Hertha BSC im Abstiegskampf:Furchtlos wie der junge Oliver Kahn

Hertha BSC im Abstiegskampf: Marcel Lotka ist mit Emotionen bei der Sache - auch das macht ihn bei den Hertha-Fans beliebt.

Marcel Lotka ist mit Emotionen bei der Sache - auch das macht ihn bei den Hertha-Fans beliebt.

(Foto: Julius Frick/Jan Huebner/Imago)

Marcel Lotka startete als fünfter Torwart bei Hertha BSC in die Saison - nun ist er die unumstrittene Nummer 1 im Abstiegskampf: Der erst 20-Jährige steht in Dortmund vor einer besonderen Bewährungsprobe.

Von Javier Cáceres, Berlin

Felix Magath erinnert mitunter an Mahatma Gandhi, in einer freilich nicht so hageren Version. Der Ton des Hertha-Trainers ist zumeist von leise vorgetragener, in 68 Jahren angeeigneter Lebensweisheit geprägt. Vor dem entscheidenden Spiel der Hertha bei Borussia Dortmund ging Magath allerdings aus dem Sattel, zumindest für seine Verhältnisse, als ihn nämlich die Frage erreichte, ob er erwogen habe, den 20-jährigen Torwart Marcel Lotka im früheren Westfalenstadion auf die Bank zu setzen. "Auf gar keinen Fall!", rief Magath und klang dabei so, als erscheine ihm der mögliche Zweifel, der ja der Frage zugrunde lag, nachgerade absurd.

Das war er natürlich nicht. In der Vorwoche hatte sich Lotka einen erheblichen Fehler geleistet und den 1. FSV Mainz 05 damit im Berliner Olympiastadion auf den Weg zum Sieg gebracht - wobei zur Wahrheit gehört, dass die gesamte linke Abwehrseite der Hertha vor dem Torschuss des Mainzers Silvan Widmer geschlafen hatte. Das Resultat bedeutete am Ende jedenfalls, dass die Hertha den Klassenverbleib nicht endgültig sichern konnte und an diesem Samstag in Dortmund (15.30 Uhr) noch einen Punkt benötigt, um der quälenden Relegation gegen den Drittplatzierten der zweiten Liga sicher zu entgehen.

"Wahrscheinlich hat er sich über den Fehler am meisten geärgert", sagte Magath vor der Reise nach Westfalen. Aber: Magath will schon in der Vorwoche den Eindruck gewonnen haben, dass Lotka den Fauxpas bereits im Spiel "gut weggesteckt" habe. Was objektiv betrachtet tatsächlich stimmte - und für die bemerkenswerte Reife einer bemerkenswerten Figur in einer bemerkenswerten Situation sprach. Denn Lotka steckt in einem kuriosen Beziehungsdilemma, seit er Ende Februar bei Hertha etwas überraschend in den Fokus rückte.

Lotkas Empfehlung: acht Einsätze in der Regionalliga

Damals war Tayfun Korkut noch Hertha-Trainer, und als solcher hatte er vor der Visite der Berliner beim SC Freiburg unter anderem auch mit einem neuerlichen Corona-Ausbruch zu kämpfen. Betroffen war damals Herthas eigentliche Nummer eins, Alexander Schwolow, der im Sommer 2020 aus Freiburg nach Berlin gewechselt war. Und Schwolow war seinerzeit nicht der einzige unpässliche Torwart. Der dienstälteste Keeper, der Norweger Rune Jarstein, befand sich noch im Aufbautraining, gleiches galt für den im vergangenen Sommer aus Dänemark für teures Geld geholten Oliver Christensen; die Nummer vier, Nils Körber, war gerade erst wieder ins Training zurückgekehrt.

Blieb also Lotka, der zuvor auf acht Einsätze in der Regionalliga Nordost für die zweite Mannschaft Herthas gekommen war und von dem man nicht mehr wusste als das, was in seiner Vita stand: dass er in Duisburg geboren wurde, vom dortigen Meidericher SV nach Essen und Schalke und schließlich nach Leverkusen gewechselt war, ehe er bei der Hertha unterschrieb - und aufgrund seiner polnischen Wurzeln auch für Polens Nachwuchs-Nationalmannschaften angetreten ist.

Die Partie in Freiburg ging für Hertha verloren. Aber Lotka überraschte nicht nur die Öffentlichkeit, indem er mutig und überzeugend hielt. Wenn man sich die Abfolge der Ereignisse vor Augen führt, überraschte er vor allem auch die Verantwortlichen der Hertha.

Der Keeper steckt zwischen zwei Vereinen

Am Tag nach Lotkas Debüt wartete das Fachmagazin Kicker mit der Meldung auf, der Torwart würde zur neuen Saison die zweite Mannschaft von Borussia Dortmund verstärken, Hertha BSC zog am 1. März auf seiner Homepage nach: "Unser U23-Torwart Marcel Lotka verlässt unseren Hauptstadtclub nach Saisonende und schließt sich zur Spielzeit 2022/23 der zweiten Mannschaft von Borussia Dortmund an." Danach aber änderte die Hertha ihre Meinung - und machte von einer offenbar vertraglich festgeschriebenen Option Gebrauch, die es erlaubte, Lotka doch an die Hertha zu binden.

Lotka selbst war offenbar auch ins Grübeln gekommen. Die Aussicht darauf, in Berlin Karriere zu machen, scheint objektiv verlockender zu sein als der Dienst in der Reserve des BVB. Wie der Disput gelöst wird, ist offen. Weder die Berateragentur noch Borussia Dortmund wollen sich äußern, Herthas Manager Fredi Bobic prognostizierte: "Das wird ein juristisches Ding."

Wie sehr diese Fragen Lotka belasten, ist schwer einzuschätzen. In der Vorwoche hatte Magath noch eine direkte Verbindung zwischen dem Fehler gegen Mainz und der "nicht ganz klaren Vertragssituation" des Torwarts gezogen. "In einer solchen Situation muss oder kann man Verständnis haben, dass er nicht zu hundert Prozent fokussiert ist", hatte Magath gesagt. Ein wenig länger zurück liegt aber ein anderes Urteil Magaths, das von einer "sensationellen Entwicklung" Lotkas kündete - Magath behauptete sogar, der polnische U21-Torwart erinnere ihn in seiner Furchtlosigkeit an den jungen Oliver Kahn: "Er hat den Mut, den Oliver auch gehabt hat."

Lotka ist auch keiner, der sich versteckt. Trotz seiner Jugend zählt er zu den Profis, die auch nach den schlimmsten Partien Gesicht zeigen und mit den Medien reden. Nun steht er in Dortmund, seiner möglichen künftigen Arbeitsstätte, vor der ultimativen Bewährungsprobe, er kann in seinem erst zehnten Bundesligaspiel dazu beitragen, die Hertha in der ersten Liga zu halten. Er muss nur seinen Kasten sauber halten. Wo er dann in der kommenden Saison spielen wird, ist eine ganz andere Frage.

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