Bundesliga:Zahnstocher kauen im Abstiegskampf

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In der letzten Saison oft geherzt, jetzt schermzlich vermisst: Jean-Philippe Mateta (links). (Foto: Torsten Silz/dpa)

Wo liegen die größten Probleme von Paderborn, Köln und Co.? Antworten auf die wichtigsten Fragen - und kostenlose Tipps für die Winterpause.

Von Sebastian Fischer, Thomas Hürner und Christof Kneer

Erst nach acht bis zehn Spielen, so lautet eine alte Branchenweisheit, sei eine Tabelle halbwegs aussagekräftig. Nimmt man nun vor dem anstehenden achten Spieltag die Erstliga-Tabelle zur Hand, findet man diese Weisheit auf spektakuläre Weise widerlegt und bestätigt. Widerlegt, weil sie vermutlich nicht mal in Mönchengladbach oder Wolfsburg davon ausgehen, dass Mönchengladbach und Wolfsburg auch nach 34 Spieltagen noch die ersten beiden Tabellenplätze belegen. Im vorderen Drittel ist die Tabelle noch eindeutig in der Sortierungsphase. Im hinteren Drittel aber könnte sich die alte Weisheit bestätigten. Die letzten Sechs - Mainz, Augsburg, Düsseldorf, Union Berlin, Köln, Paderborn - könnten auch am Ende der Saison die letzten Sechs bilden, in anderer Reihenfolge möglicherweise. Im Vergleich zur Konkurrenz sind die finanziellen Mittel geringer, die Kader schwächer oder noch nicht gefestigt. Die SZ untersucht, wo bei den Klubs die größten Probleme liegen und wer oder was Hoffnung macht - die SZ-Tipps am Ende sind übrigens kostenlos.

13. Platz: FSV Mainz 05 (6 Punkte)

Sie wollten ihn unbedingt behalten, angeblich haben die Mainzer dafür sogar einen Transfergewinn von 20 Millionen Euro ausgeschlagen. Nein, an Offerten für Jean-Philippe Mateta, 22, dürfte es im Sommer nicht gemangelt haben, speziell die Klubs aus England sollen bereit gewesen sein, irgendwas zwischen Mond- und Marspreisen für den Franzosen zu bezahlen. Kein Wunder: Der Angreifer hatte entscheidenden Anteil daran, dass die Mainzer eine recht entspannte vergangene Saison spielten, Mateta war mit 14 Treffern ihr bester Torschütze. Mateta hat in seinem Leben nie ein Nachwuchsleistungszentrum von innen gesehen, er ließ sich auf der Straße ausbilden, das sieht man seiner unkonventionellen, wuchtigen Spielweise immer noch an. Einer wie Mateta würde für Mainz extrem wichtig sein, da hatte Sportchef Rouven Schröder im Sommer schon Recht.

Blöd nur: Vor Saisonbeginn verletzte sich Mateta schwer am Meniskus, er bestritt diese Saison noch kein Spiel, weshalb zurzeit Spieler namens Quaison und Onisiwo für Mainz stürmen. Die Klubs aus der Premier League stehen mit ihren Scheckbüchern aber angeblich immer noch bereit, sie würden Mateta sogar im Winter kaufen, ohne Spielpraxis in der Hinrunde.

Tipp für die Winterpause: Mateta keinesfalls verkaufen! Er dürfte zur Rückrunde wieder fit sein, was für Mainz einen doppelten Vorteil hätte: Mateta könnte den Klub zum Klassenverbleib und seinen Marktwert weiter in die Höhe schießen. Flankierend empfiehlt sich die Investition in einen Physiotherapeuten, der in der Rückrunde ausschließlich auf Mateta aufpasst.

14. Platz: FC Augsburg (5 Punkte)

Augsburgs Torwart Tomas Koubek. (Foto: Stefan Puchner/dpa)

Tomas Koubek hatte eine schwierige Aufgabe zu lösen, als er im August seine Arbeit beim FC Augsburg begann. Der FCA hat seit dem Sommer 2018 ein Problem auf der Torhüterposition, seitdem der verlässliche Schweizer Marwin Hitz lieber nach Dortmund ging, um dort auf der Bank zu sitzen. Weder Fabian Giefer oder Andreas Luthe konnten ihn ersetzen, noch der im vergangenen Winter ausgeliehene Gregor Kobel, der es zwar respektabel versuchte, aber im Sommer nach Stuttgart ging. Der für die Ablösesumme von 7,5 Millionen Euro von Stade Rennes verpflichtete Tscheche Koubek, 27, bekam dann in seinem ersten Bundesligaspiel fünf Tore in Dortmund und sah dabei nicht gerade souverän aus. Das kann passieren, allerdings soll er danach zu einem tschechischen Journalisten gesagt haben, er habe "Mischmasch im Kopf" - er konnte sich wohl nur schwer mit den Verteidigern verständigen.

Es half ihm in den Wochen danach nicht, dass die Augsburger Viererkette erst mit Ende der Transferperiode zusammengestellt wurde. Es half ihm auch nicht, dass er mit Übergewicht nach Augsburg gekommen sein soll. Und es half erst recht nicht, dass er beim 1:5 in Gladbach vor zwei Wochen das 0:4 verschuldete, weil er bei einem Rückpass über den Ball trat und ihn auch beim Zurücklaufen nicht klärte, sondern sich - vergeblich - in den Laufweg des Torschützen Plea zu legen versuchte. "Das Vertrauen ist sehr groß in ihn", sagt Trainer Martin Schmidt. Ein Torwartwechsel wäre das Eingeständnis falscher Kaderplanung. So wird es beim FCA im Kampf gegen den Abstieg auch auf Koubek ankommen. "Er ist klar gefordert", sagt Schmidt. Immerhin: Koubek hatte zwei Wochen Zeit, sich aufs Spiel gegen Bayern vorzubereiten. Zur tschechischen Nationalelf wurde er erstmals seit Jahren nicht eingeladen.

Tipp für die Winterpause: Vielleicht nicht noch mal Jens Lehmann holen, weder als Co-Trainer noch als Torwart.

15. Platz: Fortuna Düsseldorf (4 Punkte)

Fortunas Sportvorstand Lutz Pfannenstiel. (Foto: Marius Becker/dpa)

Nicht jeder Klub, bei dem Lutz Pfannenstiel schon war, verfügt über einen Wikipedia-Eintrag. Man kann Wikipedia da keinen Vorwurf machen, es ist schon genug Arbeit, überhaupt den Eintrag von Lutz Pfannenstiel zu pflegen. In seinen bisher 46 Lebensjahren war der ehemalige Torwart beim 1. FC Kötzting (erste Station) und bei Penang FA (zweite Station), außerdem spielte er - wirklich nur unter anderem - für Orlando Pirates, Sembawang Rangers, Haka Valkeakoski, Vllaznia Shkodra, CA Hermann Aichinger, auch Atletico de Ibirama genannt. Bei Wacker Burghausen war er auch mal. Seit Dezember 2018 ist er nun Sportvorstand in, Moment, Düsseldorf.

Dort hat er jetzt eine der schwereren Aufgaben seiner Karriere vor sich: Er verantwortet eine Elf, die unter klassischen Branchenreflexen leidet. Die Besten der Vorsaison, Dodi Lukebakio und Benito Raman, sind zu Hertha BSC und Schalke 04 gewechselt, Pfannenstiel hat sie durch Spieler von Absteiger Stuttgart (Erik Thommy) und Aufsteiger Paderborn (Bernard Tekpetey) ersetzt, und der von großen Hoffnungen begleitete Nana Ampoah (aus Beveren) konnte seine Begabung wegen Verletzungen noch nicht zeigen. Gemein übrigens: Lukebakio und Raman sind bei Hertha und Schalke nicht mal Stammspieler.

Tipp für die Winterpause: Das ist einfach: entweder Lukebakio und Raman ausleihen - oder halt den besten Spieler von den Orlando Pirates, von CA Hermann Aichinger und vom 1. FC Kötzting holen.

16. Platz: Union Berlin (4 Punkte)

Was tun, wenn es am Geld fehlt, um den Kader aufzumotzen? Dann lassen sich immer noch die Fußballgeister beschwören. Ein Glück, dass Union Berlin die Alte Försterei hat, ein Stadion, das Gegnern Unbehagen bereiten kann. Ein Monument des ehrlichen Fußballs, in dem es fast nur Stehplätze gibt, in dem der Spielstand über eine handbediente Anzeigentafel übermittelt wird und in dem es nach Bratwurst riecht. Auf die Mitglieder der globalen Unterhaltungsindustrie Fußball kann das einschüchternd wirken, vor allem, wenn das Flutlicht angeht. Union qualifizierte sich unter Flutlicht für die Bundesliga, in zwei Relegations-Spielen gegen Stuttgart, und auch beim bislang einzigen Saisonsieg gegen Dortmund war es dunkel in Köpenick.

Auf den Klassenverbleib werden sich Fans, Spieler und Trainer auch wieder beim traditionellen Weihnachtssingen einschwören, im 28 500-fachen Kerzenschein singen sie dann "O du Fröhliche". Gänsehaut gehört zu Union, genauso der Glaube ans Unmögliche - und Gelassenheit, wenn es mit dem Unmöglichen doch nix wird.

Tipp für die Winterpause: Einen Dringlichkeitsantrag an die DFL schicken, mit der Bitte, alle noch zu terminierenden Heimspiele am Freitagabend auszutragen, unter Flutlicht. Dann könnte es für die - abendliche - Relegation reichen.

17. Platz: 1. FC Köln (4 Punkte)

Kölns Maskottchen, Hennes IX. (Foto: Marius Becker/dpa)

Armin Veh, das muss man wissen, hat viel Erfahrung. Viele Sätze leitet er so ein: Vor 20 Jahren in Reutlingen hab' ich schon ... oder: Als ich damals in Rostock ... wobei, wenn er über seine Trainerstationen beim HSV oder in Wolfsburg spricht, lacht er meist nur verächtlich, und zwischendurch kichert er ein Wort, das wie "Aufsichtsräte" klingt. Fakt ist: Der Veh, der kennt sich aus. Seine Trainerkarriere hat er beendet, aber natürlich gilt die Der-kennt-sich-aus-Regel auch für den Sportchef Veh, der dem 1. FC Köln vorige Saison einen aufstiegstauglichen Kader organisiert hat, mit Spielern, die er an irre entlegenen Orten wie Kiel und Österreich entdeckt hat.

Für den Erstligakader hat sich Veh nun sein Meisterstück vorgenommen: Er will beweisen, dass es auch auf diesem global durchleuchteten Transfermarkt noch Winkel gibt, die nur er kennt, dank seiner Erfahrung möglicherweise. Veh hat dem FC Spieler beschafft, für deren Namen der Stadionsprecher ein Trainingslager absolvieren musste. Es kamen: Ellyes Shkiri (Fundort: Montpellier), Kingsley Ehizibue (Zwolle), Sebastiaan Bornauw (Anderlecht) und Birger Verstraete (Gent) - gute Leute, ausgesucht für den Pressingfußball des neuen Trainers Beierlorzer, der auf Physis, Laufstärke und Tempo Wert legt.

Dass der FC trotz der drei Mittelstürmer Modeste, Cordoba und Terodde erst fünf Tore in sieben Spielen erzielt hat, liegt vor allem daran, dass die neuen Namen mit den alten Namen noch nicht zusammenpassen. Es gibt noch keine schlüssige Idee, wie der Ball zu den Stürmern nach vorne kommen soll, der FC ist gut besetzt, aber spielt noch nicht das, was er kann oder soll. Zum Glück hat Trainer Achim Beierlorzer, 51, zumindest ein bisschen: Erfahrung.

Tipp für die Winterpause: Vielleicht findet Veh in seinen Winkeln noch ein paar Unaussprechliche. Wie wäre es mit Theodoros Papoutsogiannopoulos, Rechtsverteidiger von Ionikos in Griechenland? Oder Veh schaut noch mal auf die eigene Ersatzbank. Da sitzt ein Benno Schmitz.

18. Platz: SC Paderborn (1 Punkt)

Paderborns Trainer Steffen Baumgart. (Foto: imago)

Außenseitern stehen traditionell zwei Alternativen zur Verfügung, wie sie in der Bundesliga Erfolg haben können: erst mal gut verteidigen und dann kontern, oder erst mal gut verteidigen und dann Eckbälle trainieren. Der SC Paderborn bricht mit dieser Tradition, Paderborn greift einfach an. "Vollgas" nennt das Trainer Steffen Baumgart, und es ist ihm egal, dass ihn manche für verrückt erklären. In dieser Woche hat er bei Sky gesagt: "Alle, die glauben, dass wir jetzt, weil wir die Punkte nicht haben, unseren Weg verlassen: Die glauben dann und glauben, glauben, glauben. Wir machen nicht Glauben, sondern wir arbeiten dran und wir werden gucken, dass wir mit unserem Fußball unsere Punkte holen."

In Leverkusen und selbst gegen Bayern wäre ein Remis möglich gewesen, vier bis fünf Punkte mehr wären nach den erstaunlichen Leistungen vielleicht sogar gerecht. Gut, die Mannschaft besteht zu großen Teilen aus Spielern, die vor ein paar Jahren noch in der dritten, vierten oder fünften Liga gekickt haben, aber wie sagt Sven Michel, einst Regionalliga-Torschützenkönig: "Der Fußball, den wir spielen, macht Spaß." Daran, wenigstens, sollten sie den Glauben nicht verlieren.

Tipp für die Winterpause: Trainer Baumgart mit ausreichend Zahnstochern zum Draufkauen und Kappen zum Rumwerfen ausstatten und niemals zweifeln.

© SZ vom 18.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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