Süddeutsche Zeitung

Bruno Labbadia im Interview:"Ich wollte zu schnell zu viel"

Der neue VfB-Trainer Bruno Labbadia über sein Image, seine veränderte Arbeitsweise nach seinen Entlassungen in Leverkusen und Hamburg und die Lektüre von Fußballbüchern am Strand.

Christof Kneer

SZ: Herr Labbadia, ist Ihnen Fredi Bobic eigentlich noch dankbar?

Labbadia: Sie meinen wegen des Länderspieltores?

SZ: Genau.

Labbadia: Ob er dankbar ist, weiß ich nicht. Aber für ihn war das sicher eine große Sache: sein erstes Länderspieltor.

SZ: Das Sie ihm aufgelegt haben. Wussten Sie das überhaupt?

Labbadia: Nein, Fredi hat es mir jetzt gesagt. Ich kann mich jetzt auch wieder erinnern, es war ein Siegtor zum 2:1.

SZ: Es war ein Test-Länderspiel im August 1995, Bobic hat von Anfang an gespielt, Sie wurden in der 79. Minute für Marco Haber eingewechselt. Wissen Sie noch, wie Sie das Tor vorbereitet haben?

Labbadia: Oh, jetzt fragen Sie mich aber was. Fredi war wie ich ein Stürmer, der mit einem einzigen Kontakt Tore schießen konnte, und ich glaube, ich habe ihm den Ball irgendwie in den Lauf gelegt, und er hat dann direkt abgezogen.

SZ: Und beim Torjubel haben Sie verabredet, dass Bobic Sie 15 Jahre später als Trainer zum VfB holt, oder?

Labbadia: So eine schöne Geschichte kann ich leider nicht bieten. Interessant finde ich, dass eher das Gegenteil der Fall ist. Es gibt keine gemeinsame Geschichte zwischen mir und Fredi, es gab bis auf das Spiel in Belgien nie große Berührungspunkte. Wir waren nie beim selben Verein oder hatten sonst irgendwie Gelegenheit, uns näher kennenzulernen.

SZ: Seltsam eigentlich. Die Branche ist doch nicht so groß.

Labbadia: Ja, aber Stürmer sind fast immer Konkurrenten.

SZ: Was bedeutet das für einen Verein wie den VfB Stuttgart, wenn jetzt zwei Stürmer das Sagen haben?

Labbadia: Interessante Konstellation, das stimmt. Es bedeutet aber nicht, dass die Mannschaft nur nach vorne rennt und keiner verteidigt. Aber das Stürmerblut könnte dazu beigetragen haben, dass Fredi und ich uns auf Anhieb verstanden haben. Fredi ist mein primärer Ansprechpartner hier, wir tauschen uns permanent aus. Nach dem Europa- League-Spiel gegen Odense haben wir uns um Mitternacht noch zusammengesetzt und am Freitagfrüh schon wieder.

SZ: Zuletzt hieß es immer wieder, der VfB werde zu sehr von den Gremien dominiert. Wenn man Ihnen zuhört, bekommt man das Gefühl, dass die beiden Stürmer künftig sagen wollen, wo's lang geht.

Labbadia: Ich kann nur für mich sprechen, und für mich als Trainer ist Fredi die wichtigste Anlaufstelle im Verein. In erster Linie müssen wir beide die sportliche Entwicklung vorantreiben.

SZ: Muss sich der Verein auf ungemütliche Zeiten gefasst machen? Stürmer gelten als ungeduldig.

Labbadia: Ich nenne das nicht "Ungeduld", ich nenne es "fordernd". Das bin ich immer gewesen und werde es auch hier sein, aber die aktuelle Situation verlangt es, dass man auch mal kleinere Schritte macht. Man kann im Abstiegskampf nicht alles umwerfen.

SZ: Können Sie das denn: kleinere Schritte machen? Von Ihren früheren Klubs hängt Ihnen ja der Ruf nach, zu schnell zu viel zu wollen.

Labbadia: Man darf meinen Werdegang als Trainer nicht vergessen. Ich bin in Rekordzeit durch die Ligen gerauscht, vierte Liga, dritte Liga, zweite Liga, erste Liga, und man nimmt dieses Tempo vielleicht irgendwie mit. Deshalb hat mir dieses halbe Jahr Pause so gut getan. Ich konnte alles mal sacken lassen.

SZ: Was hat dieses halbe Jahr seit der Entlassung beim HSV verändert?

Labbadia: Das muss man teilen, in einen privaten und einen beruflichen Bereich. Wenn man sieben Jahre Trainer ist, lässt man vieles schleifen. Man bekommt dann im Oktober eine SMS von Freunden, in der nur steht: Bis bald, irgendwann im nächsten Jahr. Wichtig war die Zeit aber nicht nur für Familie und Freunde, sondern auch für mich. Ich musste mich einfach mal rausnehmen.

SZ: Wie haben Sie das gemacht?

Labbadia: Ich bin mal fünf Tage ins Ausland, ganz allein, hab mir ein paar Bücher mitgenommen, hab mich an den Strand gelegt und gelesen.

SZ: Fußballbücher, geben Sie's zu.

Labbadia: Es waren welche dabei, da haben Sie recht. Aber da ging's nicht um die reine Trainingslehre oder sowas, sondern um Aspekte, die man im Fußball gut gebrauchen kann.

SZ: ... Psychologie, Image, Hierarchie...

Labbadia: ... sowas in die Richtung. Aber zu diesem Zeitpunkt war ich auch schon wieder bereit für einen neuen Job. Die ersten zwei, drei Monate habe ich Fußball bewusst links liegen lassen.

SZ: Sie haben im vergangenen halben Jahr viele Gespräche mit Experten und Beratern geführt, Sie haben versucht, dem Geheimnis Ihres nicht so günstigen Images - zu anspruchsvoll, zu verbissen, nach einem halben Jahr verschlissen - auf die Spur zu kommen. Mit Erfolg?

Labbadia: Zunächst mal glaube ich, dass viele Dinge nicht zutreffen. Ich habe schon genug Selbstbewusstsein, um zu sagen: Vieles war gut. Ich habe nicht umsonst den Durchmarsch durch die Ligen in so kurzer Zeit geschafft, ich bin nicht von ungefähr jetzt vom dritten großen Klub engagiert worden, nach Leverkusen und dem HSV. Und zwar diesmal von einem Klub, mit dem ich nie zuvor richtig was zu tun hatte, der nicht einfach irgendeinen Trainer nimmt, den er kennt.

SZ: Sie wollen damit sagen: In der Branche war nicht nur Ihr Image bekannt, sondern auch, dass es sich bei Bruno Labbadia um einen fachlich fähigen, interessanten Trainer handelt.

Labbadia: Ich kann das schlecht selber so darstellen, aber wenn Sie das so sehen, ist das okay. Ich war während meiner Pause ja selbst gespannt, wie sich meine Trainerkarriere weiterentwickelt. Ich habe meine Arbeit reflektiert, ich habe auch Fehler gesehen, aber einen Fehler habe ich ganz sicher nicht gemacht: zu denken, dass alles schlecht war.

SZ: Warum kommen Sie in der öffentlichen Meinung nicht so gut weg?

Labbadia: Ich denke, dass viel zu viel verallgemeinert wird. Da werden die Parallelen meiner Stationen gesehen...

SZ: ... erst schneller Erfolg, dann schneller Misserfolg...

Labbadia: ... und keiner macht sich die Mühe, die verschiedenen Konstellationen in den Klubs auseinanderzuhalten.

SZ: Machen Sie das doch mal.

Labbadia: In Leverkusen hätte ich mir vielleicht mehr Zeit nehmen müssen, es wäre für diese junge Elf vielleicht besser gewesen, einen langsameren Gang einzulegen. Man muss als Trainer ja auch sehen: Wer kann das Tempo mitgehen? Da wollte ich wirklich zu schnell zu viel.

SZ: Es ging Ihnen im Klub insgesamt zu gemütlich zu, Sie wollten raus aus der Komfortzone, wie Sie damals sagten.

Labbadia: Auch das habe ich gelernt: dass man Dinge nicht immer sagen muss. Dass man sie mal für sich behält und versucht, sie im Stillen zu verändern.

SZ: Beim HSV sind Sie in eine vereinspolitisch schwierige Lage geraten.

Labbadia: Ich kam zum HSV nach nur drei Tagen Urlaub, es gab keinen Sportchef, es war kein neuer Spieler da. Wir haben in drei Wochen Vorbereitung alle Einkäufe getätigt, unter anderem Elia und Zé Roberto, und dann den besten Start der Klubgeschichte hingelegt, und das alles ohne Manager. Das ging rasant voran!

SZ: Genau so, wie es Ihnen gefällt.

Labbadia: Und dann sind Dinge passiert, die man nicht beeinflussen kann. Wir hatten zeitweise bis zu zehn Verletzte. Durch die Europa League hatten wir alle paar Tage ein Spiel, es mussten Profis ran, die sich nicht hundertprozentig fit gefühlt haben, und am Ende hat sich das zu einer allgemeinen Unzufriedenheit gesteigert. Aber eigentlich erkläre ich das gar nicht so gern, weil das so wirkt, als möchte ich was rechtfertigen.

SZ: Sie sagten, Sie hätten beim Reflektieren auch Fehler entdeckt. Was würden Sie heute anders machen?

Labbadia: Meine Grunderkenntnis ist die, dass ich noch besser beobachten muss. Was ich vorhin sagte: Ich muss mehr darauf achten, ob alle das Tempo mitgehen können und zur Not etwas langsamer machen. Aber grundsätzlich glaube ich schon, dass der fordernde Ansatz richtig ist. Helmut Hack, mein Präsident damals bei Greuther Fürth, hat mal gesagt, dass der Klub sich an die höhere Schlagzahl erst gewöhnen musste, dass sie den Klub aber weitergebracht hat.

SZ: Gibt es schon ein Beispiel, an dem man beim VfB Ihre leicht veränderte Arbeitsweise erkennen kann?

Labbadia: Am Freitagfrüh haben wir überlegt, wie wir mit den Spielern umgehen, die am Donnerstagabend auf dem schweren Boden gegen Odense gespielt haben. Wir haben entschieden, sie zur Entspannung auf Fahrräder zu setzen.

SZ: Hätten Sie vor einem Jahr gesagt: Alle Mann raus auf den Trainingsplatz?

Labbadia: Das könnte sein.

SZ: Sie haben noch nie im Winter einen Klub im Abstiegskampf übernommen. Was heißt das für Ihren Arbeitsstil?

Labbadia: Auch das heißt: weniger Tempo. In einer Sommer-Vorbereitung kann man gleich hohe Maßstäbe setzen, damit sich die Spieler daran gewöhnen. Jetzt aber kann man nicht gleich alles verändern, denn wir haben ja kaum Zeit, uns kennenzulernen. Ich habe den Spielern gesagt: Es gibt leider keine Eingewöhnungszeit. Also: alle Barrieren weg, Ihr vertraut mir, ich vertraue Euch.

SZ: Vertrauen wird nötig sein, es folgen zwei Spiele gegen den FC Bayern.

Labbadia: Viele haben ja gesagt: Ist der Labbadia verrückt, dass der mit so einem Programm einsteigt? Aber jede Trainingseinheit, die die Mannschaft und ich gemeinsam bestreiten, ist wichtig. Wir müssen jetzt schon etwas einleiten, was am Ende den Klassenerhalt bringen soll. Wir müssen weit über die Bayern-Spiele hinausdenken. Aber das bedeutet nicht, dass der FC Bayern gewinnen muss.

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Quelle:
SZ vom 18.12.2010/jbe
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