Funktionäre und Journalisten zugelassen wären. Aber noch ist das Urteil nicht rechtskräftig. Denn der FC St. Pauli hat am Freitag zum zweiten Mal Widerspruch eingelegt. Nun kommt es nächste Woche zu einer mündlichen Verhandlung.

Es ist aber kaum davon auszugehen, dass das Sportgericht dann zu einer anderen Auffassung kommt. Schon vor dem Urteil hatte Liga-Präsident Reinhard Rauball gefordert, hier müsse man "ein Exempel statuieren", weil ähnliche Störungen in Mode gekommen seien. "Die Sanktion ist auch aus generalpräventiven Gesichtspunkten erforderlich und soll künftigen Rechtsverletzungen vorbeugen", ergänzte Lorenz in seiner Juristensprache.

Bislang wurde erst einmal im Profifußball eine Partie ohne Fans abgewickelt, am 26. Januar 2004, in der zweiten Bundesliga, das Spiel zwischen Alemannia Aachen und dem 1. FC Nürnberg. Weil beim ersten Aufeinandertreffen Nürnbergs Trainer Wolfgang Wolf von einem geworfenen Gegenstand am Kopf verletzt worden war.

Dass der FC St. Pauli gegen den Bescheid so leidenschaftlich kämpft, ist nachvollziehbar. Dieser besonders von seinen emotionalen Fans lebende Klub weiß, dass die fehlende Unterstützung der Anhänger bei einem entscheidenden Spiel fast schon mit dem Abstieg gleichzusetzen ist. "Im Abstiegskampf wäre das ein schwerer Nachteil für uns", sagte Trainer Holger Stanislawski. Nach dem Werder-Geister-Spiel kommt dann nur noch der FC Bayern ans Millerntor. Die Chancen auf den Klassenverbleib stehen nach zuletzt sechs Niederlagen hintereinander ohnehin schlecht.

Täter kickte mit Ex-Profis

Auch am Donnerstag hatte St. Pauli bereits Widerspruch eingelegt gegen das vom Kontrollausschuss beantragte Strafmaß. Weil, so Manager Helmut Schulte, kein Verein so ein "Geschehen zu hundert Prozent verhindern" könne. St. Paulis Präsident Stefan Orth hatte da noch gehofft, "mit dem DFB eine Lösung zu finden", in welcher der Klub zum Beispiel eine erhebliche Geldstrafe hätte zahlen müssen, die in Gewaltprävention hätte investiert werden können.

Noch ist unklar, ob ein möglicher Abstieg oder ein Imageschaden wegen des Becherwurfs schlimmer wäre für den Verein, der sich gern mit den angeblich friedlichsten Fans schmückt. Dabei ist das Verhältnis zwischen Klub und Anhängern schon länger nicht ungestört. Die Gruppe der sogenannten Sozialromantiker wirft dem Klub eine zunehmende Kommerzialisierung vor und kündigte schon mal Boykotte an. Auch der Hauptsponsor, die "ARD-Fernsehlotterie", war nicht allen genehm. Würden da etwa die Fernseh-Gebührenzahler indirekt einen Profiklub finanzieren?

Die Mitglieder der Fraktion "Ultra Sankt Pauli" attackieren die Modefans von der Haupttribüne. Und vor gut einem Jahr kam es zu besonders heftigen Auseinandersetzungen zwischen der linkeren Klientel und normalen Paulianern. Da wollten Ultra-Fans Zuschauer auf der Südtribüne nicht auf ihre Plätze lassen, weil sie für mehr Fanrechte demonstrieren wollten.

Und ganz so freundlich, wie man dachte, sind die Fans auch nicht mehr, selbst wenn sich Helmut Schulte für "99,9 Prozent unserer Fans" verbürgt. Schon vor dem entscheidenden Wurf in der 87. Minute gegen Schalke waren etliche Bierbecher Richtung Spielfeld geflogen. Schiedsrichter Dennis Aytekin vermerkte, in der ersten Halbzeit sei ein Feuerzeug Richtung Assistent Schiffner geflogen, während sein Gegenüber Holger Henschel mit Münzen beworfen wurde.

Immerhin hat man den Haupttäter nach mehreren Zeugenaussagen gestellt: einen 43-Jährigen, der keiner Fan-Organisation angehört, aber früher mit den einstigen Pauli-Profis Dirk Zander und André Golke in einem Altherrenteam kickte. Vermutlich will der FC St. Pauli Regressansprüche stellen. Die im Raum stehende Summe von etwa 750 000 Euro, die dem Klub durch das Geisterspiel verloren gehen könnte, dürfte aber deutlich geringer ausfallen. Die meisten Dauerkartenbesitzer und auch viele Sponsoren würden ihr Geld nicht zurückfordern, behauptet das Abendblatt. Das wäre dann doch wieder ein Stück altes St. Pauli. Wenn's dem Klub schlecht geht, sind sie alle wieder da.

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