Bremen:Simulation eines Heimspiels

SV Werder Bremen vs Borussia Moenchengladbach, 26.05.2020

Matchball vergeben: Der Bremer Stürmer Davie Selke bei seiner Großchance in der 89. Minute.

(Foto: Nordphoto/Imago)

Wenn sonst schon keiner da ist, macht Werder die Stimmung im Weserstadion eben selbst. Sie trägt das Team gegen Mönchengladbach zur besten Saisonleistung.

Von Ralf Wiegand, Bremen

Von Atmosphäre zu sprechen, verbietet sich in dieser Endphase einer Saison, die offiziell als "Sonderspielbetrieb der Bundesliga" geführt wird, also schon vom Terminus technicus als etwas, das nicht normal ist. Wo sich Spieler, die ihre Einwechslung ahnten, früher schnell die Trainingsjacke auszogen, streifen sie jetzt erst einmal den Mund- und Nasenschutz ab. Die Einlasskontrollen ähneln einem Besuch beim G7-Gipfel, ein Zelt fürs Händewaschen und desinfizieren, eines zur Ausgabe von Atemschutz und Akkreditierung sowie zur Abgabe des vollständig ausgefüllten Fragebogens zu Gesundheitszustand, Adresse und Erreichbarkeit, dann Fiebermessen sowie auf verschlungenen Pfaden durchs Halbdunkel des Stadionbauchs, ein Weg, der allein dazu dient, niemandem zu begegnen, hinein in die leere Arena, der baulichen Kulisse des Millionenspiels Bundesliga. In Bremen bedankt sich der Stadionsprecher in der Halbzeit bei 42 100 Zuschauern dafür, dass sie zuhause bleiben.

Es war und ist trostlos, vor allen dann, wenn man weiß, was an diesem Dienstagabend im Weserstadion abgegangen wäre in der zweiten Halbzeit. Werder Bremen raffte sich gegen Gladbach zur besten Leistung dieser Saison auf, der Tabellenvorletzte dominierte den -vierten umso eindeutiger, je länger das Spiel dauerte. Normalerweise stehen hinter jenem Tor, das die Bremer traditionell nach der Pause bestürmen, die eigenen Fans. Sie haben manchen Ball ins Tor gebrüllt, sie hätten es auch diesmal versucht, besonders in der 89. Minute, als Selke das Spiel hätte entscheiden können. Jetzt aber musste ein 0:0 genügen.

Die Abwesenheit von allem, was aus Fußballspielen Ereignisse macht, wirft die Mannschaften auf sich selbst zurück. Sie sehen nur sich, sie hören nur sich, und was von draußen kommt, müssen sie auch noch selbst erledigen. In dieser Hinsicht hat Werder nun aber offenbar einen Weg gefunden, die Stille der Stadien für sich zu erobern. Es sei zwar keine Anweisung gewesen, dass sich "jetzt alle eine Kutte umlegen und raus auf die Tribüne gehen", sagte Florian Kohfeldt nach dem Spiel, aber ja, "wir haben darüber gesprochen". Den Bremern gelang es, im eigenen Stadion tatsächlich so etwas wie Heimspielstimmung zu simulieren, indem Ersatzspieler, Co-Trainer und Physiotherapeuten Ostkurve spielten, applaudierten, stöhnten, anfeuerten und mitzitterten. Das Ziel war, so Werders Trainer, "mit allen, die dieser Gruppe angehören, Leben reinzubringen - wenn sonst schon keiner da ist . . ." Diese Art von Gruppendynamik wird als Corona-Besonderheit in die Fußball-Annalen eingehen, sie wäre in einem vollbesetzten Stadion nicht möglich.

"Wir haben in den letzten beiden Spielen die Leichtigkeit verloren", klagt Gladbachs Trainer Rose

So wirkte Werder auf und neben dem Platz wild entschlossen, jetzt aber wirklich die letzte Chance zur Wende in dieser verkorksten Saison zu ergreifen. Gegen "bärenstarke Bremer", wie Gladbachs Trainer Marco Rose feststellte, "haben wir unser Tor mit allem verteidigt, was wir hatten". Vor allem der großartige Gladbacher Torwart Sommer mit sechs starken Paraden und die letzten Reste von Angst der Bremer Offensive vor dem Torschuss, vielleicht auch ein bisschen der fehlende Orkan aus der Ostkurve, der den Ball hätte ins Tor blasen können, verhinderten den zweiten Bremer Heimsieg der Saison.

"Wir haben in den letzten zwei Spielen die Leichtigkeit verloren", sagte Rose, dessen Elf nicht schlecht spielte, das zeitweise brachiale und vom Team hinter dem Team frenetisch bejubelte Pressing der Bremer aber nicht wegtänzeln konnte. Leichtigkeit müsse man sich erarbeiten, sagte Rose, mit Erfolgserlebnissen auf dem Rasen kämen die Tore, mit den Toren die Ergebnisse, mit den Ergebnissen, eben, die Leichtigkeit. Um Vierter zu bleiben, "müssen wir jetzt die Arschbacken zusammenkneifen und für jeden sichtbar unsere Chance ergreifen. Wir haben das schon bewiesen, und es fehlt auch nicht viel."

Werder ist womöglich dabei, durch den umgekehrten Beweisweg Roses These zu belegen. Beim 1:0 in Freiburg war noch die Angst zu spüren, den Ausgleich zu kassieren, nun schon ein wenig Lust, das Spiel spät zu gewinnen. Ein Hauch von Leichtigkeit. Man sei nun "im Tunnel", sagte Kohfeldt, für sieben Endspiele: "In diesem Tunnel müssen wir bleiben."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: