Süddeutsche Zeitung

Deutscher Fußball:Kampf der Boomer

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In der unteren Hälfte der ersten Liga und der oberen Hälfte der zweiten Liga versammeln sich gerade Traditionsklubs, die um ihre Stellung im deutschen Profifußball ringen - mit ungewissem Ausgang. Sie alle eint ein Standortnachteil.

Von Christof Kneer, München

Natürlich freuen sich alle wieder auf den Mai. Im Mai werden im Fußball die bedeutenden Pokale überreicht, es wird einen deutschen Meister geben (SZ-Tipp: der FC Bayern), einen deutschen Pokalsieger (SZ-Tipp: nicht der FC Bayern) und einen Gewinner der Champions League (SZ-Tipp: keine Ahnung). Noch haben die großen Spiele aber keine Ahnung von der Konkurrenz, die ihnen zumindest in Deutschland droht. Am 19. und am 23. Mai könnten zwei Partien anstehen, die so viel Straßenfeger-Potenzial besitzen wie die Sechsteiler von Francis Durbridge in den Sechzigerjahren. Zum geregelten Alltag der Republik gehörten damals neben den Fernsehfilmen auch schon jene Klubs, die Ende Mai nun um die Teilhabe an der Bundesliga kämpfen könnten. In den Relegationsspielen zwischen dem Bundesliga-Sechzehnten und dem Zweitliga-Dritten könnte Borussia Mönchengladbach auf Schalke 04 treffen. Oder der VfB Stuttgart auf Werder Bremen. Oder Hertha BSC auf den Hamburger SV.

Es ist zuletzt oft festgestellt worden, dass die halbe erste Liga in einen irren Abstiegskampf verwickelt ist, und nahezu ebenso oft wurde betont, dass die halbe zweite Liga in einem noch irreren Aufstiegskampf steckt. Das stimmt. Am meisten erfährt man aber über den deutschen Klubfußball, wenn man die beiden Geschichten als ein und dieselbe Geschichte begreift. Man trifft in dieser Story nämlich lauter in Film, Funk und Fernsehen lieb gewonnene Gestalten, und als neutraler Zuschauer (falls es so etwas tatsächlich gibt) würde man sich ein Happy End für alle wünschen.

Der HSV und Schalke, Gladbach und Stuttgart: Niemand will zu den alten weißen Männern des deutschen Fußballs gehören

Die Geschichte funktioniert auch deswegen, weil man sich einen aktuellen Gesellschaftsbezug in sie hineindenken darf: Es geht um Betriebe aus den Boomerjahren, die von Millenials herausgefordert werden. Die Start-ups aus Leipzig und Hoffenheim halten in der Tabelle längst jene Plätze besetzt, die Hamburger, Schalker und Gladbacher im Stillen noch immer für sich reklamieren. Die untere Hälfte der Erstliga-Tabelle und die obere Hälfte der Zweitliga-Tabelle bilden den Kampf der Traditionsklubs ab, ihre mit unterschiedlichen Mitteln betriebenen Versuche, sich im Rahmen ihrer Geschichte zu erneuern und nicht zu den alten weißen Männern des deutschen Fußballs gezählt zu werden. Aktueller Kern der Geschichte ist, dass die Traditionsmarken zurzeit an einem Standortnachteil leiden: Die gravierenden finanziellen Einbußen der Coronazeit schlagen bei den Klubs mit großen Stadien und teuren Apparaten besonders durch. Augsburg und Hoffenheim verkraften Geisterspiele besser als Stuttgart und Schalke.

Der Ausgang dieser Geschichte ist mutmaßlich spannender als die Frage, wer Meister wird (SZ-Tipp: siehe oben). Gut möglich, dass Romantiker im Mai ins Schwärmen geraten, wenn Bremen, Schalke und der HSV ihre Aufwärtstrends festigen und in die erste Liga heimkehren. Genauso möglich ist es aber, dass die PR-Abteilungen dann Slogans zur noch besseren besten zweiten Liga aller Zeiten dichten müssen - wenn zu Bremen, Schalke und dem HSV noch Gladbach und Stuttgart dazukommen.

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