Bremer 1:0-Sieg:Kleines Werder-Wunder

Thomas Schaaf muss in seinem "Wohnzimmer" Weserstadion mit der Eintracht die nächste Niederlage hinnehmen. Bremen träumt unterdessen vom internationalen Geschäft.

Von Frank Hellmann, Bremen

Am Ende blieb er wie angewurzelt an der Seitenauslinie stehen: die Hände in die Hüften gerammt, den Kopf zur rechten Seite gerichtet, zur jubelnden Bank der ehemaligen Weggefährten. Einige Sekunden verharrte Thomas Schaaf in dieser Position, ehe er vorsichtig zwei Schritte auf den Rasen ging. Es ist nicht überliefert, was der Trainer von Eintracht Frankfurt in diesem Moment nach Schlusspfiff dachte. Bezeichnenderweise musste aber ein Akteur des SV Werder herbeieilen, um den einst scheinbar auf ewig mit Bremen verbandelten Fußballlehrer aus seiner Ernüchterung im Weserstadion, seinem "Wohnzimmer" (Schaaf), zu befreien. Zlatko Junuzovic, einer seiner ehemaligen Musterschüler, war der Erste, der ihn tröstete. Denn während sich die Frankfurter mit der 0:1 (0:0)-Niederlage endgültig aus dem Kampf um die Europa-League-Ränge verabschiedeten, träumen die Bremer weiter vom Europapokal. "Ich war hier, weil ich mit der Eintracht gewinnen wollte", sagte Schaaf, er war bemüht, nicht zu viele sentimentale Gefühle aufkommen zu lassen.

Werder Bremen - Eintracht Frankfurt

Fast peinlich war Davie Selke sein Siegtreffer gegen Frankfurt: Eine verunglückte Brustannahme landete im großen Bogen im Tor.

(Foto: Carmen Jaspersen/dpa)

Dass er beim Erscheinen an alter Wirkungsstätte mit Applaus begrüßt worden war, tat dem 54-Jährigen gut: "Es ist außergewöhnlich, so herzlich, so warm empfangen zu werden." Den Beifall vor Spielbeginn hatte sich der Meistertrainer von 2004 indes mit den Meisterhelden von 1965 zu teilen - 50 Jahre nach der ersten grün-weißen Meisterschaft feierten die Anhänger die noch lebenden Zeitzeugen. Schaaf selbst hatte zur Rückkehr zu einem Klub, dem er 41 Jahre lang in verschiedenen Rollen als Spieler und Trainer gedient hatte, eingeschränkt: "Es geht nicht darum, irgendeine Tour zu machen und jedem Hallo zu sagen." Ein paar mehr Hände als sonst hatte der Frankfurter Trainer dann doch zu schütteln. Und klar, dass sich Schaaf und Nach-Nachfolger Viktor Skripnik nach der Pressekonferenz kräftig in den Arm nahmen.

Werder Bremen - Eintracht Frankfurt

Hätte lieber seinen Spielern applaudiert: Thomas Schaaf wurde bei seiner Rückkehr ins Weserstadion mit warmen Applaus der Bremer Fans empfangen.

(Foto: Carmen Jaspersen/dpa)

Selkes Tor entsteht eher unfreiwillig

Skripniks Vor-Vorgänger hatte auch noch ein paar Worte zum Spiel übrig. "Glückwunsch an Werder Bremen. Sie haben eine Situation genutzt, die nicht so doll war." Damit war der recht glücklich zustande gekommene Siegtreffer von Davie Selke gemeint, der das Spielgerät eher unfreiwillig mit der Brust über die Linie bugsierte, nachdem Assani Lukimya einen Freistoß von Zlatko Junuzovic mit dem Kopf verlängert hatte (66.). Und doch taugte der Treffer als Beleg dafür, warum die Bremer als das aktivere Team am Ende verdient gewannen und sich auf den siebten Rang schoben. "Wenn wir da am Ende landen, sind wir alle glücklich", sagte Skripnik. Sein Ensemble habe wie gegen den Hamburger SV "ein Geduldsspiel" gewonnen.

Schema & Statistik

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Als "Sieg des Willens" stufte Geschäftsführer Thomas Eichin den nächsten Heimerfolg ein, "wir waren giftig und griffig in den Zweikämpfen." Hochtrabende Ziele mag Eichin, der vor zwei Jahren Schaafs Ära an der Weser beendete, um die Neuausrichtung voranzutreiben, aber nicht ausgeben. "Es hilft nicht, vom Europapokal zu reden. Wir schauen einfach von Spiel zu Spiel." Kapitän Clemens Fritz, mit 35 Jahren noch immer Vorbild in Sachen Einsatz beim Gastgeber, sieht es als "unsere Pflicht an, dass wir die Möglichkeit nicht fahrlässig hergeben". Und für Antreiber Junuzovic ist es an der Zeit, "dass wir das mal genießen". Die Mannschaft habe unter der Regie des in Abstiegsgefahr installierten Ukrainers, der mittlerweile 38 Punkte in 22 Partien verbucht hat, "unglaubliche Schritte nach vorne" gemacht. Mit einem Torverhältnis von "minus zwölf" auf einen internationalen Startplatz hoffen zu dürfen, kommt tatsächlich einem kleinen Werder-Wunder gleich.

Die Eintracht schießt 14 Mal aufs Tor - und strahlt doch kaum Gefahr aus

Bei der Eintracht stellt sich die Entwicklung fast gegensätzlich dar. Die Frankfurter Bilanz sieht mit 13 Rückrundenpunkten für 2015 ziemlich mau aus. Seit der Verletzung von Torjäger Alexander Meier (19 Treffer), der nach einer Operation an der Patellasehne monatelang ausfällt, geht der Mannschaft jede Torgefahr ab. 14 Torschüsse verbuchte die Eintracht gegen Bremen, darunter befanden sich gute Möglichkeiten, durch den früh wegen eines verdrehten Knies verletzt ausgeschiedenen Sonny Kittel (3. und 7.) etwa, oder durch den ehemaligen Bremer Nelson Valdez (35.) Es war dann aber bezeichnend, wie Takashi Inui in der zweiten Hälfte aus bester Position ein Schüsschen zustande brachte - der Geschwindigkeitsmesser auf der Videowand zeigte bescheidene 49 Stundenkilometer an (62.).

Seit vier Begegnungen wartet die Eintracht auf einen Treffer, auch, weil sich zudem Rechtsaußen Stefan Aigner (neun Treffer) mit muskulären Problemen auf unbestimmte Zeit in den Krankenstand verabschiedet hat. "Ohne die beiden fehlt uns offensiv die Wucht", sagt Verteidiger Marco Russ. Tatsächlich fehlt der Eintracht derzeit die Entschlossenheit, um die Saison zufriedenstellend zu Ende zu bringen. Auch deshalb blieb Thomas Schaaf am Samstag lange wie angewurzelt stehen.

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