Die Nachricht, dass Alexander Nouri, 40, mit seinem Job als Cheftrainer bei Hertha BSC abgeschlossen hatte, kommt vielleicht nicht so überraschend daher. Er war im November als Assistent von Jürgen Klinsmann zur Hertha gekommen, übernahm nach dessen Fahnenflucht den Trainerjob und musste sich wegen des legendären Protokolls des früheren Bundestrainers über die Zustände bei Hertha ("katastrophal", "Besitzstandsdenken", "Lügenkultur") auch gegenüber der Mannschaft rechtfertigen. Vor allem für jene Passage, in der sich Klinsmann über die Entwicklungsmöglichkeiten der Kadermitglieder äußerte. Der frühere Bundestrainer attestierte dem einen oder anderen einen "Mehrwert", qualifizierte aber viele Profis als perspektivlos, alt oder satt ab.
Spätestens da mutierte Nouri als Trainer von der Lame Duck zum Walking Dead. Denn im Kader wollte man schon wissen: Wie sehr hatte Nouri am Klinsmann-Ranking mitgearbeitet?
Was nun überraschte: Nouri hielt es zuletzt offenbar nicht einmal mehr für nötig, sich noch mit den Spielern auszutauschen. Während der Cheftrainer des Berliner Lokalrivalen Union, der Schweizer Urs Fischer, seine Spieler unter anderem mit Videomaterial versorgte, hörte etwa Herthas Maximilian Mittelstädt von Nouri: nichts. Er habe den Kopf schön freibekommen, erzählte Mittelstädt am Donnerstag bei einer Videokonferenz. Er war, so viel steht fest, kein Einzelfall, auch andere wurden von ihrem Chef nicht kontaktiert. Der Fall Mittelstädt aber ist insofern bemerkenswert, als der Verteidiger krank war, das Interesse seines Chefs durchaus verdient gehabt hätte: Mittelstädt war positiv auf das Coronavirus getestet worden (die Krankheit verlief glimpflich). Es habe "gar keine" Kommunikation mit dem Trainer gegeben, enthüllte Mittelstädt Stunden vor der offiziellen Bestätigung einer Meldung, die schon längst die Runde gemacht hatte: dass Nouri von Bruno Labbadia, 54, abgelöst wird. Der frühere Bundesligastürmer (unter anderem Kaiserslautern und FC Bayern) hat - als Herthas vierter Trainer in der laufendenden Saison nach Ante Covic, Klinsmann und eben Nouri - einen Vertrag bis 2022 unterschrieben.
Labbadia hatte zuletzt einen anderen Zeitplan für eine Bundesliga-Rückkehr
Labbadia hatte bis Sommer 2019 den VfL Wolfsburg trainiert und sich danach rargemacht. Noch im Februar erklärte er bei einem TV-Auftritt, dass er mit einem neuen Engagement bis zur nächsten Saison warten wolle. Daraus sprach wohl auch der Wunsch, seinen Ruf des Feuerwehrmanns zu überwinden. Doch durch die Corona-Krise hat sich Einiges verschoben, Labbadias Vorsatz wie auch Herthas Zeitplan. Die Berliner wollten eigentlich das Saisonende abwarten, nun aber erlebe man "durch die aktuelle Situation bezüglich des Coronavirus und die Unterbrechung der Saison eine Art vorgezogene Sommerpause", erklärte Manager Michael Preetz in einer Mitteilung des Vereins. Man habe sich daher dazu entschlossen, die Entscheidung auf der Trainerposition "vorzuziehen". In der gleichen Mitteilung war Labbadia voll des Lobes über seinen neuen Arbeitgeber. "Hertha BSC ist ein Verein mit einem klaren, ambitionierten Plan für die Zukunft. Wir haben große Lust, Teil dieses Plans und der Weiterentwicklung von Hertha zu sein. Es liegt viel Arbeit vor uns." Wobei das Personalpronomen "wir" nicht für einen Pluralis majestatis steht, sondern für ihn, seine Assistenten Eddy Sözer und Olaf Janßen sowie Athletiktrainer Günter Kern. Teile des bisherigen Trainerteams der Hertha bleiben - namentlich Zsolt Petry, den Klinsmann als Torwarttrainer geschasst hatte.
Für Labbadia bietet das Engagement die Chance, sich als Projekttrainer zu profilieren. Er hatte in der Bundesliga bei Bayer Leverkusen, dem Hamburger SV, dem VfB Stuttgart und zuletzt dem VfL Wolfsburg gearbeitet. Als Stabilisator driftender Teams wurde er stets in höchsten Tönen gelobt, hinter vorgehaltener Hand wurde aber gern und oft geraunt, dass Labbadias Mannschaften sich ab einem gewissen Punkt nicht fortentwickeln. Das schimmerte auch bei einer Pressekonferenz nach dem spektakulären Klinsmann-Abgang durch, als ein Journalist den Hertha-Manager Preetz fragte, ob man bei Hertha in der Trainerfrage "größer" denken oder doch den "üblichen Verdächtigen" wie eben Labbadia vertrauen wolle. "Fast schon despektierlich" fand Preetz diese Äußerung. "Entschuldigung, aber wir sprechen über einen Kollegen, der in den letzten Jahren in der Bundesliga sehr, sehr gute Arbeit geleistet hat."
Vielleicht war Labbadia nie so gut wie in Wolfsburg. Er hatte den VfL im Februar 2018 unter schwersten Bedingungen übernommen, interne Krisen überwunden, die im Wechsel auf der Managerposition gipfelten, und den VW-Klub in die Europa League geführt. Aber: Sportchef Jörg Schmadtke, im Juni 2018 installiert, war kein großer Fan des Trainers. Labbadias Vertrag wurde nicht verlängert.
Nun also die Hertha - ein Klub, der durch den Einstieg der Firma Tennor des Finanzinvestors Lars Windhorst und die mehr als 80-Millionen-Euro-Investitionen vom Januar (Ascacibar, Cunha, Piatek und für die kommende Saison Tousart) einen guten Kader hat. Als Tabellen-13. ist die Hertha noch nicht mathematisch, wohl aber virtuell gerettet. Labbadia kann im Grunde den Blick auf die kommende Spielzeit richten. Beziehungsweise: auf ein Projekt. Wann die neue Saison beginnt, ist offen, nicht aber, wann Labbadia seine Arbeit aufnimmt: am Ostermontag und, wie es sich für diese Zeiten gehört, hinter verschlossenen Türen.