Bundesliga:Bayern wankt wie ein Wiesngast

Bundesliga: Marcel Tisserand im Zweikampf mit Robert Lewandowski.

Marcel Tisserand im Zweikampf mit Robert Lewandowski.

(Foto: AFP)

So viele Chancen des Gegners haben die Münchner lange nicht mehr erlebt - beim 3:1 gegen Ingolstadt liefert Ancelottis Team hinten bedenkliche Szenen ab.

Von Martin Schneider

Der FC Ingolstadt hatte große Freude daran, neben dem Regen und der Kälte die dritte Münchner Plage des Tages zu werden. In der bayerischen Hauptstadt hat ja die Wiesn begonnen, die der Rest der Welt Oktoberfest nennt - und über der Stadt lag zum Beginn dieses Volksfestes und dieses Fußballspiels eine Mischung aus Grau und Wasser. Man musste schon besonders gut gelaunt sein, um in diesem Schleier gescheit ein Volksfest zu feiern. Oder man brauchte halt viel Bier.

Nun wird in der Fußball-Arena im Norden der Stadt wie auf der Wiese im Süden natürlich auch Bier gereicht, aber eben nicht in Liter-Krügen. Und die hätte man schon gebraucht, um sich als Bayern-Fan die Leistung schöntrinken zu wollen. Die Zuschauer, die sich für Fußball und gegen die Blaskapelle als Unterhaltung entschieden, sahen einen FC Ingolstadt, der spielte wie kalter Dauerregen: Unangenehm und mit unaufhörlicher Intensität. Und der FC Bayern stand lange Zeit ohne Schirm auf dem Platz.

Xabi Alonso, den man zur Wiesn-Zeit natürlich auch mit seinem vollständigen Namen Xabier Alonso ansprechen könnte, rettete dann dieses aus Bayern-Sicht schwer durchschnittliche Spiel, indem er einen Schuss mit der Wucht eines Brauereigauls ins Eck zimmerte. Sieben Minuten vor dem Ende machte Rafinha dann noch ein Tor, Bayern gewinnt also 3:1 gegen Ingolstadt. Klingt nach Normalität. Aber das war es nicht.

Normal war zum Beispiel nicht, dass Dario Lezcano nach acht Minuten Manuel Neuer tunnelte und Carlo Ancelotti das erste Tor als Bayern-Trainer einschenkte. Mathew Leckie hatte den Ball auf der linken Außenbahn erhalten und gleich drei Bayern-Spieler verhinderten den Pass nicht. Normal war dann schon eher, dass Robert Lewandowski vier Minuten später nach einem schönen Pass von Franck Ribéry das 1:1 machte, weil er sich drehte, schoss und Ingolstadts Torwart Örjan Nyland den Ball noch so abfälschte, dass er genau in einer Bogenlampe ins Tor fiel. Zuvor hatte Arturo Vidal den Ball mit einer Art Wand-Grätsche erobert. Aber das Tor gab Bayern keine Sicherheit.

"Es war bis zum Ende sehr schwierig, Ingolstadt hat wirklich gut gespielt. Es ist vielleicht normal in dieser Phase, dass wir nicht immer gut spielen, aber wir haben Charakter gezeigt. Wir haben in der Defensive einige zweite Bälle nicht erobert, so konnte Ingolstadt dann in die Räume spielen", analysierte Ancelotti später.

Es gilt bei den Münchnern ja angesichts des umfangreichen Kaders nicht als Ausrede, aber gleich vier Stammspieler hatten sich vor dem Spiel abgemeldet. Mats Hummels lag mit einer Erkältung flach. Philipp Lahm, Thomas Müller und David Alaba hatten Magen-Darm und so baute Carlo Ancelotti seine Mannschaft um. Neu-Torjäger Joshua Kimmich rückte in die Innenverteidigung, Kingsley Coman auf die linke Außenbahn. Auf der Bank saßen wieder Jérôme Boateng und Arjen Robben.

Im vergangenen Jahr war das Heimspiel der Bayern gegen Ingolstadt ja schon eines der interessanteren Münchner Spiele. Der nach Leipzig weitergewanderte Ralph Hasenhüttl ließ ein unangenehmes Pressing spielen und durfte mit Recht behaupten, dass sein Team eines derjenigen war, die das Spiel nicht schon vor Anpfiff hergegeben haben.

Ingolstadt macht viel Druck

Und auch diesmal spielte Ingolstadt nach dem Prinzip: Je früher wir den Bayern auf den Füßen stehen, desto besser. Renato Sanches, der mit Arturo Vidal ein Wuchtbrummen-Duo vor Alonso bildete, hatte die größten Probleme mit der aggressiven Taktik von Markus Kauczinski. Um die 20. Minute fing der FC Bayern sogar mit dem Kontern im eigenen Stadion an. Franck Ribéry nutzte den ungewohnten Platz nach vorne für Steilpässe, brachte aber nach dem 1:1 keinen mehr zu Lewandowski.

Ingolstadt übte mehr Druck aus, als zwei Maß Bier auf die Blase eines durchschnittlichen Oktoberfestgastes und der FC Bayern wankte wie ein Wiesngast nach zwei Litern Bier. In der 36. Minute setzte Mathew Leckie dann einen Schuss über das Tor von Neuer, und wenn der Australier zwei Minuten später nach einem haarsträubenden Ballverlust von Sanches den Ball quer auf Moritz Hartmann gelegt hätte, statt direkt aufs Tor zu schießen, wäre der FC Bayern wohl mit einem Rückstand in die Halbzeit gegangen. Vergangene Saison haben die Bayern pro Heimspiel im Schnitt 6,7 Schüsse aufs eigene Tor zugelassen. Gegen Ingolstadt waren es schon zur Halbzeit acht.

Normal wäre dann gewesen, dass der FC Bayern nach dem Führungstor von Alonso wieder in den Dominanz-Modus verfällt, aber auch das klappte nicht. In der 53. Minute schoss Leckie freistehend auf das Tor und Manuel Neuer riss irgendwie noch den rechten Arm nach oben, um den Ball über die Latte zu lenken. Eine Viertelstunde später kam Lukas Hinterseer frei zum Schuss und schaffte es, den Ball am Tor vorbeizuschießen. Um in München so viele Chancen zu haben musste man zuletzt eher Gegner vom TSV 1860 sein.

Zu diesem Zeitpunkt hatte Carlo Ancelotti den überforderten Renato Sanches schon erlöst und durch Thiago ersetzt. Er hatte zudem zur Halbzeit Douglas Costa gebracht, aber der musste später wieder verletzt runter, Jérôme Boateng feierte sein Comeback und wer die wacklige Bayern-Abwehr sah, der konnte ahnen, dass ihn diese Mannschaft wieder brauchen wird.

Dann traf Rafinha in der 84. Minute und in der 90. Minute rettete Manuel Neuer zum letzten Mal, diesmal gegen Stefan Lex, Ingolstadt hatte am Ende mehr Torschüsse (13:10) als der FC Bayern. Bei einem Heimspiel. Und trotzdem stand am Ende ein 3:1 auf der Anzeigetafel. "Wir hätten natürlich lieber Punkte gehabt als Komplimente. Aber wir haben die Bayern maximal geärgert, hatten drei, vier hochkarätige Chancen zum Ausgleich", sagte Kauczinski später. "Es gibt nicht viele Tage, an denen man den FC Bayern zu Hause schlagen kann. Heute war so ein Tag", sagte Ingolstadts Kapitän Marvin Matip nach dem Spiel während er sich mit einer Decke vor Kälte und Regen schützte.

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