Heute, einen Wimpernschlag später, ist Werder Bremen höchstens noch der kleinste Große. Der Klub ist Zweiter der ewigen Bundesliga-Tabelle, er hat die zweitmeisten Spiele aller dort aufgeführten 54 Vereine absolviert, die zweitmeisten Tore in der Liga-Geschichte geschossen und die zweitmeisten Siege errungen. Nur ein Verein hat den DFB-Pokal häufiger gewonnen.
Werder Bremen ist, statistisch gesehen, so etwas wie das zweitmeiste Bayern München. Und liegt heute trotzdem hinter Darmstadt, Augsburg, Ingolstadt. Wieso?
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Das Symbol der Bremer Freiheitsliebe und Mittelpunkt aller Fußballfeierlichkeiten: der Roland in einem Meer aus Werder-Fans nach dem Double 2004.
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Werders goldene Zeiten in Europa sind längst Vergangenheit. Der 3:2-Sieg über Real Madrid 2008 war das letzte von vielen "Wundern von der Weser".
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Nach der Niederlage im Uefa-Pokal-Finale 2009 häuften sich die Enttäuschungen.
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Das 3:0 gegen Inter Mailand im Jahr 2010 war das bisher letzte Europapokal-Spiel auf dem Rasen des Weserstadions.
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Seit dem DFB-Pokal-Sieg 2009 konnte Werder auch national keine großen Ausrufezeichen mehr setzen.
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Der Titelgewinn war das letzte Glanzlicht der Ära von Trainer Thomas Schaaf (links) und Sportdirektor Klaus Allofs.
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Die neue Werder-Führung um Sportdirektor Thomas Eichin (links) und Klubchef Klaus Filbry hat deutlich weniger Gründe zum Lachen...
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...als der Bremer Übervater Willi Lemke noch Mitte der 1990er-Jahre.
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Bremen ist keine Stadt, die auf Rosen gebettet ist, nicht mal auf Tulpen. Eher auf Stiefmütterchen. Und die muss man mögen. Bremen ist nicht gerade die Stadt der großen Chancen, es ist die des kleinen Glücks. Das Glück, auf der richtigen Seite der Weser geboren zu sein (der rechten!); das Glück, sogar im Pisa-Notstandsland etwas in der Schule gelernt zu haben; das Glück, dass nach dem Kneipenbesuch das Fahrrad nicht geklaut ist; das Glück, mit einer Buddel Hemelinger in der Hand am Osterdeich zu hocken, zum Himmel zu schauen und keinen Regen zu sehen.
Und das Glück, Werder Bremen zu haben, den kleinen grünen Stachel im Fleisch der reichen Münchner und reich sein wollenden Hamburger.
Weil Bremen so hoch verschuldet ist
Bremer mögen ihre Stadt sehr, sie ist vergleichsweise günstig, sie hat herrliche Plätze, liegt am Wasser, ist weltoffen, tolerant und tatsächlich bescheiden. Anders als die Hamburger, deren Medien mindestens zweimal im Jahr Sonderausgaben über die schönste Stadt der Welt machen - ihre eigene - braucht der Bremer das nicht. Er weiß, was er an Bremen hat, er posaunt es nicht raus. Diejenigen, die es wegzieht, gehen nie so ganz, deswegen kennt der Sprachschatz hier die Binnen- und die Butenbremer. Bremer bleiben sie immer.
Wenn sich zum Beispiel in einer Düsseldorfer Kneipe Bayern-Fans zum Fußballschauen versammeln, so sind das Düsseldorfer, Dresdner oder Castrop-Rauxeler. Schaut man in München Werder-Spiele, und es gibt wirklich spezielle Orte dafür, trifft man fast nur Bremer. Vieles schweißt sie zusammen. Der Rest der Republik spricht dem kleinsten Bundesland, das Bremen zusammen mit Bremerhaven bildet, gerne mal das Existenzrecht ab. Weil es so strukturschwach ist. Weil es so hoch verschuldet ist. Weil es so links ist. Weil der "Tatort" oft so schlecht ist. Der Roland, das Symbol der Freiheitsliebe dieser Hansestädter, steht nicht ohne Grund seit mehr als 600 Jahren auf dem Marktplatz. Er wird wohl noch gebraucht.
Man sollte vorsichtig sein damit, einen Verein gleichzusetzen mit dem Lebensgefühl der Stadt, in der er zu Hause ist. Fußball ist Geschäft. Aber der SV Werder ist seinem Standort schon sehr ähnlich, er hat den Strukturwandel, das Werftensterben, den leeren Stadtsäckel, stets zu spüren bekommen. Werder hat sich nie größer machen wollen, als es war, es ist einfach über sich hinausgewachsen. Dafür steht die feste Redewendung über die "Wunder von der Weser" - Spiele, die man nicht gewinnen konnte. Das 6:2 gegen Moskau (nach 1:4 im Hinspiel); das 5:0 gegen Dynamo Berlin (0:3); das 4:0 gegen Lyon (0:3). Und das 5:3 gegen Anderlecht, Halbzeit 0:3.
Die gewitzten Gallier wussten sich zu wehren, und das ganze Dorf richtete sich daran auf.
Jene, die heute die Zukunft von Werder bauen, können mit dieser Nostalgie wenig anfangen. Der vorsitzende Geschäftsführer Klaus Filbry, ein studierter Sport-Ökonom, und Manager Thomas Eichin, ein fast asketischer Kaltblüter, waren noch nicht im Verein, als der die Fußball-Welt düpierte. Für sie ist das Geschichte fürs Wuseum, dem vereinseigenen Museum.