Emanuel Buchmann:Für die langen Pässe in dünner Luft

Emanuel Buchmann

Mag die Berge: Emanuel Buchmann bei der Tour de Romandie 2018.

(Foto: dpa)
  • Kein Philosoph, kein Freigeist, kein Kannibale: Emanuel Buchmann fährt einfach nur gut Rad.
  • Derzeit ist er Fünfter in der Tour-Gesamtwertung.
  • Bei den folgenden Bergetappen der Tour de France könnte er zum großen Aufsteiger werden.

Von Johannes Knuth, Toulouse

Maximilian Schachmann war ein wenig ratlos. Er wolle ja immer sein Bestes geben, beteuerte der 25 Jahre alte Berliner, aber am Ende sei es nun mal so: Er habe alle Fragen nach bestem Gewissen beantwortet, mehr könne er nicht tun - als wolle er sich fast entschuldigen dafür, dass er nicht noch etwas mehr über diesen Emanuel Buchmann erzählen kann, seinen Zimmerkollegen, der in diesen Tagen so eindrucksvoll durch Frankreich strampelt.

Buchmann lässt ja lieber andere sprechen, über sich und überhaupt. Gespräche mit ihm über Dinge jenseits des Radsports muss man fast mit der Vehemenz eines Ermittlers führen, man konnte das jetzt erst wieder beim ersten Ruhetag der Tour de France bezeugen. Nachdem die Teamkollegen, der Teamchef und der Fahrer selbst einvernommen worden waren, stand immerhin fest: Buchmann wird auch mal forscher, wenn er sich im Kokon des Teambusses bewegt, auf dem Zimmer rede man vor allem übers Rennen, bestätigte der Zimmerkollege Schachmann. Und schnarchen tue Buchmann auch nicht, nur neulich ganz kurz, aber da habe er sich sofort umgedreht und wieder aufgehört.

Es reicht ihm, im Wettkampf was zu bewirken

Manchen Athleten ist es durchaus wichtig, wie sie in der Öffentlichkeit wirken, manchen reicht es, dass sie im Wettkampf was bewirken. Buchmann zählt zweifellos zu letzterer Spezies. Er ist derzeit Fünfter in der Gesamtwertung der 106. Frankreich-Rundfahrt, bei der die Favoriten in der ersten Hälfte schon einige scharfe Klippen umschiffen mussten; auf der Flachetappe am Mittwoch behauptete er seine Position. Und es ist durchaus möglich, sagen sie in Buchmanns Team Bora-Hansgrohe, dass er diese exponierte Stellung bis zum Finale in Paris behaupten kann, bei seiner vierten Tour. Das weckt natürlich Erinnerungen an ferne Tage, in denen Radsport-Deutschland stundenlang in abgedunkelten Wohnzimmern hockte, um seine Heroen über Alpen- und Pyrenäenpässe zu gucken, auch wenn das Reminiszenzen mit Sauergeschmack sind: Andreas Klöden war der vorerst letzte Deutsche, der es im Tour-Klassement unter die besten Fünf schaffte, 2006 war das, Jan Ullrich war gerade als Kunde des Blutpanschers Eufemiano Fuentes aufgeflogen. Aber jetzt sei ja vieles besser, so gehen zumindest viele Erzählungen im Peloton. Und natürlich will man nun wissen, wer diese neue deutsche Begabung fürs große Ganze ist - was schon deshalb spannend ist, weil Buchmann als Letzter jene Aufmerksamkeit mag, die er mit jedem Tag ein wenig mehr auf sich zieht.

Die besten deutschen Tour-Fahrer seit den Siebzigern

Etappensieger

14 Etappen: Marcel Kittel (zwischen 2013 und 2017)

12: Erik Zabel (1995 - 2002)

11: André Greipel (2011 - 2016)

8: Rudi Altig (1962 - 1969)

7: Jan Ullrich (1996 - 2003)

6: Dietrich Thurau (1977 - 1979)

5: Tony Martin (2011 - 2015)

Fahrer im Gelben Trikot

1977: Dietrich Thurau (15)

1978: Klaus-Peter Thaler (2)

1997: Jan Ullrich (12)

1998: Jan Ullrich (6)

1998: Erik Zabel (1)

2001: Jens Voigt (1)

2002: Erik Zabel (1)

2005: Jens Voigt (1)

2007: Linus Gerdemann (1)

2013: Marcel Kittel (1)

2014: Marcel Kittel (1)

2015: Tony Martin (3)

Buchmann ist kein Jan Ullrich, der als Kind einst in einen Topf voller Talent plumpste, er ist kein Kannibale wie Eddy Merckx und schon gar kein Freigeist wie sein Teamkollege Peter Sagan, der TV-Reporterinnen schon mal erzählte, dass seine Kraft auf dem Rad sich aus seinen Lenden speise. Er ist in Ravensburg aufgewachsen, was man daran hört, wenn Buchmann ausführt, was man im Radsport alles "inveschtieren" müsse. Ansonsten sagt er recht oft, dass er es mag, "wenn ich meine Ruhe habe". Er habe auch nie vom Gelben Trikot geträumt, dem Hauptgewinn seines Sports, und sein Aufstieg, "der hat sich halt so über die Jahre entwickelt". Wobei Buchmann schon mit einer besonderen Begabung gesegnet sei, hat Enrico Poitschke einmal gesagt, sein Sportdirektor: Der 26-Jährige könne während einer dreiwöchigen Rundfahrt schnell regenerieren und immer wieder Höchstleistungen erschaffen, mit 60 Kilo Kampfgewicht bei 1,80 Metern: "Solche Fahrer haben wir nicht oft in Deutschland." Und Buchmann habe dieses Potenzial nach und nach gehoben, er arbeite gewissenhaft im Training, verfüge über eine "üble Disziplin", wie Teamchef Ralph Denk findet, "der schläft schon schlecht ein, wenn er mal ein Eis isst". Und im Rennen, da verhalte er sich clever, oft im Schatten der Besten, aggressiv nur, wenn es sein muss. Er ist einer, der meist so fährt, wie er ist.

"Er hat sich gewaltig entwickelt"

Schlecht muss das jedenfalls nicht sein, schon gar nicht in diesem Jahr, in dem die Tour noch fiebriger hin und her wiegt als ohnehin. Auf der sechsten Etappe etwa, als mancher Mitfavorit in der irren Steigung nach La Planche des Belles Filles auf dem Fahrrad wankte, als hätte er zu viel von dem in den Vogesen bekannten Kirschlikör gekostet - Buchmann behauptete sich souverän bei den Tagesbesten. Oder am Montag, als manche Kontrahenten vom Seitenwind überrascht und vom Hauptfeld abgeschnitten wurden, wie Frankreichs Hoffnung Thibaut Pinot, dem das Sportmagazin L'Équipe empfahl, er solle zur Frustbewältigung doch das Waschbecken im Badezimmer rausreißen - auch da navigierte Buchmann sicher ins Ziel. Eine "super Ausgangslage" sei sein fünfter Platz, befand er anschließend, aber "jetzt geht die Tour ja erst so richtig los". Und selbst im Frustfall ist er eher keiner, der ein Waschbecken oder die Hotelfassade demolieren würde.

Und doch habe er sich ganz schön verändert, sagen sie im Team. Schon verglichen mit der Tour 2017, die in Düsseldorf begann und vor der Teamchef Denk sagte: "Wenn ich ihn da als Tour-Leader hinstelle, zerbricht er". Als Buchmann im Vorjahr einen neuen Kontrakt mit Denk aushandelte, tat er das alleine, er beschäftigt bis heute keinen Manager. "Das war in einer souveränen Art und Weise", erinnert sich Denk, da habe er dem Fahrer später gratuliert. Buchmann trete auch immer stabiler in den wichtigen Rundfahrten auf, wurde bei der stark besetzten Tour-Generalprobe, der Dauphiné, zuletzt Dritter. "Er hat sich gewaltig entwickelt", sagte Tour-Vorjahressieger Geraint Thomas, der gerade als einer der wenigen Favoriten vor Buchmann rangiert. Und dessen Stärke kommt ja erst noch: die langen Pässe in der dünnen Luft der Pyrenäen und Alpen, die ab Donnerstag anstehen und die die Fahrer diesmal bis auf 2642 Meter führen. Oder auf den berüchtigten Tourmalet an diesem Samstag.

Noch lauern unzählige Fallen, die alle Ambitionen zertrümmern können; noch hat Buchmann nicht bewiesen, dass er drei Wochen auf höchstem Niveau fahren kann. Sein bester Ertrag in Frankreich ist bislang ein 15. Platz (2017), vor einem Jahr fiel er bei der Vuelta in der letzten Woche noch auf Rang zwölf zurück. Und nicht wenige Begabungen sind an den Spielregeln für Klassementfahrer irgendwann zerbrochen - Dominik Nerz etwa, bis vor drei Jahren Buchmanns Teamkollege bei Bora, hat zuletzt einiges darüber in einem Buch erzählt: über den Druck, die Stürze, die Entbehrungen, das Hungern.

Buchmanns behutsamer, gewissenhafter Aufstieg wirkt da zumindest nicht unvernünftig, auch mit Blick auf das vergiftete Erbe seiner Vorfahren: "Ich spüre da keinen Druck oder will in irgendwelche Fußstapfen treten", sagte er in Toulouse, angesprochen auf die dopingumwitterten Leistungen von Ullrich und Co. Dann fügt er an: "Ich versuche mein Rennen zu fahren." Das ist in der dünnen Höhenluft, an der Spitze des Gesamtklassements ja schon kompliziert genug.

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