Arminia Bielefeld:Das Schlauchboot hängt die Yachten ab

Jubel und Freude bei den Spielern der Arminia, nach dem Spiel und dem Verbleib in der 1.Liga u.a. Torwart Stefan Ortega

Freundeskreis: Die Spieler der Arminia feiern den Sieg und den Verbleib in der Erstklassigkeit.

(Foto: Peter Hartenfelser/imago)

Was von Arminia Bielefeld vor der Saison erwartet wurde? Nicht viel. Nun glückt dem Außenseiter der Klassenerhalt. Elfmeter-Schütze Fabian Klos fühlt nach dem 2:0 gegen Stuttgart tiefe Genugtuung.

Von Christoph Ruf, Stuttgart

Um 16.53 Uhr württembergischer Ortszeit änderte sich die Geräuschkulisse im Stuttgarter Stadion mit einem Schlag. Während zuvor die Gesänge der draußen ausharrenden VfB-Fans leise ins Stadioninnere gedrungen waren, zerriss plötzlich ein vielstimmiger Freudenschrei die Stille. Kurz zuvor hatte Fabian Klos einen Elfmeter zum Bielefelder Führungstor verwandelt (66.). Und da wenig später Ritsu Doan auch noch das 2:0 gelang (72.), beendet Bielefeld die Saison auf einem Nichtabstiegsplatz. Der Verein, der bereits vor der Saison als größtanzunehmender Außenseiter galt, hat es also sogar ohne Umweg über die Relegation geschafft. Auch dank eines Trainerwechsels, der sich im Gegensatz zu dem in Bremen bezahlt gemacht hat: Frank Kramer, der im März übernahm, holte 17 Punkte in zwölf Spielen.

Und während Kramer noch im hüpfenden Kreis mit seinen Spielern feierte, musste der Mann des Tages schon vor die Mikrofone. "Wir waren für sehr lange Zeit Absteiger Nummer eins", sagte Klos, der seit fast einem Jahrzehnt in Bielefeld spielt. Ihn hatten nach dem Schlusspfiff endgültig die Emotionen übermannt, die er vor dem Elfmeterschuss noch mühsam im Zaum halten musste. Sein Puls sei beim Anlaufen unerträglich hoch gewesen: "Ich war mir der Wichtigkeit dieses Schusses durchaus bewusst."

Sturmkollege Andreas Voglsammer gab ebenfalls einen Einblick in seine Gefühlswelt: "Es war extrem. Es ist ein megageiles Gefühl. Die meisten haben wohl damit gerechnet, dass es uns so geht, wie es den Schalkern ergangen ist: dass wir einige Spieltage vor Schluss schon abgestiegen sind. Jetzt läuft es mir eiskalt den Rücken runter beim Gedanken, nächstes Jahr wieder Bundesliga zu spielen."

Schon als im vergangenen Sommer der Aufstieg in die erste Liga feststand, hatte Sportdirektor Samir Arabi angesichts der eigenen finanziellen Möglichkeiten von einem anstehenden "Wettstreit mit 17 Motorbooten" gesprochen, "während wir im Schlauchboot sitzen". Letzteres erwies sich dann allerdings in dieser Saison als überraschend wendig - immerhin gelangen Siege gegen Stuttgart, Freiburg oder Leverkusen sowie ein Punktgewinn bei den Bayern. Weshalb Arabi vor dem letzten Spieltag die bewährten maritimen Sprachbilder auch erneut bemühte und sagte, es gelte nun, "drei Yachten hinter uns lassen".

22.05.21 VfB Stuttgart - Arminia Bielefeld Deutschland, Stuttgart, 22.05.2021, Fussball, Bundesliga, Saison 2020/2021, V

Ostwestfalen maritim: Frank Kramer trägt nach dem Sieg ein T-Shirt mit dem Aufdruck: "Erstklassig gepaddelt".

(Foto: Rudel/imago)

Nun, von den drei Yachten schlingerte zumindest die aus Bremen schon früh am Tag gehörig. Und in Stuttgart wirkte es, als führe der frühe Rückstand der Bremer gegen Gladbach zu einer Planänderung im Bielefelder Spiel. Während die in der Anfangsphase geradezu stürmisch losgelegt hatte, agierte sie nun überhaupt nicht mehr. Stattdessen verbarrikadierten sich zwei Bielefelder Defensivketten rund ums eigene Tor. Zur Halbzeit standen 24 Prozent Ballbesitz zu Buche. Man merkte den Stuttgarter Aktionen aber auch schon in den ersten 45 Minuten hin und wieder an, dass es für das Team nicht mehr um die ganz existenziellen Fragen ging - der VfB hätte angesichts seiner Überlegenheit in Führung liegen müssen.

Stuttgarts Sportdirektor Sven Mislintat erklärt seinen Verbleib beim VfB

Am Ende war die Niederlage dann dennoch verdient, im zweiten Durchgang schien der VfB nicht mehr zu wollen, als einen möglichst höflichen Begleiter für die Bielefelder Ambitionen abzugeben. Erst kurz vor dem Abpfiff gab es überhaupt mal wieder eine Annäherung ans Bielefelder Tor, eine kläglich vergebene Kopfballchance (88.). Danach war Schluss und selbst im Kontrast mit der kollektiven Ekstase bei den Gästen wirkte die Stimmung bei den Schwaben nicht gerade deprimiert.

Zwar wurde die Minimalchance auf eine mögliche Teilnahme an der Conference League vergeben. Platz neun ist es am Ende aber dennoch geworden. Der zweite Aufsteiger neben Bielefeld hat also nicht nur die Klasse gehalten, sondern sowohl tabellarisch als auch mit seinem attraktiven Spielstil aufhorchen lassen. Sportdirektor Sven Mislintat versicherte im Halbzeit-Interview beim Sender Sky derweil eher en passant, dass er selbst dem VfB erhalten bleibt. Nach dieser maßgeblich von ihm mitgestalteten Saison, ist das eine gute Nachricht. Weniger gut ist, dass Torhüter Gregor Kobel die Stuttgarter wahrscheinlich Richtung Ruhrgebiet verlassen wird. Auf die Frage, ob er sich einen Wechsel zum BVB vorstellen könnte, antwortete er: "Dortmund ist auf jeden Fall ein Thema."

Wie positiv die Entwicklung im Schwäbischen sich derzeit dennoch darstellt, illustriert ein anderer Parameter allerdings noch besser: Am Samstag beendete in Pellegrino Matarazzo erstmals seit acht Jahren der selbe Trainer eine Spielzeit, der sie auch begonnen hatte.

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