Süddeutsche Zeitung

Buch über Ex-Bayern-Trainer Guardiola:"Angst ist der beste Ansporn"

Autor Martí Perarnau gibt Einblicke in die Arbeitsweise von Pep Guardiola: Warum er Bayern nach drei Jahren verließ, wieso es für ihn keine leichten Spiele gibt - und Ancelotti einen sehr schweren Job hat.

Von Thomas Hummel

Señor Perarnau, können Sie verstehen, wenn Leute sagen, Pep Guardiola sei ein wunderlicher Typ? "Ja, absolut. Er ist ein seltsamer Trainer. Auch in privaten Gesprächen ist er manchmal so."

Der seltsame Pep Guardiola hat München vor sieben Monaten verlassen. Drei Jahre war er in der Stadt als Trainer des ruhmreichen FC Bayern, drei lange und intensive Jahre. Dennoch kommt im Nachklang der Gedanke auf, ein Geist wäre erschienen. Ein katalanischer Fußballgeist, der engagiert am Spielfeldrand Anweisungen gab, bis die Hose platzte. Der mit gutem Deutsch kam und mit mittelgutem Deutsch verschwand. Der seiner Mannschaft einen Stil beibrachte, den man hierzulande noch nie gesehen hatte. Der fachlich weitreichende Wirkung im Fußballland entfaltete. Aber als Mensch?

Der Mensch Pep Guardiola blieb vielen verborgen in München. Er gab nie tiefergehende Interviews, ließ sich auch sonst kaum blicken in der Öffentlichkeit. Insofern stößt Señor Martí Perarnau in eine Marktlücke.

Biograf Perarnau saß oft an Guardiolas Küchentisch

Perarnau gilt als einziger Publizist, der Guardiola und seinem Tross nahekam in den vergangenen Jahren. Der 61-Jährige aus Barcelona besuchte den Landsmann bei dessen Ausflug nach Alemania sehr oft, saß mit ihm zu Hause am Küchentisch, kam in den Kabinentrakt, sprach mit Spielern und Vertrauten. Kürzlich hat er das zweite Buch über die Münchner Jahre veröffentlicht mit dem Titel "Pep Guardiola - das Deutschland-Tagebuch".

Wer dem Rätsel Pep Guardiola näher kommen möchte, der spricht mit Martí Perarnau.

"Deutschland war ein Segen für ihn", sagt der Autor über seine Hauptfigur. Perarnau glaubt, dass Guardiola in München erst erwachsen geworden sei, zumindest im beruflichen Sinne. "Zuhause in Barcelona war es schwierig, die eigenen Unzulänglichkeiten zu erkennen, in München sah er seine Fehler." Das müssen einige gewesen sein. Denn hat man je einen so fleißigen, akribischen Charakter gesehen?

Die Leser des Buches sollten einigermaßen Bescheid wissen über den Werdegang des FC Bayern. Und sie sollten sich festhalten - es geht ziemlich wild hin und her zwischen Peps Charakter, taktischen Erkenntnissen und wichtigen Spielen. Perarnaus Buch hat sich seinem Protagonisten angepasst: Am Anfang ist das Chaos, doch bis zum Schluss werden einige Dinge so oft wiederholt, dass ein Ergebnis feststeht. In diesem Falle die Erkenntnis, dass Guardiola tatsächlich dieser unruhige, selbstoptimierte Perfektionist ist, den man in diesem Trainer vermutet. Da war offenbar wirklich nichts gespielt.

Zitate von Guardiola im Buch: "Angst ist der beste Ansporn, den es gibt. Du kannst nicht spielen, wenn du keine Angst vor dem Gegner hast. Aber diese Angst darf dich nicht lähmen, sie muss dafür sorgen, dass du deine Kräfte mobilisierst."

"Nicht Entspannung, sondern innere Unruhe sorgt für körperliche Ausgeglichenheit. Deshalb muss man immer unter Strom stehen. Deshalb muss ein Trainer versuchen, dass die Spieler sich nie entspannen und abschlaffen."

"Es ist überall das Gleiche. Entweder du gewinnst, oder sie machen dich fertig. Da hilft nur siegen. Der Arbeit des Trainers wird nicht der geringste Respekt gezollt."

Und ein Dutzend Mal der Satz: "Wir dürfen nicht nachlassen."

Perarnau schreibt, dass sich Guardiola auf Benfica Lissabon, Gegner im Champions-League-Viertelfinale, zwölf Tage lang per Videostudium vorbereitete. Doch auch Darmstadt 98 oder der FC Nöttingen werden vorher begutachtet. "Pep glaubt: Wenn du gegen einen Zweitligisten spielst und nicht 100 Prozent bringst, kann der Gegner ein blödes Tor schießen. Es ist ähnlich für ihn, gegen Barcelona zu spielen als gegen Crystal Palace. Es gibt kein Freundschaftsspiel oder ein leichtes Spiel. Nie!"

Nach drei Jahren den Kader komplett austauschen - oder selbst gehen

Der FC Bayern wollte diesen Trainer, der weder sich noch seinem Team jemals eine Pause gönnte, gerne länger bei sich haben. Doch eigentlich war nie von einem vierten Jahr die Rede gewesen. Weil sein viertes Jahr in Barcelona sehr mäßig verlaufen war, glaubt er selbst an die natürliche Grenze für seine Arbeit an einem Ort. Weil er keine Ruhe gibt, "ist es sehr schwierig, mehr als drei Jahre bei einem Verein zu sein. Es sei denn, man wechselt den Kader komplett aus. Wir bringen uns gegenseitig an den Rand der Erschöpfung, weil wir alles geben. Am Ende werden wir völlig fertig sein, unfähig weiterzumachen."

Womit man bei Carlo Ancelotti wäre. Dem Italiener fällt ja nun die Aufgabe zu, Guardiolas Erbe zu verwalten und fortzuführen. Längst läuft beim FC Bayern nicht mehr alles so geschmiert wie in der vergangenen Saison. Und nach der Lektüre von Perarnaus Buch verwundert das auch nicht. Drei Jahre mussten die Spieler in jeder Minute alles geben, erhielten genaueste Anweisungen und mussten selbst beim Tabellenletzten immer hellwach sein - das schlaucht. Perarnau zitiert den italienischen Vordenker Arrigo Sacchi: "Jeder Trainer, der Guardiola ersetzt, hat ein Problem: Er kann nicht besser sein als er. Er hat aber auch einen Vorteil: Er kann sich an den gedeckten Tisch setzen."

Mit 15 Koffern, 87 Umzugskartons und einer Erkenntnis nach Manchester

Pep Guardiola ist nun in Manchester, 15 Koffer und 87 Umzugskartons sind mitgeflogen. Martí Perarnau ist wieder bei fast jedem Spiel dabei. Erlebt England denselben Guardiola, getrieben und niemals nachlassend? Gewiss. Auch Fragen von Journalisten nerven ihn wie eh und je. Nur eines habe Guardiola verändert: "Er hat in München verstanden, dass er näher zu den Leuten muss. In Manchester versucht er, ein bisschen emotionaler zu werden mit Spielern und Fans", erzählt Perarnau. Guardiola sei eben sehr scheu, das musste er erst lernen. Oder wie es der Trainer im Buch einmal erklärt, offenbar in einem Anflug von Sentimentalität: "Mir geht es nicht um Titel. Mir geht es darum, dass ich die Leute mag und die Leute mich mögen."

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Quelle:
SZ vom 20.11.2016
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