Brentford in der Premier League:Ausgeklügelter Plan ergibt verrückten Lauf

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Trainer herzt Torjäger: Brentfords dänischer Coach Thomas Frank mit Ivan Toney. (Foto: David Klein/Reuters)

Die englische Variante von Union Berlin: Der kleine Hauptstadtklub FC Brentford ist in der Liga seit Oktober ungeschlagen - dank unkonventioneller Klubstrategien und einem Spielstil, der vor allem den Spitzenteams wehtut.

Von Sven Haist, London

Matthew Benham, der Eigentümer des Brentford Football Club, ist auch Gründer und Inhaber des statistischen Analyseunternehmens Smartodds für professionelle Zocker sowie der Wettbörse Matchbook. Wahrscheinlich hätte nicht mal er selbst auf die aktuelle Erfolgsserie seines Vereins in der Premier League gesetzt. Seit elf Ligaspielen ist der Londoner Vorstadtklub, auf halber Strecke zwischen Stadtzentrum und Flughafen Heathrow gelegen, ungeschlagen. Eine solche Bilanz weist derzeit kein anderer Erstligist auf, weder in England noch in einer anderen Topliga Europas. Besonders bemerkenswert dabei: Brentford besiegte die Spitzenklubs Manchester City (2:1) und Liverpool (3:1) und holte jeweils Unentschieden gegen Tabellenführer Arsenal sowie die Stadtrivalen Chelsea und Tottenham.

Durch die Spielpause am vergangenen Wochenende, als Brentford beim zu Saisonbeginn deklassierten Manchester United (4:0) nicht antreten konnte, weil United stattdessen im Ligacup-Finale triumphierte, ist mindestens eine weitere Woche ohne Niederlage dazugekommen. Eine solche gab es für Brentford zuletzt bei Aston Villa - im Oktober, vor mehr als vier Monaten.

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Mit beachtlichen 35 Punkten nach 23 Spielen hat der 2021 in die Premier League aufgestiegene Brentford FC den Ligaerhalt schon jetzt erneut fast sicher. Der Verein steht auf Platz neun wesentlich besser da als einige höher eingestufte Konkurrenten. Der Lauf seiner Mannschaft sei "verrückt", findet der charismatische Trainer Thomas Frank. Kürzlich ließ sich der Däne als Gast beim "Monday Night Club" der BBC von zu Hause aus zuschalten. Im Augenblick sei er zwar "der König des Schlosses", aber dies könne sich schnell ändern, sagt der 49-Jährige.

Mit seiner unkonventionell offenen Art hebt sich Frank, der seit viereinhalb Jahren im Amt ist, von vielen eher verschlossenen Trainerkollegen ab. Und das passt zum innovativen Brentford, das auch als Klub ein Gegenentwurf zu sein scheint zu den vorwiegend konservativ handelnden Vereinen der Premier League. Die Entwicklung und die Spielweise Brentfords erinnern an Union Berlin, das in Deutschland das Establishment aufmischt. Der Erfolg sieht fast wie Zufall aus. Aber dahinter steckt ein ausgeklügelter Plan des Klubbesitzers.

Benham, 54, aufgewachsen im elitären Eton bei Schloss Windsor, studierte Physik an der Universität Oxford, arbeitete im Investmentbanking und als Trader bei Premier Bet an der Seite von Tony Bloom, einem erfolgreichen Glücksspieler, dem der Ligarivale Brighton & Hove Albion gehört. Nach einem Streit machte sich Benham mit Smartodds 2004 selbständig und beriet Kunden mit Algorithmen, Statistiken und Datenanalysen. Als er ein Jahr später in der Zeitung Independent las, dass eine Fanvereinigung seines Lieblingsvereins Brentford nach einem Geldgeber suchte, um den vorherigen Besitzer auszubezahlen, beteiligte er sich zunächst anonym mit einem sechsstelligen Darlehen. Dies brachte ihm in der britischen Presse den Spitznamen "mysteriöser Investor" ein.

Im langfristigen Denken von Besitzer Benham ging es zunächst weniger um unmittelbaren Erfolg

Um den zeitweise in die vierte Liga abgestiegenen Klub vor dem Kollaps zu bewahren, erhöhte Benham schrittweise seinen Einsatz: Binnen kurzer Zeit genehmigte er weitere Kredite in Millionenhöhe - bis er sich 2012 mit den Anhängern darauf einigte, den damaligen Drittligisten komplett zu übernehmen. Parallel zu seinem Engagement beim dänischen Verein FC Midtjylland, der immerzu einer Versuchsspielwiese für seine Entscheidungen in Brentford glich, perfektionierte Benham seine datengetriebenen Konzepte und engagierte ähnlich analytisch denkende Menschen wie Southamptons aktuellen Sportdirektor Rasmus Ankersen. Der erklärte einst im Buch "Expected Goals" von Rory Smith, dass "interessante Ideen eher nicht aus Topligen" kämen, weil die Klubs dort wegen der drastischen Folgen eines Abstiegs "risikoärmer" agieren müssten.

Anders als viele kleinere Vereine verfolgte Benham eine langfristige Strategie, in der es weniger um unmittelbaren Erfolg ging. Brentford vertraute bei Trainer- und Spielerverpflichtungen auf Leistungsparameter wie zu erwartende statt tatsächlich erzielte Tore, die auch mit Glück und Pech zu tun haben können. So erzielte Brentford in sechs der sieben Zweitligaspielzeiten vor dem Aufstieg einen Gewinn aus Transfers - insgesamt mehr als 100 Millionen Euro. Immer wieder gelang es, wenig bekannte Angreifer wie Neal Maupay, Saïd Benrahma und Ollie Watkins zu entdecken und später teuer zu verkaufen.

Dasselbe gilt für den aktuellen Torjäger Ivan Toney (14 Tore in 21 Ligaspielen), den Brentford einst beim Drittligisten Peterborough für fünf Millionen Euro ablöste. Der robuste, kopfballstarke Toney, 26, ist der ideale Zielspieler für den direkten Spielstil des Trainers Frank. Basierend auf strukturierter, disziplinierter Verteidigung ist das Team durch Intensität und Physis jederzeit in der Lage, schnell anzugreifen - mit Flanken über außen oder hohen Zuspielen nach vorne. Das unberechenbare Vorgehen macht Brentford zu einem der unangenehmsten Gegner für die Topteams der Liga, die stets um Spielkontrolle bemüht sind - und sie gegen Brentford oft verlieren.

Nun aber droht Toney, der im Herbst 2022 erstmals in den Kader der englischen Nationalelf berufen wurde, eine monatelange Sperre. Laut Medienberichten hat er zugegeben, häufig gegen Wettregeln des nationalen Fußballverbandes (FA) verstoßen zu haben. Die FA beschuldigte ihn im November und Dezember 2022 in 262 Fällen, die sich zwischen Februar 2017 und Januar 2021 ereignet haben sollen, als Toney für unterklassige Vereine spielte. Die Regel E 8 untersagt Spielern, selbst auf Partien zu wetten, andere zu bitten, dies in ihrem Namen zu tun oder Insiderinformationen weiterzugeben. Der Guardian schrieb, eine Verurteilung sei wohl "unausweichlich". Vorerst darf Toney weiter mitwirken - auch kommenden Montag im Derby gegen Fulham. Die Buchmacher glauben, dass Brentford ungeschlagen bleibt.

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