Süddeutsche Zeitung

Bundesliga:Abstiegskampf ist ein Fest für Voyeure

Während die Traditionsklubs im Keller mit Spott und Druck klarkommen müssen, können sich Mainz und Augsburg in Ruhe retten - so werden Standort-Nachteile zu Vorteilen.

Kommentar von Philipp Selldorf

Die Bilder aus dem Stadion in Augsburg waren furchterregend. Da standen Männer am Spielfeld, die so aggressiv und entschlossen dreinschauten, als ob sie ein Gewehr im Anschlag hielten und davon jeden Moment Gebrauch machen würden. Dem Schiedsrichter Robert Schröder ist daher Respekt zu zollen, dass er es unter den finsteren Blicken wagte, gegen den einheimischen Spieler Ruben Vargas einen Platzverweis zu verhängen. Schon manchem vom DFB entsandten Sheriff ist in Augsburg der Schreck in die Glieder gefahren, als er den tobenden Manager Stefan Reuter an der Seitenlinie entdeckte. Was die Verteidigung von Grund und Boden und sonstiger privater Interessen betrifft, erinnert der FC Augsburg an den rabiaten Rinderzüchter Chisum im Wilden Westen, der seine Cowboys erst schießen ließ, bevor er verhandelte.

Der raue Augsburger Pioniergeist und Werder Bremens verzweifelte Gegenwehr haben am Samstag Szenen voller Kraft und Farbe geschaffen. Zuschauer waren als Animateure ausnahmsweise nicht nötig, für Menschen, die an dem Duell emotional nicht beteiligt waren, ergab sich auch so ein packendes Schauspiel. Das Drama des Abstiegskampfes ist eben ein Fest für Voyeure, im Grunde sollte es verboten werden: Es fördert die Lust am Gaffen.

Für den Augsburger Manager Reuter, für Präsident Klaus Hofmann und nun auch wieder den Trainer Markus Weinzierl sind diese Aufregungen eine Form von Alltag. Jedes Jahr aufs Neue bewegt sich der Verein am Rande oder mindestens in der Nähe des Abgrundes, noch nie wurde der FCA als Meisterschafts- oder auch nur Europacup-Anwärter genannt (obwohl sie da mal waren). Stattdessen meint jeder Experte jedes Jahr, dass der Klub diesmal wirklich mit dem Abstieg dran sein könnte.

Mainz, Augsburg: Der Nachteil dieser Standorte scheint ihr Vorteil zu sein

Die Wahrheit ist, dass seit dem Einzug der Augsburger 2011 alle möglichen Alt-Meister und Europacup-Sieger dran glauben mussten: Eintracht Frankfurt, der VfB Stuttgart, der 1. FC Köln, der HSV. Dass aber der FCA jedes Mal auf Platz 15, 12 oder 13 ins Ziel gekommen ist. Auch diesmal wird ihm das wieder gelingen, während sich der kürzlich noch riesengroße FC Schalke und womöglich auch der jahrelang als Vorzeigeklub gepriesene SV Werder in die Zweitklassigkeit verabschieden.

Das Phänomen Augsburg gibt es, in einem anderen Biotop, auch in Mainz. 2009 kehrte der FSV 05 aus der zweiten Liga zurück, seitdem ist er ununterbrochen dabei. Das hat mit cleverem Management zu tun und einer für beide Schauplätze typisch renitenten Spielkultur. Vor allem aber mit einem Widerspruch: Der Nachteil dieser Standorte scheint ihr Vorteil zu sein. Sie müssen mit kleineren Budgets auskommen und spielen in kleineren Stadien vor einer kleineren Anhängerschaft. Aber sie müssen auch lediglich kleinere Ansprüche und Bedürfnisse bedienen.

Dass die TV-Stammtische und Leitmedien sich kaum die Mühe machen, über Augsburg und Mainz zu diskutieren, mag ungerecht und respektlos sein. Aber es ist auch nützlich. Im Winter waren es vor allem die Schalker und nicht die gleichermaßen mies platzierten Mainzer, die den öffentlichen Spott und Druck zu spüren bekamen. Die 05er haben derweil in aller Ruhe einen maßgeschneiderten Rettungsplan entworfen, der auch diesmal gepasst hat.

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