Bulgarien - England:"Was für eine enttäuschende Nacht"

Respect from Gareth Southgate manager of England for Marcus Rashford of England as he is substituted during the UEFA EUR

„Niemand sollte erleben, was unsere Spieler durchmachen mussten“: Englands Nationaltrainer Gareth Southgate tröstet Marcus Rashford.

(Foto: David Klein/imago)

Affenlaute und Hitlergruß im Stadion von Sofia: Weil bulgarische Zuschauer englische Spieler rassistisch beleidigen, steht die Qualifikationspartie mehrmals kurz vor dem Abbruch.

Von Sven Haist, Sofia/London

Etwa 50 bulgarische Ultras eilten kurz vor der Pause aus dem Wassil-Lewski-Nationalstadion von Sofia, auf Drängen der örtlichen Polizei, und wohl aus Sorge, bei einem Spielabbruch einzeln ausfindig gemacht zu werden. Vermummt bis aufs Gesicht, mit schwarzen Kapuzenpullis, auf denen "Hooligans von Sofia" stand. Zuvor hatten sie und andere Zuschauer mit Verunglimpfungen der schwarzen Spieler der englischen Nationalelf - Tyrone Mings, Raheem Sterling und Marcus Rashford - für einen Eklat gesorgt.

"Was für eine enttäuschende Nacht, vermutlich eine der entsetzlichsten, die ich erlebt habe", sagte der englische Verbandschef Greg Clarke nach dem Spiel, das England 6:0 gewonnen hatte, was die Teilnahme an der EM 2020 so gut wie garantiert.

Zum ersten Mal wurde der vom europäischen Verband Uefa vor zehn Jahren ausgearbeitete Dreistufenplan zum Umgang mit Diskriminierung während eines Länderspiels in die Tat umgesetzt. Trotz fremdenfeindlicher Rufe, die schon beim Aufwärmen begonnen hatten, vergingen 26 Minuten, bis sich Tyrone Mings bei seinem Länderspieldebüt für England gegen die andauernden Affenlaute zur Wehr setzte. "Did you hear that?", klagte er in Richtung Schiedsrichterassistent: "Haben Sie das gehört?" Dem Protokoll folgend wurde per Durchsage dazu aufgerufen, die rassistischen Äußerungen zu unterlassen. Der Appell, teils bedacht mit Buhrufen und Hitlergruß, blieb allerdings wirkungslos.

Eine Viertelstunde später unterbrach der kroatische Referee Ivan Bebek die Partie erneut, um den englischen Coach Gareth Southgate zu fragen, ob er seine Elf als letzte Warnung für die Zuschauer für eine Weile vom Platz nehmen möchte. England entschloss sich, den ersten Durchgang fortzusetzen - dafür ergriffen die Hauptübeltäter die Flucht. Sonst hätte es nicht mehr lange gedauert, bis das EM-Qualifikationsspiel abgebrochen worden wäre.

"Niemand sollte erleben, was unsere Spieler durchmachen mussten", sagte Southgate: "Wir haben uns ans Protokoll gehalten. Einerseits haben wir den Fußball für uns reden lassen, andererseits haben wir zweimal das Spiel gestoppt. Das dürfte für manche Leute nicht genug sein, aber wir sind in der unmöglichen Situation, dass wir es nicht jedem recht machen können." Im Kabinentrakt stimmten die Uefa-Delegierten in der Pause mit Englands Vertretern das Vorgehen für die zweite Halbzeit ab. Draußen bekniete derweil Bulgariens Kapitän Iwelin Popow seine Landsleute, zur Besinnung zu kommen. Letztlich gelang es, die Partie ohne weitere Unterbrechung über die Bühne zu kriegen - weil einzelne weitere rassistische Rufe behandelt wurden, als wären sie gar nicht passiert.

"Wir haben mit unserem Verhalten ein riesiges Statement gesetzt", fand Southgate. Jetzt kümmert sich die Disziplinarkommission des europäischen Verbandes um den Fall; sie hat bereits Anklage erhoben. In einem Schreiben von Uefa-Präsident Aleksander Ceferin am Dienstag hieß es: "Die Uefa ist bestrebt, alles Erdenkliche zu tun, um diese Krankheit aus dem Fußball zu verdrängen. Wir dürfen niemals zufrieden sein und müssen unsere Entschlossenheit stärken." Zugleich forderte er mehr Unterstützung von Regierungen und Nichtregierungsorganisationen ein.

In Bulgarien offenbarte sich das Rassismus-Problem ja nicht zum ersten Mal. Bereits 2011 wurde eine EM-Qualifikationspartie gegen England von Rassismus überschattet; damals gab es eine Geldstrafe von 40 000 Euro. Nach Beleidigungen gegen den dänischen Spieler Patrick Mtiliga musste Bulgarien zwei Jahre später eine weitere Strafe zahlen und ein WM-Qualifikationsspiel unter Ausschluss der Öffentlichkeit austragen. Kürzlich im Duell mit Kosovo zogen rassistische Parolen einen Teilausschluss der Zuschauer nach sich - für das Aufeinandertreffen mit England.

Die Überforderung des bulgarischen Verbands zeigte am Montagabend Nationaltrainer Krassimir Balakow, einst Spielmacher beim VfB Stuttgart, indem er nach dem Spiel allen Ernstes behauptete, die rassistischen Äußerungen "nicht gehört" zu haben. Verbandspräsident Boris Michajlow wiederum trat am Dienstag zurück. Wenige Stunden nach der Partie hatte es ja in der Geschäftsstelle des bulgarischen Verbandes in Sofia eine Razzia gegeben von Polizei, einer Spezialeinheit gegen organisiertes Verbrechen sowie der Steuerbehörde; das bestätigte Ministerpräsident Bojko Borisow. Lokale Medien berichteten, die Razzia sei Folge einer monatelangen Untersuchung gegen die Schiedsrichter-Kommission des Verbandes. Borisow sagte: "Was sie hier tun - Gesetze nicht befolgen, Spiele manipulieren und Schiedsrichter zu ausgewählten Spielen schicken - werden wir nicht mehr hinnehmen." Auch die Vorfälle im Stadion kritisierte der Regierungschef: "Es ist unzulässig, dass Bulgarien, das einer der tolerantesten Staaten der Welt ist, wo Menschen unterschiedlicher Ethnien und Religionen in Frieden leben, mit Rassismus und Fremdenhass verbunden wird." Sportminister Krassen Kralew hatte mit einer Streichung von Geldern gedroht, falls Michajlow im Amt geblieben wäre.

Schon vor der Partie hatte sich die Stimmung hochgeschaukelt. Die Engländer taten öffentlich kund, bei rassistischen Vorfällen das Feld zu verlassen. Erst jüngst bei der Partie in Montenegro waren schwarze englische Spieler mit Anfeindungen konfrontiert worden. Michajlow hatte als Antwort an die Uefa geschrieben, die lokalen Zuschauer seien zu Unrecht in einen Bezug zu Rassismus gestellt worden. Noch einen Schritt weiter ging Trainer Balakow, der in England "ein größeres Problem mit Rassismus" sehen wollte als im eigenen Land.

Angesichts der Gemengelage war es bemerkenswert, wie die englischen Spieler reagierten und die Ruhe bewahrten. "Wir haben eine großartige Reaktion und ein großes Miteinander gezeigt", schrieb Mings auf Twitter: "Letztlich haben wir den Fußball sprechen lassen."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: