Bundesliga:Bayern ist zu abhängig von Lewandowski

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Unangefochtener Chefstürmer: Robert Lewandowski (vorne) jubelt nach seinem sehr späten Ausgleichstor. (Foto: Bongarts/Getty Images)
  • Wie sähe die Elf des FC Bayern ohne Robert Lewandowski aus? Trainer Ancelotti probt gegen Hertha BSC den Ernstfall.
  • Die Antwort ist unbefriedigend, denn der sehr späte 1:1-Ausgleich fällt erst, als Lewandowski mitspielen darf.
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Von Christopher Gerards, Berlin

Carlo Ancelotti ist kein Profi mehr, aber er kann es noch immer. Mats Hummels hatte ihn freigespielt, wobei: Eigentlich hatte er den Ball ins Aus spielen wollen, weil Herthas Vedad Ibisevic sich am Boden wälzte. Aber dann rollte der Ball genau in Ancelottis Laufweg, und der trat nun so hart gegen den Ball, dass dieser erst vor Bayerns Strafraum bei Manuel Neuer landete. Ein beeindruckender Schuss war das, das schon. Andererseits: Hatte man Carlo Ancelotti schon mal so genervt gesehen?

Wenn man so will, war das 1:1, das der FC Bayern in letzter Sekunde in Berlin landete, eine Art Beweisführungstermin. Seit Ancelottis wütendem Tritt gegen den Ball weiß man: Nein, die Bayern machen sich nicht über die Liga lustig. Sie werden schon auch nervös, wenn sie nach 77 Minuten noch immer hinten liegen. Und vermutlich planen sie diese Last-Minute-Dramaturgie nicht mal. Das war die eine Erkenntnis des Abends. Die andere lautete: Der FC Bayern kann gerade nicht mehr rotieren, wie er lustig ist.

Ein Spiel in zwei Akten

Bernat für Martinez, Kimmich für Alonso, Müller für Lewandowski - ordentlich umgebaut hatte Ancelotti seine Mannschaft. Beim FC Bayern hat das ja Tradition, Otttmar Hitzfeld hat die Rotation einst eingeführt, Pep Guardiola hat sie später perfektioniert. Aber selten hat ein Bundesligaspiel so zynisch auf eine Aufstellung reagiert. Dieses 1:1 konnte man hinterher teilen in die ersten 60 Minuten und in die letzten 30 plus Nachspielzeit. In den ersten 60 standen Lewandowski und Alonso nicht auf dem Platz, und Hertha führte 1:0. In der letzten halben Stunde spielten Lewandowski und Alonso mit. Hertha schoss kein Tor mehr. Der FC Bayern schon.

Natürlich wäre das alles etwas zu kurz gedacht, schon allein, weil Lewandowski und Alonso sich zunächst lustvoll am Rumpeln und Holpern ihrer Mitspieler beteiligten. Aber dann war Lewandowski halt auch der Mann, der in der Nachspielzeit das 1:1 herbeirumpelte. "Egal wer, egal wann - ich weiß, dass ich kurz gespielt habe, aber ich habe versucht, der Mannschaft zu helfen", hat der Pole hinterher gesagt. Die gute Nachricht für den FC Bayern war: Ja, er hat der Mannschaft geholfen. Die schlechte lautete: Womöglich, vielleicht und eventuell ist die Mannschaft ein bisschen zu abhängig von Lewandowski.

Hertha gegen Bayern
:Mittelfinger und Bayern-Bonus

Manuel Neuer spottet, Pal Dardai tobt und Carlo Ancelotti zeigt den Hertha-Fans den Stinkfinger, weil er bespuckt worden sei: Der Ausgleich des FC Bayern in der 96. Minute setzt in Berlin Emotionen frei.

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Müller erkennt: "Nicht die richtigen Entscheidungen getroffen"

Es war ein Spiel, als würden die Bayern den Ernstfall proben. Wie Ancelottis Team ohne seinen Mittelstürmer aussähe - diese Frage begleitete in den vergangenen Wochen jedes Tor, das Lewandowski schoss, und der Samstag lieferte dazu ein paar hübsche Erkenntnisse. Zum Beispiel die, dass Thomas Müller, sein Ersatz als Mittelstürmer, nicht immer richtig abbiegt. Und dass ohne Lewandowski nicht nur ein guter Kopfballspieler, sondern auch der beste Mit-dem-Rücken-zum-Gegner-Annehmer der Liga fehlt. "Die Anschlussaktion Richtung Torabschluss" habe gefehlt, sagte Müller, "da haben wir nicht die richtigen Entscheidungen getroffen."

Und auch die anderen Experimente in Bayerns Aufstellung wollten nicht richtig gelingen. In Alonsos Abwesenheit kümmerte sich vor allem Vidal um den Spielaufbau, ein Profi, der sonst das Ressort Zweikampfführung leitet. Auffallend oft schnappte er sich den Ball, aber noch auffallend öfter passte er denselben nicht nach vorne, sondern zu einem Innenverteidiger. Juan Bernat ersetzte indes als Linksverteidiger David Alaba, der für Martinez in die Mitte gerückt war - bewarb sich aber nicht um mehr Einsätze. Und wenn Franck Ribery bald wieder Fußball spielen kann, werden seinen Ersatz Douglas Costa vermutlich auch nicht allzu viele Menschen vermissen.

Carlo Ancelotti wirkte hinterher nicht unzufrieden: "Es war sehr schwierig. Das 1:1 ist eigentlich gerecht", sagte er. Aber er weiß auch: Je länger die Saison dauert, desto mehr hängt ihr Ausgang auch von der sog. Breite des Kaders ab, wie das in der Fachsprache heißt. Davon, ob Ancelotti Lewandowski und dem weitgereisten Alonso auch mal eine Pause gönnen kann. "Robert Lewandowski ist ein fantastischer Spieler und sehr wichtig für uns", hat Ancelotti später sehr zurecht gesagt. Die Frage ist nur: Ist Lewandowski womöglich ein bisschen zu wichtig für den FC Bayern?

© SZ vom 19.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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