Süddeutsche Zeitung

Britta Steffen und das deutsche Schwimmen:Zwischen Weltfrieden und Zielvereinbarung

Wenn die deutschen Beckenschwimmer, wie es derzeit aussieht, in London ohne Medaille bleiben, muss sich Britta Steffen kaum Vorwürfe machen. Sie hat ihren Beitrag zur sportlichen Volkserheiterung ja längst übererfüllt: vor vier Jahren unter riesigem Druck in Peking. In London will sie nun endlich die Olympischen Spiele genießen.

Claudio Catuogno

Britta Steffen hat früh gelernt, dass es nicht nur um sie geht. Zum Beispiel, wenn sie aus der Schule nach Hause kam. In der 57-Quadratmeter-Wohnung in Schwedt an der Oder, östlichstes Brandenburg, drängten sich außer ihr noch Maiki und Sveni am Esstisch. So nennt Britta Steffen ihre Brüder Maik und Sven. Mit dem Schwimmen begann sie, weil Mutter Ingrid die Kinder nicht den ganzen Tag in der Bude haben wollte. "Morgens ist Schule, nachmittags wird Sport gemacht, den Satz von Mutter höre ich heute noch", hat Britta Steffen kürzlich erzählt. Der Plan, aus der talentierten Tochter mal eine Olympiasiegerin zu machen - den gab es im Hause Steffen nie. "Britta war eine von Dreien", sagt Ingrid Steffen. "So einfach war das."

Als Britta Steffen vor vier Jahren bei den Spielen in Peking genau das wurde, Olympiasiegerin, zwei Mal sogar, und damit eine der großen Figuren des deutschen Sports, da waren die Steffens gerade umgezogen. Ihr Plattenbau sollte zurückgebaut werden, die jungen Leute hält wenig in Schwedt. Die Steffens mussten in einen anderen Plattenbau umziehen. Kaum einer kannte die neue Familie, der Tabakhändler im Erdgeschoss wunderte sich über den lauten Jubel, der mitten in der Nacht in der zweiten Etage ausbrach, und als am nächsten Morgen die Reporter vor der Tür standen und jede vorbeilaufende Frau fragten, ob sie Mama Steffen sei, da nahm Ingrid Steffen einfach den Hinterausgang.

Bloß kein Aufhebens. Dass Tochter Britta jetzt eine öffentliche Person ist, Werbe-Gesicht, dass sie genug Geld verdient hat, um sich am Stadtrand von Berlin ein Öko-Haus zu bauen, darum geht es Ingrid Steffen bis heute nicht. Worum dann? "Eigentlich war mir immer nur wichtig, dass Britta glücklich ist mit dem, was sie macht."

Das ist die eine Welt der Britta Steffen, 28. Jene, in der sie Tochter sein kann - und in der jetzt niemand so recht etwas anzufangen weiß mit diesen 54,18 Sekunden. Es gibt da aber noch die andere Welt, in der ist Steffen Doppel-Olympiasiegerin, Doppel-Weltrekordhalterin, Vorzeige-Frau des Deutschen Schwimm-Verbands (DSV), und wenn Steffen in dieser Welt 54,18 Sekunden schwimmt über 100 Meter Freistil, dann gibt es da leider ein Problem.

In dieser Welt, das lehrt die Erfahrung, geht es bei Olympischen Spielen immer vor allem um sie.

Am Mittwochabend ist Britta Steffen lächelnd durch die Katakomben des Londoner Aquatics Center gelaufen, sie war gerade im Halbfinale über 100 Meter Freistil ausgeschieden. 54,18 Sekunden. Kein Endlauf, keine Medaille - nicht mal ein Schlusssprint inmitten der Weltspitze, in dem man dann mit Würde Siebte werden kann. Auf diesen Rang hätte es Steffen am Donnerstagabend mit ihrer Bestzeit aus dem Mai (63,68) theoretisch geschafft, als sich die Niederländerin Ranomi Kromowidjojo den Titel holte (53,00). Olympia ist diesmal also definitiv nicht das geworden, was sich Britta Steffen davon versprochen hat. Aber davon wollte sie sich jetzt nicht alles verderben lassen.

Zu ihrer Vita gehört ja auch die Kuriosität, dass sie zweifache Olympiasiegerin wurde, ohne Olympia je genossen zu haben. 2000 in Sydney, mit 16, fühlte sie sich "komplett verloren", während um sie herum, wenn man das mal so plakativ sagen darf, das deutsche Schwimmen absoff. 2004 in Athen verknackste sie sich auf der Tribüne den Fuß, derweil soff, man ahnt es, das deutsche Schwimmen ab. Und 2008 erlitt dann das deutsche Schwimmen fünf Tage lang so krachend Schiffbruch, dass Athleten anderer Nationen bereits im Aufwärmbecken stichelten: "Britta, du bist die Einzige, die die Ehre der deutschen Schwimmer in Peking noch retten kann." Unter diesem Druck zwei Mal zu Gold zu kraulen, war bemerkenswert. Spaß gemacht hat es aber nicht.

Also: Lächeln diesmal! Die Spiele in London sind schließlich noch nicht vorbei. Britta Steffen wird es noch über die 50 Meter Freistil versuchen, vermutlich auch mit der Lagenstaffel. Aber natürlich weiß Steffen auch, dass von ihr über die 100-Meter-Distanz eine Medaille eingepreist war in den Verbandsprognosen und Zielvereinbarungen. Also sagt Steffen in der Medienzone des Aquatics Center jetzt einen etwas gespreizten Satz, den sie zuhause in Schwedt wahrscheinlich nicht gesagt hätte: "Durch mich ist jetzt nicht der Weltfrieden gefährdet. Insofern ist alles okay."

Ist es das wirklich? Für Steffen vermutlich mehr als für den Deutschen Schwimm-Verband. Ihr sind Prognosen und Zielvereinbarungen nämlich egal, einer ihrer Lieblingssprüche heißt: "Die Planer planen - und das Schicksal lacht über sie." Wenn die deutschen Beckenschwimmer nun, wie es derzeit aussieht, in London ohne Medaille bleiben, muss sie sich keine Vorwürfe machen. Sie hat ihren Beitrag zur sportlichen Volkserheiterung ja längst übererfüllt, vor vier Jahren in Peking.

Nach dem mühsamen Vorlauf am Mittwochmorgen hatte Britta Steffen ihre Erwartungen bereits nach unten korrigiert, gemessen daran konnte sie jetzt trotz des Ausscheidens sagen: "Ich bin zufrieden, weil ich mir das Rennen optimal eingeteilt habe. Ich habe gekämpft wie eine Wildsau, aber es hat leider nicht gereicht." Woran es lag, das muss sie jetzt erst in Ruhe mit ihrem Trainer Norbert Warnatzsch analysieren. Vom Ergebnis wird dann wohl abhängen, ob sie tatsächlich weitermacht bis zur EM 2014 in ihrer Heimatstadt Berlin.

Warnatzsch wollte ihr da am Mittwoch keinen Rat geben. Nur so viel: "Wenn sie weitermachen will, bekommt sie jede Unterstützung. Wenn sie aufhören würde, könnte ich das aber auch verstehen." Er werde sich da ganz nach ihren Wünschen und Plänen richten. "Das", sagte Norbert Warnatzsch, "bin ich Britta schuldig."

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SZ vom 03.08.2012
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