Süddeutsche Zeitung

Bundesliga:Drei Infektionen als Fortschritt

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Nach den positiven Tests beim 1. FC Köln sieht Medizinkommissions-Leiter Tim Meyer keinen Rückschlag für die Startpläne der Bundesliga. Im Gegenteil: Die Fälle, heißt es, würden die Wirksamkeit des Konzepts belegen.

Von Philipp Selldorf, Köln

Als Arzt der deutschen Nationalmannschaft hat es Tim Meyer auf 254 Länderspiele gebracht, nur zwei Einsätze hat er im Laufe von 19 Jahren wegen Kongressverpflichtungen verpasst. Seine Karriere als Fußballer beim ASC Nienburg endete hingegen in der Verbandsliga: Er sei zwar "sehr ambitioniert, technisch und konditionell gut" gewesen, "aber ohne die notwendige Härte", wie er vor ein paar Wochen der Frankfurter Rundschau erzählte.

Im Porträt des 52 Jahre alten Leiters der Bundesliga-Medizinkommission erhob ihn die Zeitung zum derzeit "wahrscheinlich wichtigsten Mann im deutschen Fußball" - eine Vorhersage, die am Wochenende bestätigt wurde. Zumindest war Meyer, Sportarzt und Sportwissenschaftler an der Universität Saarbrücken, der gefragteste Mann im deutschen Fußball. Die DFL entsandte ihn in die Medienöffentlichkeit, um in der hocherregten Stimmung ihrer Sache eine Stimme der Vernunft zu geben.

Das Wochenende begann ja am Freitagabend mit einer Mitteilung des 1. FC Köln über die Ergebnisse der Covid-19-Tests, die am Donnerstag an der Lizenzspielermannschaft sowie dem Trainer- und Betreuerstab vorgenommen worden waren. Die Untersuchung durch das Kölner Labor Wisplinghoff - einen der fünf DFL-Vertragspartner für Testanalysen - brachte drei positive Resultate hervor, berührt sind zwei Spieler und ein Physiotherapeut. Namen wollte der Klub mit Rücksicht auf die Privatsphäre der Betroffenen nicht nennen, alle drei seien "symptomfrei". Die lokalen Medien, und nicht nur die, werteten den Vorgang zunächst als schweren Rückschlag für den Plan des Profifußballs, in einigen Wochen hinter geschlossenen Türen die Saison zu Ende zu bringen.

Meyer, der mit seiner Expertenkommission das Sicherheitskonzept für die Fortsetzung des Spielbetriebs verantwortet, vertritt die gegenteilige Auffassung, wie er in mehreren Interviews erläuterte. Er sieht keinen Rückschlag, sondern sogar einen Fortschritt für das umkämpfte Projekt - eine Art Praxisbewährung. Dass die erste Testrunde, die am Donnerstag und Freitag in den 36 Vereinen der ersten und zweiten Liga stattfand, Corona-Fälle ans Licht bringen werde, damit habe man gerechnet, schon aus statistischen Gründen. Es handele sich um "eine Widerspiegelung der Verhältnisse in Deutschland".

Meyer sprach von insgesamt 1500 bis 2000 Tests in den Vereinen: "Wir haben einige positive Testfälle erwartet", sagte der Professor, daraus ergäben sich jedoch "keinerlei negative Auswirkungen auf die Bewertung des Konzeptes: Wir wollten betroffene Personen finden, um sie auszuschließen. Das ist in Köln geschehen". Damit sei ein erstes Teilziel auf dem Weg zum Spielbetrieb erreicht, zumal das örtliche Gesundheitsamt nur für die drei Betroffenen eine 14-tägige Quarantäne anordnete. Das Kölner Training darf ab Montag mit Erlaubnis der Behörde fortgesetzt werden.

Die Ergebnisse aus den übrigen Klubs lagen der Liga und der Medizinkommission am Sonntag noch nicht vollständig vor. Verschiedene Klubs (Eintracht Frankfurt, Bayer Leverkusen, Werder Bremen, Union Berlin, Hertha BSC, Schalke, Hannover) meldeten, bei ihnen habe es keine positiven Tests gegeben. Beim VfB Stuttgart blieb eine der Proben ohne eindeutigen Ausgang: "Bei einer getesteten Person liegt ein unklarer Befund vor. Es gibt aber keinen spezifischen COV-2-Virus-Nachweis", teilte der VfB dem sid mit: "Der Betroffene, der keine Symptome aufweist, ist prophylaktisch in häuslicher Quarantäne, weitere Tests werden folgen." Die zweite Testrunde im Profifußball soll zu Wochenbeginn starten.

Maßgebend für den Umgang mit positiven Tests ist jeweils das örtliche Gesundheitsamt. Dass die Behörde in Köln nach Anhörung der Beteiligten und weiteren Untersuchungen lediglich die drei Betroffenen in Quarantäne schickte, liegt daran, dass die übrigen Angehörigen ihrer Trainingsgruppe nicht als Kontaktpersonen ersten Ranges (im Sinne der Definition des Robert-Koch-Instituts) eingestuft wurden. Der Kölner Profikader arbeitet seit knapp zwei Wochen zweigeteilt und unabhängig voneinander auf dem FC-Gelände.

Der Kölner Geschäftsführer Alexander Wehrle bezeichnete den Entscheid der Behörde als "ganz wichtige Botschaft". Das Amt habe anerkannt, dass das Sicherheitskonzept "tragfähig" sei. Tim Meyer betonte, der Beschluss weiche nicht von der allgemeinen Praxis ab und stelle keine Sonderbehandlung für die Fußballbranche dar: "Die Kontakte (der Betroffenen) wurden ermittelt und nach ihrem Risikograd klassifiziert. Das wäre in jeder Schule so, in jeder Firma und in jedem Betrieb." Der Kölner Mannschaftsarzt Paul Klein ergänzte: "Die sogenannte häusliche Absonderung ist nur für Personen der Kategorie 1 vorgesehen. Nicht wir, sondern das Gesundheitsamt bewertet, auf wen das zutrifft."

Bis die Meldungen aus Köln eintrafen, hatte man bei der DFL damit gerechnet, beim nächsten Bund-Länder-Gipfel am Mittwoch die Erlaubnis zur Fortsetzung der Saison zu erhalten, entweder ab Mitte oder Ende Mai. Die Sportminister der Länder und das Bundesarbeitsministerium hatten das umfangreiche Sicherheitskonzept als praxistauglich eingeschätzt.

Es gehe um eine "medizinisch vertretbare und sehr hohe Sicherheit"

Ob sich daran nun etwas geändert hat, hängt davon ab, ob die Politiker weiterhin bereit sind, der geduldigen Argumentation von Professor Meyer zu folgen - oder ob sie auf Kritiker wie den SPD-Mann Karl Lauterbach hören. Dieser hatte am Samstag zügig verbreitet, die Kölner Fälle zeigten das Versagen des Konzepts an, die Wiederaufnahme der Spiele sei "unverantwortlich". Darauf angesprochen, reagierte Meyer gelassen: "Wenn sich hier ein Kritiker bestätigt fühlt, hat er völlig unrealistische Erwartungen." Man könne das Konzept noch nicht beurteilen, dies sei erst in einigen Wochen möglich, wenn es wieder Mannschaftstraining gebe und weitere flächendeckende Tests stattgefunden haben.

Problematisch werde es dann, wenn die Tests "immer wieder größere Zahlen" von Infizierten anzeigten. Das zuletzt mehrfach überarbeitete Konzept hält jedoch allerlei Vorkehrungen bereit, um das Risiko von Erkrankungen beim Fußballpersonal immer mehr zu minimieren. Außer der ständigen Selbstdisziplin der Beteiligten gehört dazu auch der Plan, die Mannschaften vor dem ersten Neustart-Spieltag in Hotels oder Trainingszentren zusammenzuziehen und vor der Außenwelt quasi abzuschirmen. Ein Restrisiko werde dennoch bleiben, sagt Tim Meyer: "Das will ich auch gar nicht in Abrede stellen. Es geht eben nicht um hundert Prozent Sicherheit, sondern um eine medizinisch vertretbare und sehr hohe Sicherheit."

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Quelle:
SZ vom 04.05.2020
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