Schiedsrichter Brych:Einmal noch Messi sehen

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Sagt manchmal auch Lionel Messi (links), was er zu lassen hat: Schiedsrichter Felix Brych in einer von über 50 Champions-League-Partien.

(Foto: Nick Potts/imago)
  • Beim Spiel Neapel gegen Barcelona stellt Schiedsrichter Felix Brych einen Rekord auf: Noch nie hat ein Referee so viele Champions-League-Spiele geleitet wie er - nämlich 57.
  • Seine Premiere in der Königsklasse erlebte Brych 2008 - seither haben sich die Anforderungen an Referees stark verändert.

Von Christof Kneer

Felix Brych könnte an diesem Dienstag wahrscheinlich die Mannschaftssitzung beim SSC Neapel leiten. Er könnte die grundsätzliche Spielanlage des FC Barcelona erklären, und womöglich hätte er auch noch ein paar brandheiße Details parat. Wo beginnt die Pressingzone, wer schlägt die Flanken aus dem Halbfeld, und wenn ja, wie viele und in welchen Farben? Und falls jemand solche Flanken schlägt: Gibt es einen Stürmer, der sich dann bewusst ins Abseits schleicht und in letzter Sekunde wieder rausrennt? Oder einen Stürmer, der seinen Abwehrspieler im Moment der Flanke absichtlich wegblockt?

Felix Brych weiß das alles.

Wenn beide Teams sich zeitlich absprechen, könnte Brych anschließend noch in die Kabine des FC Barcelona gehen und dort sein Geheimwissen über den SSC Neapel unterbringen. Spielen die Italiener Pressing? Begehen sie taktische Fouls, wenn sie ein Duell verlieren? Falls ja: Welche Spieler sind das, oder ist es immer derselbe?

Okay, die Antwort auf die letzte Frage interessiert die Spieler des FC Barcelona vermutlich weniger. Die Antwort interessiert vor allem Felix Brych, den Schiedsrichter des Hinspiels SSC Neapel gegen FC Barcelona im Achtelfinale der Champions League.

Brych, 44, promovierter Jurist aus München, gilt seit Jahren als Deutschlands bester Schiedsrichter, er hat Spiele bei Welt- und Europameisterschaften gepfiffen, Europa- und Champions-League-Endspiele geleitet, und einmal hat er Stefan Kießling ein Tor gegeben, das keines war, weil der Ball von außen durch ein Loch ins Netz geflogen ist. Das Phantomtor, lange her. Am Dienstag wird Brych die Netze im Stadion San Paolo gewissenhaft prüfen, nicht wegen Kießling, er macht das immer so, und dann wird er mit noch heiligerem Ernst als sonst zum Mittelkreis schreiten und Kapitän Lionel Messi die Hand schütteln.

Cool wär', wenn Messi sagen würde: Congratulations, Mr. Brych! Aber man kann vom weltbesten Fußballer tendenziell nicht erwarten, dass er das weiß: dass Brych am Dienstag sein 57. Champions-League-Spiele leiten und einen Rekord aufstellen wird. Der Däne Kim Milton Nielsen, längst emeritiert, steht bei 56 Spielen, auch wenn unterschiedliche Statistiken im Umlauf sind. Nach der offiziell gültigen ist Felix Brych von diesem Dienstag an Champions-League-Rekordschiedsrichter.

"Ich muss bei diesem hohen Tempo viel mehr antizipieren als früher", sagt Brych

Es gab schon immer Schiedsrichterkarrieren, die ein Jahrzehnt oder länger dauerten, aber so wie es aussieht, hat Brych sich das dynamischste Jahrzehnt ausgesucht. Als er 2008 sein erstes Champions-League-Spiel pfiff - Liverpool gegen Eindhoven -, war er kurzfristig für einen Kollegen eingesprungen, er hat sich schnell zwei Assistenten besorgt und seinen Münchner Kumpel Günter Perl gebeten, ihm den vierten Offiziellen zu machen. In der Bundesliga gab es noch keine Headsets, in der Champions League hätte Brych eines gebraucht, aber weil keines aufzutreiben war, hat er halt ohne gepfiffen. Ging auch. Und dass Eindhovens Trainer schimpfte, hatte mit dem fehlenden Headset wenig zu tun. Es lag eher daran, dass der Trainer Huub Stevens war.

Zwölf Jahre später ist Brych nicht nur mit Headset, Freistoßspray sowie mehreren kalibrierten Linien bewaffnet; er weiß nun eben auch, welcher Spieler bei welcher Elf in welcher Situation welches Kommando gibt. An diesem Montag, am Tag vor Spiel in Neapel, hat er sich per Skype-Call wieder mit Cristiano Ciardelli zusammengeschaltet, einem ehemaligen Trainer aus dem Stab des berühmten Marcello Lippi. Ciardelli analysiert Spiele für die Uefa, und in sein Ressort fällt es auch, die Champions-League-Schiedsrichter zu coachen. Er sagt ihnen zum Beispiel, auf welchen Spieler sie bei Eckbällen achten müssen, weil dieser Spieler den Gegenspieler wegblockt.

"Der Fußball 2020 ist viel schneller und viel athletischer als der von 2008", sagt Felix Brych, "für uns Schiedsrichter bedeutet das, dass wir nicht nur fitter, sondern auch viel besser vorbereitet sein müssen." Er müsse heute viel mehr über die Mannschaften wissen, "ich muss bei diesem hohen Tempo viel mehr antizipieren als früher. Wenn ich einmal falsch abbiege, stehe ich falsch, und dann kommt man läuferisch nur noch schwer mit".

Ja, er ist in die richtige Zeit geraten, findet Brych

Bei Fußballern stellt man ja gern die herrlich nutzlose Frage, ob sie auch in anderen Epochen erfolgreich gewesen wären. Würde Gerd Müller heute immer noch tausend Tore schießen, könnte Franz Beckenbauer immer noch so erhaben durchs Mittelfeld laufen und vorn den Doppelpasspartner Müller suchen? Beim Schiedsrichter Brych, findet Brych, fällt die Antwort leicht: Ja, er ist in die richtige Zeit geraten. Brych ist ein Referee, der stark über die Fitness kommt, er hat genügend Luft fürs aktuell geforderte Multitasking aus Rennen/Sehen/Entscheiden. "Die Champions League ist aber noch mal eine andere Hausnummer als die Bundesliga", sagt er, "und was mir wichtig ist: auf beiden Bühnen ähnlich zu pfeifen. Es sollte nicht eine Regelauslegung für die Bundesliga und eine für die Champions League geben."

In der Bundesliga wird Brych noch ein Weilchen zu sehen sein, aber in der Champions-League-Saison pfeift er altersbedingt seine letzte Saison. Brych wird Messi die Hand aber in dem Gefühl schütteln, dass nichts mehr fehlt, er hat alle Bühnen und Endspiele durch und seit seinem Besuch im Maksimir in Zagreb auch alle relevanten Stadien.

Natürlich hat Brych auch vieles von dem erlebt, worüber man nicht so gerne spricht in einer Branche, in der man nicht nur präzise pfeifen, sondern manchmal auch versiert schweigen sollte. Wochenlang hat ihn die Fifa bei der WM 2018 im Quartier in Moskau sitzen lassen und ihn am Ende mit einem Vorrundenspiel abgespeist. Warum? Er hat eine Theorie, aber warum sollte er die sagen? Er ist Schiedsrichter, er weiß: Meckern gibt mindestens Gelb.

Ob sein Rekordspiel jetzt auch sein letzter Champions-League-Einsatz ist? Das Finale wird Brych zumindest nicht mehr pfeifen, das hatte er ja schon, aber seinen Rekord wird er eine Weile behalten. Die noch aktiven Kollegen, die ihn überholen könnten, der Slowene Skomina oder der Türke Cakir, werden die Bühne altersbedingt auch bald verlassen.

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