Bundesliga:Aachens Hattrick gegen den FC Bayern

Schweinsteiger FC Bayern Stehle Aachen

Bastian Schweinsteiger vom FC Bayern (M.) im Duell mit Aachens Laurentiu Aurelian Reghecampf (l.) und Thomas Stehle.

(Foto: imago/Sven Simon)
  • Vor genau zehn Jahren gewann Alemannia Aachen in der Bundesliga 1:0 gegen den FC Bayern.
  • Inzwischen spielt die Alemannia in der Regionalliga West gegen Teams wie Sprockhövel und Rödinghausen.
  • Thomas Stehle, Alemannia-Profi von 2004 bis 2013, erinnert sich.

Von Christopher Gerards

Der 17. Februar 2007 war ein Tag voller Bilder, Thomas Stehle hat sie kürzlich alle in einem Rückblick gesehen. Sascha Rösler kam vor, der Angreifer von Alemannia Aachen, fast ein ganzes Bundesligaspiel lang stritt er mit Bayerns Torwart Oliver Kahn. Sie rempelten einander an, sie schimpften, sie traten sich auf die Füße. Irgendwann schüttelte Kahn seinen Mitspieler Daniel Van Buyten durch, was schon deshalb eine historische Tat war, weil Van Buyten 1,96 Meter groß ist.

Zwischen all diesen Bildern konnte Stehle auch sich selbst sehen: Wie er, der Aachener Rechtsverteidiger, nach einer Ecke aufs Tor schoss. Wie Kahn zunächst hielt, wie Alexander Klitzpera den Nachschuss versenkte. Und wie der Aufsteiger Alemannia Aachen 1:0 gegen den FC Bayern gewann. Wenn Stehle über dieses Spiel spricht, sagt er: "Damit hatte keiner gerechnet, das war damals nicht anders als heute." Damals. So weit weg fühlt sich das an.

"Die dachten: 'Jetzt spielen wir schon wieder in dieser Bruchbude'"

Alemannias Geschichte ist die Geschichte eines Vereins, der mal eine Art Mainz 05 in Schwarz-Gelb war. Aachen war ein Klub, der sich als Zweitligist ins DFB-Pokal-Finale spielte; der es in den Uefa-Cup schaffte; der in die Bundesliga aufstieg; und der andauernd gegen den FC Bayern gewann, zum Beispiel am 17. Februar. Die Geschichte des Vereins hat seitdem eine radikale Wendung genommen. Diese Geschichte handelt jetzt von einem fast beispiellosen Absturz, von drei Abstiegen, von einer Insolvenz und der Suche nach einer Zukunft. Thomas Stehle, 36, Alemannia-Spieler bis 2013, BWL-Student inzwischen, hat beides erlebt: die guten Zeiten und auch die schlechten.

2004 war er vom 1. FC Nürnberg nach Aachen gewechselt. Rechts hinten spielte Willi Landgraf, vorne Erik Meijer, Dieter Hecking coachte das Team. Ihre Heimspiele trug die Alemannia im alten Tivoli aus, dem amtlich beglaubigten Synonym für "Hexenkessel": 21 000 Zuschauer fanden Platz, die Tribünen standen nah am Spielfeld, der Spielertunnel war so eng, dass man sich anrempelte. Ein Stadion so roh wie eine Landgraf-Grätsche. "Fast jeder Amateurverein hatte bessere Umkleidekabinen als wir", sagt Stehle: "Das war für große Mannschaften schon eine Umstellung. Die dachten: 'Jetzt spielen wir schon wieder in dieser Bruchbude.'"

Große Mannschaften wie der FC Bayern, der in schöner Regelmäßigkeit seine Spiele in Aachen verlor. Februar 2004: Aachen gewinnt 2:1 im Pokal-Viertelfinale, unterlag erst im Endspiel gegen Bremen, schafft es in den Uefa-Cup. Dezember 2006: wieder DFB-Pokal, wieder gewinnt Aachen, diesmal 4:2. Nun also: der 17. Februar 2007, 22. Spieltag in der Bundesliga. Es war der Tag, an dem Aachen eine Art Hattrick gegen die Bayern feierte. Der Tag, an dem der bisher letzte große Erfolg der Vereinsgeschichte gelang.

Stehle, Spitzname: "die Axt", hatte erst sechs Mal gespielt in der Saison, nun startete er als Rechtsverteidiger. "Ich war kein Spieler, der die Linie hoch und runter marschiert ist und dann die Flanken reingeschlagen hat", sagt er, "ich war ein Spieler, der seine Stärken in der Defensive hatte." Er weiß noch, dass Philipp Lahm links hinten bei Bayern verteidigte, auch Bastian Schweinsteiger kam oft vorbei.

Bei der Ecke in der zehnten Minute lief er mit nach vorne, half beim 1:0 mit. Es war nicht so, dass Alemannia herausragend spielte, die SZ schrieb später: "Sie begingen eine solche Masse von Aufbau-, Abspiel- und Organisationsfehlern, dass die Münchner in die trügerische Sicherheit versetzt wurden, die Gastgeber würden ihnen noch viele andere Gelegenheiten bescheren." Taten sie nicht, auch weil Stehle stark verteidigte. Der Kicker gab ihm letztinstanzlich die Note drei, die Aachener Zeitung schrieb, Stehle habe "vielleicht sogar seine stärkste Partie für Aachen" gezeigt.

Oliver Kahn sagte hinterher, es sei schwieriger, in Aachen zu spielen als gegen Real Madrid. Und der Kicker titelte: "Röslers Sorge: Pfiffe für den neuen Stil?" Über solche Sorgen würden sie sich in Aachen heute freuen.

Die Gegner heißen Sprockhövel und Rödinghausen

Große Siege können Mannschaften verwirren, sie können ihr Motivation rauben, sie können ihr ein Ziel nehmen. Aber dieser Sieg der Alemannia bewirkte zunächst mal: nichts. Aachen spielte unentschieden gegen Bochum, gewann gegen Mainz, Cottbus und Bielefeld. Als Neunter trat Aachen am 26. Spieltag in Stuttgart an - und verlor 1:3. "Das hätte nicht passieren müssen", sagt Stehle, es war das Spiel, ab dem sich alles änderte. Aachen begann zu verlieren, ein Spiel nach dem anderen, nur ein 2:2 gegen Wolfsburg gelang noch. Am letzten Spieltag verlor die Alemannia 0:4 gegen Hamburg, und stieg ab.

Stehle gehört nicht zu den Menschen, die sich fragen, was passiert wäre, wenn sie gegen Stuttgart gewonnen hätten. Er sagt: "Es ist zu einfach zu sagen: In diesem und jenem Spiel am Ende hätten wir punkten müssen. Wir haben ja auch in der Hinrunde Punkte liegen lassen. Am Ende hat's halt nicht gereicht. Und dann war es wahrscheinlich auch eine Qualitätsfrage." Das, was folgte, nennt Stehle einen "schleichenden Prozess". Der Abstieg in die zweite Liga. Das neue und wohl viel zu teure Stadion. Der Streit zwischen den Fans, die kippende Stimmung in der Stadt. "Man hat das als Spieler ja auch gemerkt", sagt Stehle, "das Gehalt kam zum Teil später, es rumorte im ganzen Verein. Also: Da hat's auf allen Ebenen gebrannt." 2012 stieg Alemannia in die dritte Liga ab. Kurz danach war der Klub, der 2007 noch den FC Bayern besiegt hatte, insolvent.

"Wenn der Erfolg zurückkommt, dann füllt sich auch wieder das Stadion"

Sein letztes Spiel hat Stehle im Oktober 2012 gemacht, ein 1:1 gegen Wehen Wiesbaden. Eine Verletzung am Ellbogen plagte ihn danach, 2013 lief sein Vertrag aus. Er studiert inzwischen Betriebswirtschaftslehre an der FH Aachen. Bei Alemannias Alten Herren trifft er noch Mitspieler von früher, mit Sascha Rösler ist er weiterhin befreundet. Er hat die jüngsten Nachrichten mitbekommen, er weiß, dass Alemannia schon wieder finanzielle Probleme hat, dass eine Investorengruppe um den Unternehmer Michael Kölmel und den früheren Leverkusener Geschäftsführer Wolfgang Holzhäuser Interesse an einem Einstieg hat.

Es ist eine schwierige Situation für die Alemannia, mal wieder. Der Klub spielt in der Regionalliga West, die Gegner heißen Sprockhövel und Rödinghausen. Wenn man Stehle fragt, wie sich die Stadt verändert hat durch Alemannias Niedergang, sagt er: "Es ist weiterhin so, dass die Alemannia Gesprächsthema ist. Und ich bin mir sicher: Wenn der Erfolg zurückkommt, dann füllt sich auch wieder das Stadion." Es ist ein sehr entscheidendes Wenn. Andererseits: Wer hätte damit gerechnet, dass Alemannia Aachen drei Mal den FC Bayern schlägt?

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